Die dichte Atmosphäre der Venus (hier eine Aufnahme der Mariner-10-Sonde vom Februar 1974) sorgt für eine wenn auch schwache induzierte Magnetosphäre.
Foto: NASA/JPL-Caltech

Heute ist unser Geschwisterplanet, der fast genauso groß ist wie die Erde, ein geradezu höllischer Ort. Auf mittlerem Bodenniveau der Venus ist der Luftdruck etwa 90 Mal so hoch wie auf der Erde. Das entspricht dem Druck in über 900 Metern Meerestiefe. Eine dichte Wolkendecke aus Schwefelsäuretröpfchen lässt nur etwa zwei Prozent des Sonnenlichts, auf der Venusoberfläche herrscht damit permanentes Dämmerlicht. Aufgrund des enormen Treibhauseffektes herrschen dort überdies Temperaturen von über 450 Grad Celsius.

Und noch einen entscheidenden Unterschied gibt es zwischen Erde und Venus: Letztere besitzt kein eigenes Magnetfeld, das sie vor dem Sonnenwind schützt. Dieser anhaltende Partikelstrom erzeugt jedoch ein schwaches, induziertes Magnetfeld rund um die Venus. Aktuelle Daten, die die Solar-Orbiter-Mission der Esa und Nasa bei einem ersten Flyby-Manöver an der Venus im letzten Dezember gesammelt hat, liefern Hinweise darauf, dass dieses einzigartige Magnetfeld immer noch stark genug ist, um Partikel auf mehrere Millionen Kilometer pro Stunde zu beschleunigen.

Ungewöhnliches induziertes Magnetfeld

Die Erde erzeugt ihr eigenes intrinsisches Magnetfeld mithilfe eines geschmolzenen flüssigen Materials in ihrem Kern. Bei der Venus verhält es sich anders: Sie erhält ihr Magnetfeld aus der Wechselwirkung des Sonnenwinds mit der Ionosphäre des Planeten, also jenes Teils der Atmosphäre, der elektrisch geladene Atome enthält. Diese Ionen erzeugen elektrische Ströme. Wenn der Sonnenwind über die Venus streicht, tritt er in Wechselwirkung mit diesen Strömen und erzeugt so eine vollständige Magnetosphäre um den Planeten.

"Es ist eine sehr ungewöhnliche induzierte Magnetosphäre", sagt Robert Allen, Astrophysiker am US-amerikanischen Johns Hopkins Applied Physics Laboratory in Laurel, Maryland, der federführende Autor der im Fachjournal "Astronomy & Astrophysics" erschienenen Studie. Wissenschafter kannten diese ungewöhnliche Magnetosphäre zwar schon aus den Venus-Missionen der 1960er bis 1980er Jahre, aber blieben bis heute noch viele Fragen offen. So zieht der Sonnenwind beispielsweise die Magnetosphäre hinter dem Planeten in die Länge; man nennt das einen Magnetschweif. Aber wie weit kann sich eine induzierte Magnetosphäre ausdehnen, bevor sie zerfällt?

Der Sonnenwind zieht das Magnetfeld hinter dem Planeten in die Länge. Die einzelnen Farben stellen verschiedene Bereiche der Magnetosphäre dar.
Grafik: Johns Hopkins APL/Ben Smith

Solar Orbiter blickt auf unerforschte Regionen

"Dieses System ist ziemlich instabil", erklärt Allen, "es weht im Sonnenwind wie eine sehr langgestreckte Flagge." Magnetische Felder beschleunigen geladene Partikel wie Elektronen und Protonen. Aber kann eine induzierte Magnetosphäre Partikel in der gleichen Weise und auf die gleichen Geschwindigkeiten beschleunigen wie eine intrinsische Magnetosphäre? Diese Frage soll Solar Orbiter zu beantworten helfen.

"Solar Orbiter wird im Laufe der Mission die ekliptische Ebene der Planeten verlassen, um auf die Polregionen der Sonne blicken zu können", sagt Yannis Zouganelis, stellvertretender Projektleiter an der ESA. "Aber dazu brauchen wir die Hilfe von ausgeklügelten Flybys bei der Venus." Bei diesen Passagen, die sich von jenen anderer Raumsonden wie BepiColombo (ESA-Jaxa), Parker Solar Probe und MESSENGER (beide NASA) unterscheiden, hat Solar Orbiter den Planeten von hinten über den Nordpol angeflogen und die Sonde in bisher praktisch unerforschte Regionen der Venus geführt.

Partikelbeschleunigung auf mehrere Arten

So konnten die Forscher mit dem Solar Orbiter Erkenntnisse darüber gewinnen, dass sich das Magnetfeld der Venus mindestens bis 300.000 Kilometer hinter den Planeten erstreckt. Das ist in etwa die Entfernung zwischen Erde und Mond. Im Vergleich zum Magnetschweif der Erde, der über weit mehr als die zehnfache Distanz reicht, ist das relativ kurz. Außerdem fanden die Wissenschafter heraus, dass das Magnetfeld trotz seiner geringen Größe Partikel auch so weit vom Planeten entfernt noch auf über acht Millionen Kilometer pro Stunde beschleunigt.

Das Team hat dabei mehrere Mechanismen entdeckt, die die Partikel beschleunigen. Alle diese Mechanismen gibt es auch in Magnetosphären wie der der Erde: Beispielsweise übertragen Turbulenzen im Magnetfeld genug Energie, um die Partikel mit beinahe 11 Millionen Kilometer pro Stunde herausfliegen zu lassen.

Auf dem Weg in die richtige Umlaufbahn um die Sonne kommt der Solar Orbiter ziemlich herum. Dabei bekommt er auch einen guten Blick auf die Venus aus ungewöhnlicher Perspektive.
Illustr.: ESA/ATG medialab

"Die Tatsache, dass es in diesem relativ kleinen System der Venus doch so viele Mechanismen gibt, die Partikel auf so hohe Geschwindigkeiten beschleunigen können, ist für mich sehr überraschend und wirklich interessant", sagt Robert Wimmer-Schweingruber von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und Projektleiter für Solar Orbiter an der CAU, "insbesondere, dass diese auch räumlich und zeitlich voneinander abgegrenzt sind."

Vorfreude auf den kommenden August

Solar Orbiter wird die Venus im August erneut passieren, gerade einmal einen Tag, bevor BepiColombo, eine von der ESA und der japanischen Aerospace Exploration Agency geleitete Merkur-Mission, einen Bogen um den Planeten fliegt. Beide Sonden werden auf ihrem Weg Daten zur Venus sammeln, so dass die Wissenschafter einen seltenen Blick aus zwei Perspektiven erhalten, wie sich diese Phänomene im Lauf der Zeit ändern und wie sie sich vor und hinter dem Planeten unterscheiden. "Wir sind gespannt, was uns diese einzigartige Konstellation von zwei Raumsonden über die Magnetosphäre der Venus zeigen wird," freut sich Wimmer-Schweingruber. (red, 26.6.2021)