Nach vielen Monaten der Befragung ist der Wirecard-Bericht des U-Ausschusses fertig. Ein politischer Drahtseilakt mit offenen Fragen.

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Mehr als hundert Zeugen, tausende Seiten Beweismaterial und ein dicker Abschlussbericht: Der Wirecard-Untersuchungsausschuss in Deutschland hat ein Jahr nach Bekanntwerden des Bilanzskandals das Ergebnis seiner Arbeit präsentiert. Die Frage nach der politischen Verantwortung sparte der Bericht aus – Opposition und Union sehen jedoch neben einem Versagen von Finanzaufsicht Bafin und Wirtschaftsprüfern vor allem Finanzminister Olaf Scholz (SPD) in der Pflicht, die SPD sieht Scholz hingegen entlastet.

Aufstieg und Fall

Der Zahlungsdienstleister Wirecard war jahrelang fulminant aufgestiegen und hatte sogar die traditionsreiche Commerzbank aus dem Dax gedrängt. Das Unternehmen soll jedoch über Jahre systematisch seine Bilanzen gefälscht haben. Als das schließlich aufflog, musste Wirecard Ende Juni 2020 Insolvenz anmelden. Der einstige Konzernchef, der Österreicher Markus Braun, muss sich wegen Betrugs verantworten.

Der im Oktober eingesetzte Untersuchungsausschuss arbeitete monatelang die Vorkommnisse rund um Wirecard auf und untersuchte insbesondere das Vorgehen der deutschen Regierung und der ihr unterstehenden Behörden. Bei der Frage der politischen Verantwortung gingen die Meinungen jedoch auseinander. Neben Scholz wurde auch der langjährige Wirtschaftsprüfer EY gescholten. Die Union kritisierte die Tätigkeit von EY heftig. Der Skandal sei "ein Zeugnis des Versagens von Abschlussprüfern", sagte Matthias Hauer, Obmann der Unionsfraktion im Ausschuss. Ausschussmitglied Fritz Güntzler (CDU) fügte an, EY habe den Berufsstand "in Verruf gebracht".

"Kein Freispruch" für Scholz

Hans Michelbach (CSU), stellvertretender Vorsitzender im Ausschuss, sagte, der Abschlussbericht sei "kein Freispruch" für Scholz – die Frage nach der politischen Verantwortung bleibe darin aber ausgespart. "Das ist das bedauerliche Ergebnis unserer Koalition" mit der SPD. Die SPD-Fraktion habe sich schützend vor ihren Kanzlerkandidaten gestellt. Michelbach beklagte zudem, dass sich niemand aus der Politik bei den geschädigten Anlegern entschuldigt oder Bedauern geäußert habe.

FDP-Obmann Florian Toncar sagte mit Blick auf die anstehende Bundestagswahl, der Fall Wirecard beschädige Scholz’ politisches Ansehen "stärker als er zugibt". Dinge zu verharmlosen und dann wenig dazu zu sagen, sei "nicht die Art von Führung, die man braucht". Auch der Obmann der Linken im Ausschuss, Fabio de Masi, wurde deutlich: Der Fall Wirecard "klebt wie Pech und Schwefel" an dem Kanzlerkandidaten und Minister.

Die AfD forderte Scholz’ Rücktritt. Er sei der Minister, "in dessen Ressort der wesentliche Teil der Verantwortung für den Wirecard-Skandal fällt", heißt es im Sondervotum der Partei. (Reuters, bpf, 23.6.2021)