Morgens, 10.37 Uhr in Kindberg: Der Sonnenschirm ist bereits aufgespannt, ich nehme auf dem gelb-grün gestreiften Bankerl vor der Raiffeisenbank im steirischen Mürztal Platz. Die Sitzmöglichkeit dient nicht nur als Rastplatz: Es ist der "Bankerl-Express", auf dem sich niederlässt, wer eine Mitfahrgelegenheit in die Nachbarorte sucht. Die Mitfahrbankerln funktionieren wie Autostoppen – nur erspart man sich damit das mühsame Stehen an der Straße. Statt eines hochgestreckten Daumens gibt das Signal ein aufgespannter Schirm.

Redakteurin Franziska Zoidl wartet auf eine Mitfahrgelegenheit.
Foto: J.J.Kucek

Ein Glück, denn die Sonne brennt an diesem Tag vom Himmel – und das Warten auf eine Mitfahrgelegenheit könnte dauern. Denn Corona hat den Bankerln, die sich von der kleinen Gemeinde Stanz im Mürztal – meinem Ziel – in die Nachbargemeinden ausgebreitet haben, einen Dämpfer verpasst.

Wildfremde Menschen während einer Pandemie ins Auto steigen lassen? Das war zu Recht im letzten Jahr keine gute Idee. Jetzt, bei sinkenden Inzidenzzahlen, will ich es probieren. Und tatsächlich: "Wollen Sie mitgenommen werden?", fragt nach ein paar Minuten eine Seniorin, die ihr Rad abstellt, um ihre Maske aus der Tasche zu kramen. Bietet sie mir ihren Gepäckträger an? Leider nein. "Wird schon wer stehen bleiben", sagt sie, bevor sie ihr Rad Richtung Penny-Markt schiebt.

Ich probiere unterschiedliche Autostopp-Methoden. Setze erst eine Maske auf, um meine Bereitschaft, mich Corona-konform zu verhalten, zu signalisieren. Nehme sie aber wieder ab, weil das vermutlich seltsam wirkt. Grinse jedes Auto an. Suche Blickkontakt mit Fahrerinnen und Fahrern. Manche verlangsamen tatsächlich. Leider vergeht mein hoffnungsfrohes Grinsen, als sich herausstellt, dass sie nur zum Bankomaten in der Bank hinter mir wollen und einen Parkplatz suchen. Seufz!

Ein Auto bleibt stehen

Nach etwa 20 Minuten bleibt tatsächlich jemand stehen. Eine dunkelhaarige Frau in hellem Sommerkleid steigt aus und geht auf mich zu. Ist das meine Mitfahrgelegenheit? Jein. Es ist Andrea Reinhofer, die mich am Straßenrand entdeckt hat und begrüßen will. Die mittlerweile 25 Bankerln in den Gemeinden Kindberg, Stanz, Fischbach und Birkfeld gehen auf ihre Initiative zurück. Reinhofer sah die Mitfahrbankerln in Ostdeutschland – und beschloss, die Idee nach Hause zu importieren. 2017 hat sie die ersten Bänke mit einer Gruppe engagierter Stanzerinnen aus der örtlichen Arbeitsgruppe "Lebensqualität" aufgetrieben, angestrichen und aufgestellt. "Für so etwas braucht es Frauen", sagt Reinhofer stolz.

Die Mitfahrbankerln gehen auf die Initiative von engagierten Stanzerinnen wie Eleonore Weberhofer, Johanna Wild, Barbara Ebner (stehend) und Maria Dornhofer zurück (v. li. n. re.).
Foto: J.J.Kucek

Mit den Bankerln haben sie und ihre Mitstreiterinnen die Mobilität in der 1.800-Einwohner-Gemeinde zum Thema gemacht. Diese wurden von den Bewohnern ausprobiert, besprochen – und von manchen schlicht als "Touristengaudi" abgetan, was Reinhofer immer noch ärgert. Stanz ist flächenmäßig groß und verzweigt. Es gibt etliche Pendlerinnen und Pendler. Ohne Auto kommt man nicht weit. Vor vielen Häusern parken zwei oder drei Autos. Dieser Fokus aufs Auto bedeutet aber: Ältere oder Menschen, die nicht Auto fahren, haben es schwer.

Den Bankerl-Express gibt es auch anderswo. In der niederösterreichischen Region Tullnerfeld Ost wurden sie zum Beispiel im Rahmen eines Workshops mit einem Tischler gefertigt. 25 Bänke stehen nun über die Region verteilt. Vor Corona wurde zu einem Bankerl-Surfen geladen, einem Event, bei dem man von Bankerl zu Bankerl mitfahren konnte.

Diskussionen hat es im Vorfeld etwa über mögliche Haftungen gegeben, erzählt Rupert Wychera von der Klima- und Energiemodellregion Tullnerfeld Ost. Auch besorgte Eltern hätten befürchtet, dass ihre Kinder zu Fremden ins Auto steigen. Ein Mitfahren ist aber erst ab 16 Jahren erlaubt. Auch im oberösterreichischen Bezirk Freistadt stehen seit vergangenem Sommer in 13 Gemeinden Bänke, um Lücken in Öffi-Fahrplänen zu stopfen.

"Magst du mitfahren?"

Im Großen und Ganzen sei die Resonanz auf die Bankerln sehr positiv gewesen, berichten Initiatoren und Initiatorinnen der Bankerln im ganzen Land. Zahlen dazu, wie stark sie genutzt werden, gibt es freilich nicht. Landauf, landab wird aber auch betont: Mobilitätsprobleme auf dem Land lassen sich nicht durch Sitzmöbel lösen. Aber sie haben vielerorts zumindest dazu angeregt, sich Gedanken über die eigene Mobilität zu machen.

Die Bankerln haben in Stanz im Mürztal für Diskussionen gesorgt.
Foto: J.J.Kucek

In der Stanz wurde als Reaktion darauf beispielsweise der Busfahrplan wieder verdichtet. Und die Gemeinde selbst betreibt mittlerweile ein E-Taxi mit 16 Freiwilligen, die jene, die kein Auto haben, zum Einkaufen, zum Arzt oder auf die Bank bringen. Innerhalb des Ortes kostet das 2,50 Euro. Die Fahrt in den Nachbarort kommt auf 3,50 Euro. Das Angebot wird gut angenommen: 6.000 Euro hat die Gemeinde mit den Fahrten im Vorjahr eingenommen. Corona-bedingt wurde nun zwar pausiert. Demnächst geht es aber wieder los.

Um 11.08 Uhr warte ich immer noch auf eine Mitfahrgelegenheit. "Magst mitfahren?", ruft ein älterer Herr mit weißem Bart aus seinem blauen Seat. Endlich! Mit ein paar Handgriffen macht er den Beifahrersitz frei. Dann schlängeln wir uns auf der Straße hinein Richtung Stanz, während wir auf Radio Steiermark die passende beschwingte Musik hören. Günter Baumann heißt der Fahrer, und er erzählt, dass er beim Vorbeifahren immer schaut, ob jemand auf den Bankerln wartet. "Oft ist das nicht der Fall, aber immer wieder", sagt Baumann, der selbst in seiner Freizeit mit dem Stanzer E-Taxi fährt.

Teil der Mobilität umstellen

So wie auch Bürgermeister Friedrich Pichler von der Bürgerinitiative "Für eine lebenswerte Stanz", der als Hobbytaxler aus erster Hand hört, wo in der Gemeinde der Schuh drückt. Er sieht die Mobilität auf dem Land klischeebefreit: "Wir werden nie völlig eins mit dem Universum jede Strecke mit dem Rad fahren." Die Lkws mit dem für die Region wichtigen Holz würden nie verschwinden. "Und wer im Graben wohnt, dem kann ich nicht erklären, dass er im Winter mit dem Rad in die Arbeit fahren soll."

Bürgermeister Friedrich Pichler glaubt, dass es möglich ist, auch am Land einen Teil der Mobilität umzustellen.
Foto: J.J.Kucek

Pichler glaubt aber auch, dass es möglich ist, einen nicht so kleinen Teil der Mobilität umzustellen: Strecken bis zu drei Kilometer lassen sich oft zu Fuß erledigen, Strecken bis zehn Kilometer mit Fahrrad oder E-Bike. Vielleicht, hofft der Bürgermeister, könne man damit die Anschaffung eines Zweit- oder Drittautos überdenken. Mitte Juli bekommt die Gemeinde außerdem ein Lastenrad.

Am Ende des Tages nehme ich ein letztes Mal und nur für das Foto auf einem der Mitfahrbankerln Platz. Da bleibt ein Auto stehen: Der Herr Bürgermeister fragt, ob er mich mitnehmen soll. Danke, ich hab schon! Nur den Sonnenschirm muss ich noch abspannen. (Franziska Zoidl, 25.6.2021)