Die Donau wird in Wien gemeinhin eher nicht als integrierendes Element im Stadtgefüge wahrgenommen. Im Gegenteil wird gerne zwischen Trans- (links) und Cis-Danubien unterschieden.

Foto: Robert Newald

Wien – Richter Christian Gneist teilt netterweise eine höhere Weisheit mit dem Angeklagten Alaeddin K.: "Sie steigen künftig nicht mehr aus dem Auto, um jemanden etwas zu fragen. Das endet immer im Gerichtssaal." Am 19. April soll der 31-jährige Angeklagte das in Wien-Donaustadt nicht beherzigt haben, weshalb er sich nun wegen gefährlicher Drohung verantworten muss.

Es geht um einen Streit im Straßenverkehr. Der angeklagte Afghane sagt, er sei mit seinem Auto die Straße entlanggefahren, als er eine Notbremsung einlegen musste. Denn ein anderer Verkehrsteilnehmer, der 37 Jahre alte Christoph K., sei quer über die Straße in eine Parklücke gefahren. Das 14 Monate alte Kind des dreifach vorbestraften Angeklagten habe geschrien, auch er habe sich geschreckt. "Ich bin ausgestiegen und habe mit dem Mann geredet. Der hat geschimpft und gesagt: 'Kanake, lern Deutsch!'", erinnert sich der Angeklagte. "Mein Kind hat geschrien, der Mann nahm eine Waffe aus dem Kofferraum und wollte mich damit schlagen", behauptet K., der seiner Darstellung nach dem Schlag ausweichen konnte.

Angeklagter bestreitet Morddrohungen

Bei der "Waffe" handelte es sich genau genommen um einen etwa 50 Zentimeter langen Eiskratzer mit einem Wedel am anderen Ende. Dass der Angeklagte im Gegenzug gesagt haben soll, der Kontrahent solle froh sein, dass man nicht in Afghanistan sei, dort würde ihm der Kopf abgeschnitten, bestreitet K. entrüstet. "Da wäre ich ja verrückt! Ich habe schon Vorstrafen!", ist er sich sicher, keine Morddrohung ausgestoßen zu haben.

Zum Glück des Richters gibt es eine unabhängige Zeugin, die Gneist gleich als Erste einvernimmt. "Wir haben gerade getestet, es gab erst ein Hupkonzert und dann Geschrei", erinnert sich die Apothekerin, deren Geschäft ums Eck des Vorfallsortes liegt. Da die Situation bedrohlich klang, ging sie nachschauen. Sie sah den Angeklagten, der zum Gegner und dessen Frau irgendetwas in die Richtung sagte wie: "Gott sei Dank wissen Sie nicht, wen Sie vor sich haben!" Der Österreicher habe einen Eiskratzer in der erhobenen Hand gehalten, die Frau habe sich "furchtbar aufgeregt".

Die Frau habe ihr auch gesagt, sie sei bedroht worden, berichtet die Zeugin. "Haben Sie auch ausländerfeindliche Beschimpfungen gehört?", interessiert den Richter. Dass "Kanake" gefallen sei, kann die Zeugin definitiv bestätigen, generell sei der Umgangston selbst für Transdanubien nicht freundlich gewesen. Als sie wieder ging, "war nur noch Nachgeschimpfe. Vielleicht war mein weißer Mantel wichtig", glaubt sie an die Autorität der Dienstkleidung.

Zwei ominöse Lastkraftwagen

Zeuge Christoph K. ist der Nächste. "Wir wollten zur Apotheke fahren. Ich habe links eingeparkt, der Herr war noch weit genug weg. Sicher zwei Lkw-Längen", ist der 37-Jährige überzeugt. "Dann hat er plötzlich neben uns gebremst, ist ausgestiegen und hat herumgeschrien, dass er mich umbringt!", schildert der Zeuge. "Haben Sie auch geschimpft?", fragt ihn der Richter. Der Zeuge schüttelt entschieden den Kopf. "Irgendjemand soll gesagt haben 'Kanake, lern Deutsch?'", bohrt Gneist nach. "Kann sein", sieht der Zeuge in einer derartigen Aussage offenbar keine Unflätigkeit.

Er habe jedenfalls sicherheitshalber den Eiskratzer genommen. "Warum?", ist der Richter überrascht. "Ich weiß ja nicht, was der eingesteckt hat!", begründet der Zeuge das. "Man kann einem Streit auch aus dem Weg gehen", zeigt Gneist eine Alternative auf. Auf Nachfragen der Staatsanwältin kommt heraus, dass der Angeklagte damals von Anfang an von seinem Kind und einem Bremsmanöver gesprochen hat. "Aber es war genug Platz!", beharrt der Zeuge.

"Was wollen Sie von mir?"

Was auch seine 31 Jahre alte Freundin als nächste Zeugin bestätigt. "Es waren sicher zwei Lkw-Längen Platz", stellt sie klar. "Wie lange ist denn ein Lkw?", will der Richter wissen. "Das kann man nicht so sagen ...", ist sich die Zeugin unsicher. "Es ist nur, weil Ihr Partner vorher ebenfalls von zwei Lkw-Längen gesprochen hat. Haben Sie sich vielleicht abgesprochen?", fragt Gneist ruhig und mit Unschuldsmiene. "Nein. Nur über die Lkws. Als Beispiel für Sie", entgegnet die zusehends aufgebrachte Zeugin. "Sie können aber nicht sagen, wie lang ein Lkw ist", hält der Richter entgegen. "Nicht bös sein, was wollen Sie von mir? Ich bin das Opfer!", echauffiert sich die Zeugin. Und ergänzt noch, dass ihr Vater Fahrlehrer sei, sie deshalb Verkehrsgeschehen sehr gut einschätzen könne.

"Haben Sie den Angeklagten als 'Kanak' beschimpft?", fragt der Richter die Frau weiter. "Weiß ich nicht mehr. Aber ich weiß nicht, warum er in unser Land kommt und uns bedroht!", entrüstet die Zeugin sich. "Wir waren alle ein bissi aufgebraust", konzediert sie aber. Interessanterweise kann sie sich an einen konkreten Wortlaut einer Morddrohung durch den Angeklagten auch auf Nachfrage der Staatsanwältin nicht erinnern, ebenso wenig wie ihr Lebensgefährte.

Am Ende des Beweisverfahrens hat die Anklägerin noch eine Frage an den Angeklagten: "Da es mich jetzt interessiert: Wie viel Platz war ihrem Eindruck nach noch, als der über ihre Fahrbahn gekommen ist?" – K. überlegt kurz, sagt dann: "Ungefähr bis zum Fenster", was knapp zwei Pkw-Längen entspricht. "Zwei ganz kleine Lkws also", kann sich die Staatsanwältin nicht verkneifen.

Richterrüge für Polizei

Sie hat auch keinen Einwand, dass Gneist den Angeklagten freispricht. Es sei ein klassischer Streit im Verkehr gewesen, die unbeteiligte Apothekerin habe keine Drohung wahrgenommen, begründet der Richter. Die Polizei und die Staatsanwaltschaft rügt er, da im Ermittlungsverfahren nie jemand nach dem Eiskratzer gefragt hat, obwohl der Angeklagte diesen von Anfang an erwähnt hat.

"Danke, danke!", freut K. sich über das rechtskräftige Urteil, ehe ihm Gneist nochmals mit auf den Weg gibt, solchen Konflikten künftig aus dem Weg zu gehen. "Ich habe mein Auto eh verkauft", verrät der 31-jährige Angestellte noch, bevor er den Saal verlässt. (Michael Möseneder, 23.6.2021)