2020 war ein gutes Jahr für Nintendo. Trotz mangelnder Exklusivtitel, abseits von Animal Crossing und Paper Mario, verkaufte sich der hauseigene Hybrid überdurchschnittlich gut und ist auf bestem Wege, die Wii als Nintendos erfolgreichste Konsole abzulösen. Sollte der Softwarenachschub mal ausgehen, hat das japanische Traditionsunternehmen ein unfehlbares Ass im Ärmel: Mario.

Die Formel ist recht einfach: Man nehme eine beliebige Thematik (vorzugsweise Sport) und das Präfix "Mario". Mario Tennis, Mario Fußball, Mario und Sonic bei den Olympischen Spielen oder eben auch Mario Golf.

Zugegeben: Virtuelles Golfen wirkt auf den ersten Blick irgendwie unsexy und wird auch nicht derart viele Menschen hervorlocken können wie beispielsweise Fußball; allerdings ist Mario Golf: Super Rush einen Blick wert.

Ist das Spiel nur für leidenschaftliche Golferinnen und Golfer oder steckt in "Super Rush" ein Mario Party mit Schlägern?

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Birdie, Bogey, Eagle ... Bitte was?

Stürzen wir uns direkt in den Abenteuermodus, der die Singleplayer-Kampagne von "Mario Golf Super Rush" darstellt. Überraschenderweise steuern wir nicht Mario, Bowser oder Yoshi, sondern den hauseigenen Mii-Charakter.

Wir finden uns in einem Clubhaus wieder, wo wir als blutiger Anfänger die Grundlagen des Golfens kennenlernen und an die Story herangeführt werden. Die lässt sich mit "Golfe so lange, bis du richtig gut bist" zusammenfassen. Bis dahin heißt es: Vokabeln lernen.

Mein gesamtes Golfwissen stammt aus Wii Sports, weshalb ich anfangs etwas überfordert war, als mich ein Toad mit Wörtern wie "Bogey, Par, Rough, Spin" und "Pull Hook" zutextete. Glücklicherweise steht ein Golflexikon zur Verfügung, das sich jederzeit im Pause-Menü öffnen lässt, um den ganzen Kauderwelsch zu erläutern. Nach ein paar Runden hat man dann auch verstanden, worum es geht, und ist bereit für den Golfplatz.

Aller Anfang ist klassisch

Die ersten Löcher, die in Mario Golf: Super Rush gespielt werden, strotzen nicht vor Kreativität, es geht konservativ zur Sache. Vier Golfer, die nacheinander ihre Bälle so gut und schnell wie möglich ins Loch befördern. Für Profis mag das etwas streckend wirken, jedoch werden so neue Spieler langsam an die verschiedenen Schlägertypen und Möglichkeiten des Spiels herangeführt.

Wer das nicht nötig hat, kann einige Lehrstunden auch einfach schwänzen und überspringen.

Foto: Nintendo

100 Punkte in Angriff

Nach den ersten Partien ploppt ein Charakterbildschirm mit Erfahrungspunkten und verschiedenen Fähigkeiten wie "Stärke" oder "Ausdauer" auf.

Richtig gelesen. Der Einzelspielermodus von "Super Rush" bekommt einen Fähigkeitenbaum spendiert. Dieser bleibt allerdings recht simpel. Für jede Partie gibt's Erfahrungspunkte. Mit genug Erfahrungspunkten steigt man ein Level auf und darf einen Fähigkeitenpunkt investieren. Möchte man stärker schlagen oder schneller laufen?

Das Level- und Fähigkeitensystem hat keinen gigantischen Einfluss auf das Spielgeschehen; trotzdem ist es schön, nach einer verlorenen Runde das Gefühl zu haben, nicht umsonst auf dem Golfplatz gestanden zu sein.

Speed-Golf ist besser als normales Golf

Nachdem die Grundlagen gelernt sind und man weiß, wie man Wind, Schlagstärke, Spin und Terrain zum eigenen Vorteil nutzt, kommt nun eine Portion Nintendo dazu. Es kommt zur ersten Partie "Speed-Golf". Speed-Golf ist wie normales Golf, nur anders.

Alle vier Spieler schlagen ihre Bälle gleichzeitig. Statt aber automatisch beim Landepunkt des Golfballs zu starten, müssen die Spieler hinrennen. Dabei gilt es die Ausdauerleiste zu beachten und Sprints taktisch einzusetzen. Durch Herzen, die auf dem Golfplatz verteilt sind, füllt man seine Ausdauerleiste wieder auf und kann "Super-Sprints" einsetzen, um die lästigen Kontrahenten aus dem Weg zu räumen. Wer am schnellsten ist, gewinnt.

Golfen auf Profiniveau

"Mario Golf: Super Rush" fasst den Spieler anfangs mit Samthandschuhen an. Man wird sehr langsam und verständlich an das Spiel herangeführt, damit auch jeder Spaß am Golfen findet.

Spätestens in der zweiten Region des Einzelspielermodus zeigt das Spiel dem euphorischen Digitalgolfer aber seine Grenzen auf. Es gilt nun sechs Löcher mit begrenzten Schlägen auf einer riesigen Karte unter Zeitdruck in beliebiger Reihenfolge zu absolvieren. Weiters findet der Kurs in einer Berglandschaft statt, deren Höhenunterschiede nur mit Tornados überwunden werden können.

Obacht! Sollte man den eigenen Golfball im falschen Winkel, zu fest oder zu leicht in einen Tornado schlagen, könnte es dazu führen, dass sich der Ball am anderen Ende der Karte wiederfindet.

Foto: Nintendo

In der zweiten Welt des Spieles mutiert Mario Golf: Super Rush vom spaßigen Zeitvertreib zum knallharten Geschicklichkeitsspiel. Die Tornados stellen in den kommenden Regionen zwar keine Gefahr mehr dar, allerdings nehmen Vulkane, Eisplateaus, fleischfressende Pflanzen und Wasserfälle ihre Plätze ein. Auf bekannt abgedrehten Golfplätzen wird Mario Golf: Super Rush dann auch spaßig.

Achtet man nicht auf Wind, Drall, Hindernisse und Vulkanausbrüche, wird man im späteren Spielverlauf oft als Verlierer vom Platz gehen. Das motiviert Golfer-Neulinge sich genauer mit den Spielmechaniken auseinanderzusetzen. Ach ja: Bosskämpfe gibt es auch.

Wer hat Angst vorm bösen Golf?

Wem Naturkatastrophen auf dem Golfplatz zu langweilig sind, ist beim Battle-Golf bestens aufgehoben. Battle-Golf ist wie Speed-Golf – nur anders.

Das Prinzip vom Speed-Golf wird übernommen: gleichzeitig abschlagen, dem Ball hinterherrennen und einlochen. Der Unterschied findet sich in den Arenen. Klassische Golfplätze werden mit Stadien vertauscht, auf denen jeweils neun Löcher verteilt sind. Sobald ein Spieler ein Loch gemeistert hat, verschwindet es für alle anderen und die Jagd aufs Nächste beginnt. Wer als erster drei Löcher für sich beanspruchen kann, gewinnt.

Dazu gibt es in der Arena Sprintfelder, die den Spieler beschleunigen, Kettenhunde, die den perfekten Schlag mit ordentlich viel Rumms verhindern, und Bomben dürfen natürlich auch nicht fehlen. Der Battle-Modus ist wohl das, was man sich allgemein unter einem Mario Golf vorstellt: Sportart + Items x eine Prise Unfairness = Nintendo-Partyspiel.

Gruppengolfen

Während der Einzelspielermodus mit seinem Levelsystem und einer charmanten Hub-Welt einigermaßen überzeugen kann, stellt sich noch die Frage, ob der Multiplayer für spaßige Zockerabende taugt.

Im Mehrspieler stehen das klassische Golf, Speed-Golf in zwei Varianten und Battle-Golf zur Auswahl. Hier darf man jetzt auch mit 16 verschiedenen Nintendo-Charakteren spielen und den öden Mii aus dem Abenteuermodus ignorieren. Jeder Charakter hat unterschiedliche Ausprägungen in den Werten Schlagkraft, Schnelligkeit und Ausdauer sowie einen einzigartigen Spezialschlag. In der Praxis wählt man einfach den Charakter aus, der einem am besten gefällt, und verliert sich kaum in Wertetabellen.

Gemeinsam mit Freunden macht der Multiplayer kurzweilig Spaß, allerdings nutzen sich die unterschiedlichen Spielmodi schnell ab. Das klassische Golf wird schnell eintönig, und leider kommt auch beim Speed-Golf keine richtige Partystimmung auf. Spätestens wenn alle Level einmal mit Freunden absolviert wurden, verliert der Modus seinen Reiz.

Der Battle-Modus hätte den Mehrspieler-Part eventuell retten können, aber leider stehen anfangs lediglich zwei Arenen zur Auswahl, die sich dazu noch sehr stark ähneln. Selbst der kurioseste Modus geht im "Einmal spielen und dann nie wieder ansehen"-Prinzip unter.

Nicht alles, was glänzt, ist Golf

Nun gibt es also eine sehr überschaubare Anzahl an Levels, und auch die Multiplayer-Optionen werden schnell langweilig. Leider gibt es auch noch weitere Wermutstropfen. Um die wenig richtig spaßigen Karten mit Freunden spielen zu können, sind einige Stunden im Einzelspielermodus erforderlich, da diese erst freigespielt werden wollen.

Während das klassische Golf auf der Couch mit bis zu vier Personen gespielt werden kann, sind Speed- und Battle-Golf auf zwei menschliche Spieler begrenzt. Diese Entscheidung ergibt Sinn, da bei Vierer-Splitscreens wohl die Übersicht verlorenginge. Nichtsdestotrotz ist es schade, dass die potenziell unterhaltsamsten Modi lediglich zu zweit gespielt werden können.

Außerdem ärgern kleine Designfehler. So können Runden der KI nicht übersprungen werden, was beizeiten zu nervigen Wartemarathons führt.

Grüner Rasen und staubige Wüsten

Grafisch zeigt sich Mario Golf: Super Rush von einer grundsoliden Seite. Manche Texturen sind bei genauerem Betrachten zwar etwas verwaschen, jedoch sind die aufwendig animierten Spezialkurse derart liebevoll gestaltet, dass man gerne vergisst, eigentlich gerade ein Golfspiel zu spielen.

Foto: Nintendo

Die saftig grünen Wiesen und atmosphärischen Themenstrecken erledigen den Rest, um das Golferlebnis möglichst hübsch zu gestalten.

Die spielbaren Nintendo-Charaktere haben außerdem jeweils ein liebevoll designtes Golfer-Outfit spendiert bekommen. Bowser mit Turnschuhen oder Cowboyhut-Wario sind für mich ab jetzt Pflicht für jeden kommenden Nintendo-Titel.

Fazit

Mario Golf: Super Rush hält, was es verspricht. Es ist Golf mit Super Mario, inklusive abgedrehten Eigenheiten wie Superspezialultraschlägen und Items. Während der Einzelspielermodus im Laufe der "Story" zum absurd knackigen Geschicklichkeitsspiel mutiert, kann der Multiplayer-Part nur bedingt überzeugen. Zu wenige Welten, zu wenig Abwechslung und auch die Begrenzung auf zwei menschliche Spieler in manchen Modi lassen diesen Modus schnell langweilig werden.

Für Golf- und Mario-Liebhaber ist Mario Golf: Super Rush sicherlich einen Blick wert. Alle anderen können den Titel getrost an sich vorbeiziehen lassen. Für Zockerpartys eignet sich ein Mario Kart 8 oder Super Mario Party weitaus besser. (Maximilian Leschanz, 24.6.2021)