"Ich bewerbe mich nicht", sagt Markus Breitenecker im STANDARD-Gespräch über die ORF-Generalswahl.

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Wien – Markus Breitenecker bemüht sich um den ORF, aber bewerben wird er sich nicht, sagt er. Der Gründer und Geschäftsführer des größten österreichischen Privatfernsehkonzerns ProSiebenSat1Puls4 will das weitaus größte öffentlich-rechtliche Medienhaus des Landes an Bord holen – und möglichst viele andere aus der Branche auch.

Österreichs Medienhäuser und auch Medienpolitik beschwören Schulterschluss und Allianz seit Jahrzehnten, als sie sich noch als Verlagshäuser sahen, als Sender, und der ORF eine Anstalt war. Oft haben sie verhandelt, meist in großen Runden, und selten kamen sie alle auf einen tragfähigen gemeinsamen Nenner.

"Solche Allianzen sind sehr mühsam zustande zu bringen."

Breitenecker im STANDARD-Interview: "Man muss es selbstkritisch sagen: Solche Allianzen sind sehr mühsam zustande zu bringen. Es herrscht ziemliches Misstrauen in der Branche untereinander."

Seit Ende der 1990er geht es immer wieder etwa um gemeinsame Online-Plattformen, für Austausch und Vermarktung von Videos etwa, gemeinsame Werbevermarktung, gemeinsame Log-ins für österreichische Medienseiten. Mit Teilerfolgen wie der APA-Videoplattform und zunächst bilateralen Kooperationen wie jener von STANDARD und "Krone" in der programmatischen Online-Vermarktung unter dem Titel Napa.

Vielleicht nicht ganz zufällig vor der Jahresversammlung des Zeitungsverbands VÖZ am Donnerstag lud Markus Breitenecker zur Präsentation seines neuen Allianz-Anlaufs in Sachen gemeinsames Log-in, gemeinsame Werbetechnologie, gemeinsame Videovermarktung und der Videoplattform Zappn, die er schon länger als gemeinsamen "Austria Player" positioniert.

Nahe liegt für den ProSiebenSat1Puls4-Manager, für diese Allianzen auf Initiativen und Unternehmen aus dem großen deutschen Mutterkonzern zurückzugreifen.

  • Log-in

Als gemeinsames, schon funktionierendes Log-in empfiehlt sich aus seiner Sicht NetID Austria als österreichischer Ableger der gleichnamigen deutschen NetID-Stiftung, initiiert von ProSiebenSat1 und RTL-Gruppe. Die Magazingruppe VGN sei hier ab 2022 an Bord, sagt Breitenecker im Gespräch mit dem STANDARD. Weitere Unternehmen zeigten sich interessiert, wollten aber zunächst ihr eigenes Registrierungssystem etablieren und dann mit NetID verknüpfen. Die Daten blieben hier bei den Medienhäusern, NetID sorge für ein gemeinsames Passwort.

Ein großer Teil der österreichischen Medienhäuser hat die Nachrichtenagentur APA mit einer gemeinsamen Log-in-Plattform beauftragt. Dieses Projekt soll gegen Ende dieses Jahres starten.

  • Digitale Werbevermarktung

Gemeinsam vermarktete Onlinewerbung, programmatisch gebucht und platziert, sind ein langjähriges Allianzthema in der Branche. STANDARD, "Krone" und "Kurier" haben sich hier zur Initiative Napa zusammengeschlossen, ProSiebenSat1Puls4 will sich laut Breitenecker anschließen. Die Gründungspartner von Napa testen eine gemeinsame programmatische Lösung von Yieldlab von Virtualminds aus der ProSiebenSat1-Gruppe. ORF.at und andere große Anbieter verwendeten bereits Adtech-Lösungen von Virtual Minds, sagt Breitenecker.

Digitale Werbevermarktung beschäftigt Fernseh-Manager Breitenecker aber zumindest so sehr wie im Fernsehen. Das Branchenthema: Werbung gezielt ausspielen zu können wie Onlinevermarkter, allen voran Google. Hier spielt Red Bull eine tragende Rolle: Die Konzerntochter Red Tech hat schon seit Jahren ein Panel, das die Fernsehnutzung über mit dem Web verbundene TV-Geräte (Hbb-TV) in Echtzeit misst. Schon eine kleine Ewigkeit drängt Servus TV den Teletest-Trägerverband AGTT, diese Messmethode zu integrieren. "Es geht voran", sagt Breitenecker zum Verband. Er zollt Red Tech Respekt, die hier "das beste Angebot" hätten, und schwärmt von den Möglichkeiten: "Ich kann den Werbeblock in Echtzeit komponieren. Wenn ich weiß, dass gerade viele Frauen zuschauen, kommt in Echtzeit ein Frauenspot hinein. Ich muss das nicht Tage zuvor einbuchen."

Bei der Werbevermarktung kommt Breitenecker noch auf eine "Zukunfts-Finanzierungsform, an die wir glauben" einen Schritt jenseits der Werbung: "Shoppable TV – verlinkt auf die Shops der Anbieter", bei "Masked Singer" soll es mit Klick das passende Plüschtier zu kaufen geben, bei "2 Minuten 2 Millionen" Produkte der Start-ups. Der Anbieter, ProSiebenSat1Puls4, bekommt Prozente vom Verkauf.

  • Digitale Videovermarktung

Werbevermarktung in Onlinevideos sieht Breitenecker vorzugsweise beim Konzernunternehmen Glomex. ProSiebenSat1Puls4 mit Puls 24, Puls 4, ATV – in Deutschland auch schon eine Reihe weiterer Medien wie "Bild" – steuert Videocontent bei, der bei anderen Medienseiten ausgespielt wird. An Bord sind da in Österreich laut ProSiebenSat1Pul4 etwa "Krone", "Heute", VGN, Russmedia. ProSiebenSat1Puls4 vermarktet die Werbung zu den Onlinevideos; Produzent, Vermarkter und Ausspiel-Plattform dritteln die Einnahmen laut Breitenecker.

  • Streamingplattform

Nicht zum ersten Mal promotet Breitenecker die hauseigene TV-Streaming-App Zappn als "Austria Player", als gemeinsame Plattform. ORF 1 und ORF 2 sind dort auf den Plätzen 1 und 2 – davor kommt nur auf Platz "0" der hauseigene Nachrichtenkanal Puls 24 – und erst dahinter andere Konzernsender. Servus TV ist ebenfalls auf Zappn, das man als gebührenfrei und kostenlos bewirbt und als "beliebteste TV-App" im Land. Die Fußball-EM auf ORF 1 treibt gerade wieder die Downloads. .

Für Zappn arbeitet ProSiebenSat1Puls4 an einem persönlichen Empfehlungssystem wie bei großen Streamingdiensten, an Abstimmungsmöglichkeiten etwa für Shows oder Sport, Registrierung, Audio, vor allem Podcast, und passender, an große Streamingdienste angelehnte Netflix-Optik. Eigene Formate wie "Bauer sucht Frau" gibt es in der Zappn-Mediathek auch schon 48 Stunden vor TV-Ausstrahlung, weitere sollen folgen, womöglich auch bezahlter Premium-Content. Aber es bleibt bei Zappn vor allem Fernsehen, räumt Breitenecker ein.

"Österreichische Fiction geht nur mit Gebührenfinanzierung."

Sein Befund zu den Streamingmöglichkeiten in Österreich: "Fiction ist schwierig. Österreichische Fiction geht nur mit Gebührenfinanzierung. Hätten wir Gebühren, würden wir auch österreichische Fiction produzieren. Gegen Hollywood-Fiction anzutreten ist schwierig, das muss ich zugeben." Man unterscheide sich durch lokale News insbesondere mit Puls 24, lokales Entertainment – österreichische Shows und Dokusoaps – und kostenlosen Zugang.

Breitenecker bemüht sich um vergleichbare "User-Experience" wie bei den Streaminggrößen. Und: "Wir hoffen, dass nach oder neben Prime, Netflix, Disney der lokale Champion sind. Ich glaube nicht, dass wir die wieder zurückdrängen können, das wäre unrealistisch."

Allianzen nur ohne Einschränkung

Auch hier brauche es Allianzen, erklärt der ProSiebenSat1Puls4-Manager: Solche Allianzen funktionieren nur, wenn man den anderen nicht einschränkt und auch nicht sagt, was man bei ihm schlecht findet. Das ist vielleicht auch meine Erkenntnis."

Teilnahme an der Videovermarktung über Glomex schließe jene an der APA-Videoplattform nicht aus, sagt Breitenecker, und ebenso: "Die ORF-TVthek muss es geben, den Zappn-Austria-Player muss es geben. Ich möchte bewusst heute unerwarteterweise kein ORF-Bashing betreiben. Und nicht gegen den ORF argumentieren."

Kommt Breitenecker auch über die Lippen: Den ORF-Player muss es geben? Also das ORF-Großprojekt einer Streamingplattform, für die der öffentlich-rechtliche Medienkonzern auch online online und online first produzieren will?

"Ich bin weder Medienpolitiker noch im Wahlkampf."

"Muss, na ja. Ich kann nicht den ORF als Allianzpartner gewinnen, wenn ich ihm gleichzeitig ausrichte, was er nicht darf." Wie sieht er das – von Privatsendern heftig kritisierte – Streamingprojekt des ORF? "Ich konzentriere mich auf unsere Projekte. Ich bin weder Medienpolitiker noch im Wahlkampf, ich muss nichts ankündigen. Wir setzen das um, was technisch gut funktioniert. Wir konzentrieren uns auf den User, auf ein möglichst gutes Produkt. Wir wollen das mit österreichischen Partnern weitertreiben."

Nachsatz: "Ich glaube, man verschwendet ein bisschen zu viel Energie, wenn man versucht, alles über Gesetzgeber und Medienpolitik zu lösen." Die Frage laute: "Was können wir mit unseren Ressourcen tun, was können wir bauen, wie können wir uns in Kooperationen zusammenschließen, ohne ständig nach dem Gesetzgeber zu rufen. Manchmal ist es schon gut, wenn sich nichts verschlechtert."

"Ich bewerbe mich nicht."

Und will sich Breitenecker sicher nicht bewerben um die Führung des ORF-Generaldirektors ab 2022, die Ende Juni ausgeschrieben wird? "Sie stellen mir die Frage seit 20 Jahren." Und er hat sie in diesen 20 Jahren schon weniger klar beantwortet als heute mit: "Ich bewerbe mich nicht. Es hat natürlich Vorteile, wenn man sich aus Gebühren finanziert. Aber es hat Nachteile, dass man wahlkämpfen muss, bei der Politik sein muss. Unabhängigkeit ist ein hohes Gut. Ich bin glücklicherweise nicht im Wahlkampf." (fid, 24.6.2021)