Ja, ja, ja, jetzt wird wieder auf den Boden gespuckt und Fußballspielern dabei zugeguckt. Ist ja auch Europameisterschaft. Und da mich dieser Sport kaum interessiert, meine Kinder dafür aber umso brennender, schauen wir gelegentlich gemeinsam, und ich habe viel Zeit, mich mit eher abseitigen Details zu beschäftigen. Zum Beispiel mit dieser merkwürdigen Spuckerei. Zunächst einmal habe ich ganz subjektiv den Eindruck, dass es im Vergleich zu früheren Fußballspielen, die ich gesehen habe, deutlich weniger geworden ist. Vielleicht ist es eine geschicktere Kameraführung, vielleicht die Vorgaben hinsichtlich der Corona-Maßnahmen, oder vielleicht hat sich seit den Tagen, als Frank Rijkaard Rudi Völler in die Haare spuckte, auch grundsätzlich etwas geändert.

Foto: Imago Images/ANE Edition

Wie die Spuckmassaker in meiner Erinnerung sieht es jedenfalls nicht mehr aus. Trotzdem frage ich mich bei dem gelegentlichen Hingerotze, was das eigentlich soll. Also nicht nur bei Fußballern, sondern ganz allgemein. Wieso machen Menschen das? Oder muss die Frage nicht doch eher lauten: Wieso machen Männer das?

Wobei ich mich schon dunkel an eine Castingshow in den Nullerjahren zu erinnern glaube, in der eine Teilnehmerin einer anderen ins Gesicht gespuckt hat.

Und dass eine Fußballspielerin vor ein paar Jahren mal vom Platz geschickt wurde, weil sie einer Schiedsrichterin vor die Füße gespuckt hat, habe ich auch noch im Kopf, weil es damals durch die Presse ging.

Aber mehrheitlich sind es dann doch Jungen und Männer. Beim Fußball. Auf dem Schulhof. An der Bushaltestelle. Im Park. Allein und in Gruppen.

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Jetzt wäre es natürlich einfach, sofort die "ekelhaftes patriarchales Reviermarkieren"-Karte zu ziehen, aber mir ist irgendwie nicht danach. Die hebe ich mir gegebenenfalls für später auf. Denn erstens bin ich dafür zu neugierig und will wirklich wissen, wie das nun genau ist, und zweitens kratze ich ab und an auch mal ganz gerne an meinem Ruf als männerhassender Geschlechtsverräter. Also fangen wir von vorne an: Physiologische Gründe wären möglich. Wenn Spieler die ganze Zeit über das Feld rennen, fangen sie irgendwann an, auf Mundatmung umzuschalten, die Schleimhäute trocknen aus, und die Spucke wird zu einem schwer schluckbaren Schleim. Irgendwo muss der ja hin, wenn das mit der Atmung noch einigermaßen funktionieren soll.

Kultur- und geschlechtsübergreifendes Spucken

Aber Hallenfußballer spucken nicht auf den Parkettboden. Andere Sportler scheinen keinen Hang zu exzessivem Gespucke zu haben. Und für Nichtsportler gilt: So körperlich anstrengend ist an Bushaltestellen rumzuhängen nun auch nicht.

Spucken könnte einen kulturellen Hintergrund haben. Aber wenn dem so ist, dann ist dieser Hintergrund zumindest nicht eindeutig und überall gleich. Gespuckt wird durchaus kontextbezogen. Nicht nur verächtlich, sondern auch in die Hand, bevor man einschlägt, um eine Vereinbarung zu besiegeln. Oder um im übertragenden Sinn besagtes Bruttosozialprodukt zu erhöhen. Schauspielerinnen und Schauspielern wird vor den Auftritten Glück gewünscht, indem man dreimaliges Spucken über die linke Schulter zumindest andeutet. Gespuckt wird auch geschlechtsübergreifend: Wenn in Griechenland jemand ein Kompliment macht, ist es üblich, dass diese Person die Ernsthaftigkeit ihrer Aussage durch den onomatopoetischen Spucklaut "Ftou!" unterstreicht, damit dem Gegenüber nicht durch verborgene missgünstige Absichten ein "böses Auge" angehängt wird. Und in China spucken insbesondere ältere Frauen und Männer so gerne, dass zur Olympiade 2008 riesige Antispuckkampagnen gefahren wurden, um die Gäste nicht zu verschrecken.

Soziale Spuckerei

Dem Auf-den-Boden-Gespucke junger Männer und insbesondere fußballspielender junger Männer scheint man mit diesen Überlegungen nicht wirklich auf die Spur zu kommen. Bleibt noch der nach hinten verschobene Eingangsverdacht: soziales Spucken. Spucken als Reviermarkierung, Inbesitznahme, Ausdruck der Verachtung des Gegners, Frustabfuhr nach vergebenen Chancen. Als "symbolische Befreiung von Blockaden", wie es der Sportpsychologe Heinz-Georg Rupp einmal bezeichnete. Als Markierung von Männlichkeit. Dass Identität und Zugehörigkeit spezifisch bezeugt werden wollen, ist ja zunächst einmal unproblematisch. Aber muss es denn ausgerechnet Spucken sein? Das war schon überflüssig und eklig, als es im letzten Jahrhundert gegen die Tuberkulose ging.

Können wir nicht lieber etwas anderes nehmen? Ich könnte Sie zum Beispiel bei Erstkontakt zum Essen einladen, um meine Männlichkeit zu beweisen. Oder Männer tauschen beim Kennenlernen die Schuhe und machen symbolisch fünf Schritte, um sich in die Situation des anderen zu versetzen. Männlichkeit beweisen durch ritualisiertes Händewaschen. Gedichte extemporieren. Gewaltfreiheit. Spezielles Schuhwerk. Beim Auswechseln ein Auge zukneifen und dreimal mit dem kleinen Finger wackeln. Was weiß ich. Alles besser als dieses ostentative Rumgerotze. Wenn ich das noch einmal sehe, spucke ich wirklich Gift und Galle. (Nils Pickert, 10.7.2021)