Camilla Nylund (Chrysothemis) und Elektra (Aušrinė Stundytė).

Pöhn

Wien – Als das Publikum vergangenen September die Rückkehr von Harry Kupfers Elektra-Inszenierung an der Wiener Staatsoper feierte, hatte Aušrinė Stundytė gerade ihr Salzburger Debüt gegeben. Nun gab sie die Rachesüchtige an der Wiener Staatsoper. Und: Draußen drückend-schwüle Hitze, drinnen wird einem jedoch kühl, wenn etwa Elektra unter dem Grollen der Kontrabässe die dunkle Bühne betritt. "Wo bist du, Vater?", klagt sie unter der monströsen Agamemnon-Statue und offenbart all ihren Schmerz, all die Wut und Verzweiflung, die in den folgenden 100 Minuten dominieren wird. Virtuos stürzt sich Stundytė in emotionale Abgründe der Partitur, um im nächsten Augenblick mit expressiver Lyrik zu verführen.

Kälte und kaltblütig

Wunderbar, wie sie Körper, Mimik und Stimme zwischen Dramatik und Süßholzraspeln changieren lässt. Großartig ihr Spiel zwischen grellem Licht und zersetzender Dunkelheit und beklemmend, mit welcher Kälte sie der nicht minder kaltblütigen Mutter entgegentritt. Michaela Schuster strahlt als Klytämnestra Furcht aus. Greifbar wird das Grauen, wenn Elektra triumphierend jauchzt: "Ich steh da und seh dich endlich sterben!" Überragend auch die dritte Frau im Bunde, also Camilla Nylund als Chrysothemis. Da tun sich die Männer schwer.

Derek Welton ist zwar ein elegant timbrierter Orest, ganz abkaufen will man ihm die Mordlust jedoch nicht. Und Jörg Schneider hat es (als Aegisth) nicht leicht, gegen das Orchester anzusingen. Was sich im Graben abspielt, sucht allerdings seinesgleichen. Ein grandioser Franz Welser-Möst durchwandert mit dem Staatsopernorchester die Abgründe von Strauss’ Partitur. Grell sind die Dissonanzen, es blitzt und donnert, ehe sich Welle um Welle immer wieder ein tosender Sturm entlädt. (Miriam Damev, 24.6.2021)