Seit 2018 muss die deutsche Kanzlerin Angela Merkel persönlich im Bundestag erscheinen, um die Abgeordneten zu informieren. Jetzt ist Schluss.

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Besonders wehmütig schaut Angela Merkel am Mittwoch, als sie auf der Regierungsbank des Bundestags ihren Platz einnimmt, nicht aus. Wie oft ist sie hier gesessen in den vergangenen 16 Jahren, seit Amtsantritt im Jahr 2005? Vermutlich gibt es irgendwo eine Chronik, in der auch das festgehalten ist.

Zwar wird sie noch ein paar Monate im Amt sein, aber es beginnt jetzt in Berlin die Zeit des Abschiednehmens. Am Dienstag sprach sie zum letzten Mal als deutsche Bundeskanzlerin am Tag der Industrie, auch am Bauerntag ist sie noch einmal als Rednerin geladen worden.

Und im Bundestag geht ebenfalls an diesem Mittwoch etwas zu Ende. Zum letzten – und zehnten – Mal muss Merkel die Fragen der Abgeordneten beantworten. Dieses Format, das die Opposition und auch der SPD-Koalitionspartner unbedingt wollten, wurde erst 2018 in den Koalitionsvertrag geschrieben.

Keine Redeschlachten

Seither muss Merkel dreimal im Jahr persönlich dem Hohen Haus Rede und Antwort stehen. Wirklich ins Schwimmen kam sie nie. Vielmehr zeigte sich bald, dass sich viele Abgeordnete an ihr mühsam abarbeiten, Redeschlachten wie im britischen Parlament blieben aus.

Doch diesmal soll ein bisschen Wahlkampf stattfinden, zumindest aus Sicht der SPD. Deren parlamentarischer Geschäftsführer, Carsten Schneider, ist sauer, weil CDU-Chef Armin Laschet und CSU-Vorsitzender Markus Söder einen "Kassensturz" für die Zeit nach der Bundestagswahl am 26. September angekündigt haben.

Misstrauen der Union

Er interpretiere dies als "Misstrauen" gegenüber Finanzminister Olaf Scholz, der ja auch SPD-Kanzlerkandidat ist, klagt Schneider und fragt die Bundeskanzlerin, ob sie seine Meinung teile.

Das tut sie natürlich nicht und antwortet mit leichter Ironie: "Ich würde Sie erst mal beruhigen." Scholz schaue dauernd in die Bücher, "für mich ist das ein ganz normaler Vorgang". Gelächter im Saal.

Am Mittwoch hat Merkels Kabinett einer Nettokreditaufnahme von knapp 100 Milliarden Euro für den Haushalt 2022 zugestimmt. Wie es dann danach weitergehe, will Schneider wissen. Merkel zückt einen Zettel und liest ihm die geplante Neuverschuldung für die kommenden vier Jahre genau vor.

Weniger Sozialwohnungen

"Stimmt das mit Ihrem Wissen überein", fragt sie Schneider. Der lässt sich auf seinen Sessel sinken.

Eine Belehrung bekommt auch Caren Lay (Linke) mit auf den Weg. Sie beklagt, dass in Merkels Amtszeit das Angebot an Sozialwohnungen um die Hälfte geschrumpft sei, und fragt: "Sind Sie zufrieden?"

Der Bund habe fünf Milliarden Euro investiert, obwohl ja die Länder zuständig seien, kontert Merkel und sagt dann: "Da, wo die Linke mit in der Regierung ist, etwa in Berlin, unterscheidet sich die Situation nicht signifikant von anderen Bundesländern." Unruhe bei den Linken. Merkel schiebt nach: "Das ist nicht zynisch, das ist ein Sachverhalt."

Oliver Krischer von den Grünen will wissen, ob Merkel mit dem, was in den vergangenen 16 Jahren beim Klimaschutz passiert ist, zufrieden sei. Merkels Antwort: "Wenn ich mir die Situation anschaue, kann kein Mensch sagen, dass wir genug getan haben. Die Zeit drängt wahnsinnig. Ich kann die Ungeduld der jungen Leute verstehen."

Keine Werbung für Frau

Nicht nachvollziehen kann sie hingegen einen Gedankengang der grünen Abgeordneten Ulle Schauws. Sie möchte wissen, ob Merkel sich im Sinne der Frauenförderung eine Frau als Nachfolgerin wünscht – was natürlich ein Hinweis auf die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock ist.

Doch Merkel schmunzelt nur kurz und sagt: "Ich bin der Meinung, dass nach 16 Jahren Angela Merkel die Bürgerinnen und Bürger mündig genug sind, zu entscheiden, wen sie gerne als Kanzlerin oder Kanzler hätten." (Birgit Baumann aus Berlin, 23.6.2021)