Man kann darüber spekulieren, ob es Ursula von der Leyens scharfe Worte – "Schande"– gegen das ungarische Anti-LGBTQI-Gesetz waren, die Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) umschwenken ließen. Oder ob Edtstadler, wie es aus ihrem Umfeld heißt, wirklich nur auf die Kommissionsentscheidung warten wollte, um sich der Resolution der EU-Staaten gegen die neuen Bestimmungen der Regierung von Viktor Orbán anzuschließen. Die Optik, die 18 Stunden lang vorgeherrscht hat, war auf alle Fälle schmählich.

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Gegen das ungarische Anti-LGBTQI-Gesetz Protestierende in Budapest.
Foto: REUTERS/MARTON MONUS

So aber hat Österreich die Kurve doch gekratzt und sich durch die Entscheidung der Ministerin, dem Protest beizutreten, als westeuropäisches Land deklariert. Als ein Land, in dem jede auf Freiwilligkeit basierende sexuelle oder Gender-Orientierung akzeptiert wird und für das eine Regelung, die Minderjährigen den Zugang zu freien Informationen über andere als heterosexuelle und heteronormative Lebensentwürfe abschneidet wie jetzt in Ungarn, inakzeptabel ist.

In zehn EU-Staaten ist das nicht der Fall. Tatsächlich beeindruckt in Sachen Resolution ein Blick auf die Europakarte. Sie zeigt: Die Union ist zweigeteilt, mit einer 17-Staaten-Gruppe von Missbilligern des Orbán’schen Gesetzes im Westen und Norden, während sich im Osten die Befürworter um Ungarn scharen. Ihnen widerstrebt die neuerliche harte Verurteilung des politisch nach rechts abgedrifteten Landes durch die Kommission – und sie sind gar nicht so wenige.

Antiliberalen und antiaufklärerischen Tendenzen

Doch auch wenn unter den EU-Staaten die Mehrheit derzeit klar pro Liberalität in Sachen LGBTQI ist: Es erscheint keineswegs ausgeschlossen, dass es, mit sexuellen Minderheiten als Sündenböcken, zu einer weiteren Stärkung der antiliberalen und antiaufklärerischen Tendenzen in und um Ungarn kommt. Die dort herrschende politische Agenda ist rechts und identitär. Sie weist missionierende Züge auf, will also überzeugen – die im deutschen Fulda unterrichtende ungarische Kulturwissenschafterin Magdalena Marsovszky hat das am Dienstag in einer Ö1-Diskussion überzeugend ausgeführt.

Ein solches politisches Programm ist mit den Werten, für die die EU seit ihrer Gründung und bis heute steht, nicht vereinbar. Doch die Möglichkeiten der Union, dagegen vorzugehen, sind beschränkt. Das ist bei aller von der Leyen’schen Wortgewalt ein großes Problem.

Österreich ragt – nun also doch liberal – schon rein geografisch in die Gruppe der LGBTQI-Gegner-Länder hinein. Diese Übergangsposition zeigt sich seit langem auch inhaltlich, mit der ÖVP als einer seit Jahrzehnten politikbestimmenden Partei. Rot-Grün-Liberal forderte, Schwarz – und seit Strache als FPÖ-Parteichef auch Blau – bremste und verhinderte die volle Homosexuellengleichstellung sowie etwa auch einen großzügigen Zugang zu Personenstandsänderungswünschen von Transgenderpersonen.

Tatsächlich wurden in Österreich Gesetzesänderungen, die LGBTQI-Personen nutzen, meist nicht politisch, sondern von den Höchstgerichten in die Wege geleitet. Das zog sich von der Abschaffung des Verbots der männlichen Prostitution 1989 bis zur Einführung der Ehe für alle 2019. Für das Streichen eines Gesetzes jedoch, das dem jetzt in Ungarn eingeführten ähnelte, gab es eine parlamentarische Mehrheit. Paragraf 220 StGB – das homosexuelle Werbeverbot – wurde 1997 einkassiert. Dass eine vergleichbare Regelung unter Orbán wiederauferstanden ist, zeugt von einer politischen Regression. (Irene Brickner, 23.6.2021)