Die Reisewelt steht vor einem Neustart. Hoffnungsfroh blickt die Tourismusbranche auf sinkende Inzidenzen und die damit einhergehenden Reiseerleichterungen. Damit rückt auch ein Thema wieder mehr in den Fokus, das touristische Hotspots wie Venedig, Amsterdam oder Barcelona vor der Pandemie vor große Probleme stellte: Overtourism. Und die Frage: Wird es wieder so schlimm wie vorher?

Ein ungewohnter Anblick: eine verwaiste Karlsbrücke – die Pandemie hat Prag leergefegt und gab den Einwohnern Gelegenheit, ihre Stadt neu zu entdecken.
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Wenn es nach der Stadtverwaltung von Prag geht, nicht. Die tschechische Hauptstadt ist eine der meistbesuchten Städte Europas. 2019 kamen neun Millionen Besucher, in etwa so viele wie nach Rom, das doppelt so groß ist wie Prag. Folgt man der offiziellen Statistik, hat sich die Zahl der Besucher in Prag 2020 durch Reisebeschränkungen um mehr als 73 Prozent reduziert.

Schlecht für die Wirtschaft, gut für die Bürger

Während das Ausbleiben der Touristen für die Wirtschaft katastrophal war, war es für viele Bürger der Stadt eine Offenbarung, als sie plötzlich in der Lage waren, ihre Stadt zurückzuerobern und deren Schönheit wiederzuentdecken. Die (Sauf-)Touristen waren weg – Prags historisches Zentrum wurde wieder bewohnbar. Die politischen und kommunalen Entscheidungsträger versuchen nun, einen Weg zu finden, wie es auch nach der Rückkehr der Touristenmassen so bleiben kann.

Wie andere Städte in ähnlicher Situation hat Prag einen Nachtbürgermeister eingesetzt, dessen Aufgabe es ist, einen besseren Weg zu finden, mit den Menschenmassen umzugehen. "Während der Pandemie haben wir daran gearbeitet, die Rahmenbedingungen für den Tourismus in Prag zu verbessern", sagt Prags Bürgermeister Zdeněk Hřib gegenüber der Deutschen Welle. Die Stadt habe betrügerische Wechselstuben und andere Touristenfallen geschlossen, erklärt er. Sie seien eine "Schande für Prag" gewesen.

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Die Pandemie hat den Tourismus in Amsterdam praktisch zum Stillstand gebracht.
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Außerdem sollen in Zukunft gezielt Veranstaltungen außerhalb des Stadtzentrums und in der Nebensaison mehr Förderung erhalten. Man sei bestrebt, Prag als mehr als nur eine Junggesellenparty-Destination neu zu erfinden und mehr Touristen anzulocken, die die Tatsache respektieren, dass der Tourismus das Leben der Einheimischen nicht beeinträchtigen darf. Dazu gehört auch, dass man das Angebot von Airbnb-Wohnungen limitieren will.

Airbnb & Co eindämmen

Dass der politische Wille zur Veränderung da ist, sieht man auch an Amsterdam. Im Jahr vor der Pandemie kamen knapp 22 Millionen Touristen – mehr als 25 Mal so viele Menschen wie in der niederländischen Hauptstadt leben. 2030 könnten bis zu 32 Millionen Besucher pro Jahr kommen, schätzt das niederländische Tourismusbüro. Nicht zuletzt will man den Partytourismus in die Schranken weisen, speziell im Rotlichtviertel: künftig sollen Coffeeshops Einheimischen vorbehalten bleiben, wie in anderen Teilen der Niederlande. Das Bild des betrunkenen und zugedröhnten Touristen, der durch die Stadt torkelt, soll der Vergangenheit angehören. Die Stadtregierung hat deshalb während der Pandemie weitere Maßnahmen ergriffen, um das Rotlichtviertel weniger attraktiv für Touristen und ansprechender für Einheimische zu machen.

Allerdings gibt es auch Rückschläge: Im Juni vergangenen Jahres erließ sie ein Verbot für die Vermietung von Ferienimmobilien, inklusive Airbnb und Co, in drei Innenstadtbezirken. Mitte März wurde es allerdings von einem Gericht gekippt. Die Stadt will dennoch einen Weg finden, um das Verbot in der Innenstadt aufrechtzuerhalten.

Die Renaissance-Stadt Florenz hat mit Rinasce Firenze ein eigenes, zwei Milliarden Euro schweres Programm am Start. Das Ziel ist ein nachhaltigerer Tourismus, der dazu beitragen soll, dass Florenz grüner und sozialer wird – etwa durch bessere Gestaltung des öffentlichen Raums und die Verteilung von Gästen ins Umland. Dazu beitragen soll die Initiative Uffizi Diffusi. Der Plan: Die gesamte Toskana soll eine dezentrale Galerie werden. Kunstwerke aus der Stadt sollen im Umland zu besichtigen sein, die jeweiligen Dörfer und Gemeinden mit Wander- und Radwegen miteinander verbunden werden. So sollen die Touristenströme besser verteilt werden.

Kreuzfahrtschiffe in der Lagunenstadt: ein Bild, das der Vergangenheit angehören soll.
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Bleiben wir in Italien und bei einer Stadt, in der es schon länger gärt: Venedig. Die Lagunenstadt ist ein Negativbeispiel dafür, was der Massentourismus anrichtet – allen voran die massive Verteuerung des Wohnraums. Vor allem die Kreuzfahrtschiffe sind für viele zum Symbol dafür geworden, was im Tourismus falsch läuft.

Steuer für Tagestouristen in Venedig

Der Protest wurde immer lauter, die Politik sah sich gezwungen zu handeln. Anfang April beschloss die italienische Regierung, Kreuzfahrtschiffe aus der Lagune zu verbannen. Sie sollen nun rund zehn Kilometer entfernt im Industriehafen von Marghera anlegen. Der Bau eines neuen Kreuzfahrtterminals ist bereits in Planung. Kritikern geht das jedoch nicht weit genug. Sie fordern eine Begrenzung der Anzahl der Schiffe, die pro Tag in Venedig anlegen dürfen, ähnlich wie sie die kroatische Küstenstadt Dubrovnik bereits 2019 eingeführt hat. Maximal zwei dürfen dort pro Tag seither einlaufen. Nur eine von vielen Maßnahmen der Stadt, um den steigenden Menschenmassen gerechter zu werden und künftig einen ruhigeren Tourismus zu etablieren.

Überwachungskameras und die Erfassung von Handydaten: So will Venedig die Touristenströme besser lenken. Nach mehrfacher Verzögerung soll ab 2022 außerdem die geplante Steuer für Tagestouristen eingeführt werden. Die Höhe der Abgabe soll sich danach richten, wie stark die Stadt besucht ist. Wer in Venedig übernachtet, ist von der Abgabe befreit. Die Stadtverwaltung will damit Gäste länger in der Stadt halten und so einen nachhaltigeren Tourismus aufbauen.

Auch Barcelona möchte die Touristenmassen in neue Bahnen lenken.
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"Barcelona wie nie zuvor" – damit wirbt die katalanische Hauptstadt wieder verstärkt um Besucher. Und dennoch will man auch hier Qualitätstourismus, will man sich von den Menschenmassen verabschieden: Schon vor der Pandemie hatte die Stadt eine der schärfsten Regeln für Touristenunterkünfte. Hotels und Pensionen bekommen keine Lizenzen mehr in der Innenstadt. Und auch Kurzzeitvermietungen sind streng reguliert. Im Februar hat die Stadtregierung die Regelungen noch einmal verschärft. Vermieter dürfen nur Zimmer in ihrer eigenen Wohnung vermieten, wenn der Gast mindestens 30 Tage bleibt. Und da das die wenigsten Touristen tun, kommt die Maßnahme einem Verbot von Kurzzeitvermietungen gleich. Reisebusse sollen gleich gar nicht in die Stadt kommen, sondern die Tagestouristen schon vor der Innenstadt ausladen.

Weg von den Hotspots

Reisende werden zudem mehr Informationen über Sehenswürdigkeiten abseits der beliebtesten Sehenswürdigkeiten erhalten. Dabei sollen auch Projekte wie die neue App "Check Barcelona" helfen. Die App zeigt Nutzern beispielsweise, wo es gerade zu voll ist – und schlägt einen weniger stark besuchten Ort vor. Außerdem können Tickets direkt in der App gebucht werden, womit Wartezeiten bei Sagrada Família & Co verringert werden sollen.

Nicht nur in Europa wurde die erzwungene Atempause für die Ausarbeitung neuer Konzepte und Initiativen genutzt. Zahlreiche Länder sind dabei, die Touristenströme in neue Bahnen zu lenken. Die Rezepte scheinen dabei einem ähnlichen Muster zu folgen wie in Europa. Thailand und Mexiko zum Beispiel wollen die weniger besuchten Provinzen stärker bewerben. Und so, im Falle von Mexiko, Besucher weg vom Strand von Cancún oder den Ruinen von Chichén Itzá und in kaum beachtete Regionen locken. Unter dem Motto "Sustainable Mexico Reborn". (max, 30.6.2021)