Marco Schreuder, Grünen-Bundesrat und Aktivist der LGBTQI-Community, schreibt in seinem Gastkommentar über die Probleme, die das LGBTQI-feindliche Gesetz in Ungarn bringt, und über die wichtigen Reaktionen aus anderen EU-Staaten.

Zahlreiche Studien – von der Grundrechteagentur der Europäischen Union bis zum Deutschen Jugendinstitut – veröffentlichen seit Jahren überraschende Zahlen. Acht von zehn Jugendlichen, die sich als Teil der LGBTIQ- Community identifizieren, erleben Mobbing, Diskriminierungen, oft sogar psychische und physische Gewalt. Nur eine Minderheit der gleichgeschlechtlichen Paare traut sich, öffentlich Händchen zu halten. Alle Studien zeigen auch: Je offener eine Gesellschaft, je mehr Gleichstellung im Recht vorhanden ist, desto geringer die Diskriminierungen, desto geringer die Gewalt, desto größer die Akzeptanz.

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In Budapest wurde im Vorfeld vergeblich gegen das LGBTQI-feindliche Gesetz demonstriert. Die EU-Kommission will nun mit aller Härte gegen das Gesetz vorgehen.
Foto: Reuters / Marton Monus

Wer in der Pubertät seine Sexualität entdeckt und bemerkt, nicht den Normen und Erwartungen, die die Familie, Freundinnen und Freunde, Religion, Mitschülerinnen und -schüler an einen haben, zu entsprechen, ist erschüttert. Es ist alles andere als lustig, wenn man etwa die Oma anlügt, wenn sie fragt, ob man denn schon eine Freundin habe, man aber von einem Freund träumt. Wenn man noch nicht so recht weiß, was diese Träumerei denn nun überhaupt bedeutet. Die Pubertät ist ohnehin schon eine schwierige Zeit. Jeder queere Erwachsene, der sich erinnert, wird von seinen Sorgen und seiner Furcht in dieser Phase erzählen können.

Daher sind Unterstützungsmaßnahmen für die Jugend so wichtig. Gerade deshalb arbeiten weltweit zahlreiche Menschen aus der Sozialarbeit, aus der Psychologie und aus der Pädagogik Programme, Broschüren, Ratgeber aus und betreiben Webseiten, um zu helfen, Zuversicht und Lebensfreude zu vermitteln. Ziel ist es, mit sich selbst hadernde Jugendliche zu stärken und zu unterstützen – und gleichzeitig Hass, Mobbing und Diskriminierung anzusprechen und zu verhindern.

Häufig gehörte Reaktion

Ungarn will nun genau das verbieten, was auch in anderen Ländern wie Russland (oder bis 1996 in Österreich) verboten ist: "Werbung für Homosexualität und Transsexualität". Gemeint ist dabei aber nicht nur der Ikea-Spot mit zwei Männern, die eine Wohnung einrichten, oder ein Plakat mit zwei Frauen, die sich lieben, sondern vor allem Broschüren mit Coming-out-Beratung, Aids-Aufklärung, Werbung für Vielfalt, Akzeptanz und Toleranz. Wer sich die Krisenanfälligkeit der Jugend in Erinnerung ruft und auch berücksichtigt, dass Suizidgedanken erschreckend oft queere Jugendliche betreffen, muss wissen: Ein Werbeverbot kann Krisen verstärken und Menschenleben kosten.

Eine häufig gehörte Reaktion auf die Gesetze in Ungarn ist die Frage, warum Ungarn überhaupt noch Teil der Europäischen Union sei. Vor allem in den sozialen Medien macht sich diese Frage breit und findet immer mehr Anhänger. Hier lohnt sich, etwas Abstand zu nehmen, politisches Hickhack und Rachegelüste hintanzustellen und wieder die Gruppe in den Vordergrund zu rücken, um die es wirklich geht: die queere Jugend Ungarns. Und was hilft ihr am besten?

Diese hat vieles erleben können in den letzten Tagen: Auseinandersetzungen um die Beleuchtung eines Fußballstadions in München, einen deutschen Fußballgoalie mit Regenbogen-Kapitänsbinde, 14 EU-Staaten, die eine klare Botschaft an die ungarische Regierung richteten, und eine Kommissionspräsidentin, die ganz klar sagt: "Dieses ungarische Gesetz ist eine Schande." Das war wichtig, weil der ungarischen Jugend gesagt wurde: Ihr seid nicht allein. Wir sind euer Schutzschild. Dies ist auch ein Versprechen an alle LGBTQI-Jugendlichen in ganz Europa.

Neue Angebote nötig

Wien und Graz sind die nächsten Großstädte jenseits der ungarischen Grenze, die Sozialarbeit, Aufklärungsarbeit und NGOs mit Erfahrungen in der Jugendarbeit haben. Bereits jetzt kommen ungarische Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transsexuelle gerne nach Wien, um die Community und ihre Lokale, Clubs und Shops der Stadt zu genießen. Beide Städte haben Aidshilfen. Sollte Coming-out-Beratung oder die Aufklärung sexuell übertragbarer Krankheiten in Ungarn nicht mehr möglich sein, dann wird hier womöglich auch ein ungarischsprachiges Angebot nötig sein.

Dass Ungarns Premier Viktor Orbán mit den Anti-LGBTQI-Gesetzen vor allem innenpolitisch punkten möchte und er auf dem Rücken der Jugendlichen in Ungarn gnadenlose Machtpolitik betreibt, hat bereits der ungarische Journalist Márton Gergely in einem Kommentar der anderen geschrieben. Machtpolitik zulasten von Minderheiten ist ein beliebtes Spiel rechtspopulistischer Politiker.

Die Budapester Pride startet heute, am 25. Juni. Der Pride-March durch die Stadt findet am 24. Juli statt. Es fahren übrigens wieder täglich Railjets in die ungarische Hauptstadt. (Marco Schreuder, 25.6.2021)