Erst die wenig überraschende Nachricht. Der türkis infizierte Vorstand der ÖVP hat dieser Tage beschlossen, Sebastian Kurz beim Parteitag Ende August zur Wiederwahl als Bundesparteiobmann vorzuschlagen. Alles andere wäre ehrliche Selbstkritik, ja geradezu innere Einkehr gewesen. Die masochistische Begründung nachzuliefern blieb Tirols Landeshauptmann Platter vorbehalten: Die Entscheidung sei "ein klares Zeichen, dass wir den von Kurz eingeschlagenen Weg gemeinsam weitergehen wollen". Gott schütze Österreich wäre jetzt vielleicht ein wenig zu viel verlangt, aber wenn schon die untere Instanz, das Staatsoberhaupt, erst den Verfassungsgerichtshof und dann das Wiener Straflandesgericht mobilisieren muss, um den von Kurz eingeschlagenen und vom Finanzminister eifrig frequentierten Weg zu beleuchten, überfällt den Staatsbürger, die Staatsbürgerin gelinde Beklommenheit.

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Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP).
Foto: AP/John Thys

Sofort fallen ihm, ihr die vollmundigen Beschwörungen des hohen Gutes einer österreichischen Staatsbürgerschaft ein, die man nur durch Ausübung härtester Pflichten und tiefempfundener Bekenntnisse zur hiesigen Verfassung zu erwerben vermag. Und es stellt sich die naheliegende Frage: Gelten diese Anforderungen an einen Wertekodex nur für Interessenten an einer Staatsbürgerschaft oder auch für jene, denen sie als geburtsrechtlichen Sanguinikern taxfrei nachgeschmissen wird, ohne wenigstens die Eltern zu befragen, ob sie ihre einschlägigen Pflichten auch brav erfüllen und den Genetiv vom Dativ auseinanderhalten können.

Staatsbürgerlicher Wertekanon

Eher geht ein Afghane durchs Nadelöhr der weiland Einwanderungsbürokratie, als dass diese auch nur den leisesten Zweifel daran hegen dürfte, ob durch bescheidene Leistung integrierte Nutznießer des ius sanguinis, die Säulen der österreichischen Verfassung wie Parlament und Justiz offen missachten und behindern, dem staatsbürgerlichen Wertekanon entsprechen, den sie predigen.

Bei dem Geruch der Heiligkeit, den die österreichische Staatsbürgerschaft annimmt, wenn Fremdlinge sich zu ihr erfrechen wollen, war es kein Wunder, dass der SPÖ-Vorschlag für Erleichterungen Skepsis hervorrufen musste. Es hat sogar geheißen, er wäre zum denkbar falschen Zeitpunkt erfolgt. Leider liegt ein richtiger Zeitpunkt für ein wenig zeit gemäße Rationalität hierzulande irgendwo zwischen immer und nie. Wer sich traut, kann es anpacken – oder bleibenlassen.

Immerhin an zwei Stellen hat der Vorschlag begeisterte Aufnahme gefunden, bei Kickl und Kurz, wo der Pawlow’sche Reflex unmittelbar speicheltriefenden Populismus hervorrief. Will der eine von seinem immer offenbarer werdenden Mangel an Regierungstalent ablenken, geht es dem anderen darum, auf sich in neuer Rolle als Erlöser bodenständigen Österreichertums aufmerksam zu machen. Ehrlichkeit dabei ist ihm insoferne zuzubilligen, als er gar nicht behauptet, originelle Ideen zu haben. "Wir müssen inhaltlich das Rad nicht neu erfinden", beruhigte er seinen Parteitag. Lange hat er sich eher zäh mit Gags für Jörg Haider und als Mastermind Straches durchgebracht, Erfolg bekannt. Jetzt dient er sich Kurz als letztlich doch einzig passender Koalitionspartner an. Noch verschämt, aber wenn zwei sich in der Abwehr von allem Fremden so einig sind, werden sie das bei der Versorgung ihrer Vertrauten auch wieder sein. (Günter Traxler, 24.6.2021)