Es ist ein urösterreichisches Verhältnis, das die Österreicherinnen und Österreicher zu ihren Bundespräsidenten pflegen. Die meisten heimischen Staatsoberhäupter waren hochgeschätzt und respektiert, Kritik an "unserem Herrn Bundespräsidenten" (zu einer Frau haben wir es noch nicht geschafft) hat sich noch nie recht geziemt, aber insgeheim wurde das Amt in Ehrfurcht belächelt: Der Bundespräsident, das ist doch der oberste Frühstücksdirektor der Nation; unser großväterlicher Ersatzkaiser, den sich das Land mehr gönnt, als dass es ihn braucht.

Alexander Van der Bellen strahlt eine Sicherheit aus, die Österreich nach den vergangenen Jahren gut brauchen kann.
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Immer wieder wurde die Abschaffung des höchsten Amtes gefordert – von Jörg Haider etwa, aber auch vom damaligen niederösterreichischen Landeshauptmann Erwin Pröll. Die ÖVP ist für eine Entmachtung des Bundespräsidenten eingetreten, auch SPÖ und Grüne wollten seine Kompetenzen entrümpeln. Eine Befugnis, die selbst von vielen Juristen stets als überflüssige Klausel abgetan wurde, weil sie doch bestimmt nie zum Einsatz kommt: die präsidiale Exekutionsmöglichkeit.

Nun wird "exekutiert". Alexander Van der Bellen hat das Wiener Straflandesgericht beauftragt, dem Ibiza-U-Ausschuss alle geforderten Daten aus dem Finanzministerium zu übermitteln – nachdem Ressortchef Gernot Blümel zuerst überhaupt nicht geliefert hatte und dann, so behauptet es die Opposition, nicht vollständig. Nach Ibiza und Corona und den Angriffen auf die Justiz durch die Kanzlerpartei lässt sich spätestens jetzt mit Inbrunst rufen: Ein Hoch auf das Amt des Bundespräsidenten! Er hat, womöglich, die wichtigste Funktion im Staat.

Zumindest dann, wenn es darauf ankommt. Im politischen Alltag ist er der Repräsentant nach außen, der brave Absegner ohne reale Entscheidungskraft. Er ist aber auch per Definition ein Krisenmanager – und derzeit schlittert Österreich quasi von einer Krise in die nächste.

Träge Gelassenheit

Für den jüngsten Einsatz des Bundespräsidenten ist einzig und allein die ÖVP verantwortlich. Denn die Causa rund um die Exekution der Daten aus dem Finanzministerium ist nicht nur äußerst peinlich. Wenn sich ein oberstes Organ der Exekutive, wie ein Minister, nicht mehr an höchstgerichtliche Entscheidungen hält, ist das aus rechtsstaatlicher Sicht eine Katastrophe – egal wie gut oder schlecht die Ausreden sind.

Van der Bellen schreitet in solchen Fällen mit einer trägen Gelassenheit ein, die ihresgleichen sucht. Er agiert oft übervorsichtig, wie nun bei der unnötigen Nachfrage beim Höchstgericht vor der endgültigen Exekution. Vielleicht aufgrund dieser Vorsicht strahlt er aber auch eine Sicherheit aus, die Österreich nach den vergangenen Jahren gut brauchen kann. Spannend wird, was er tut, sollte Blümel tatsächlich nicht alles geliefert haben: den Kanzler auffordern, Blümel zu entlassen?

Während der Bundespräsident früher immer wieder als verzichtbar galt, muss man heute eher Angst haben, dass er sich auch nur einen Schnupfen einfängt. Die vergangenen Wochen haben gezeigt: Er könnte ständig plötzlich gebraucht werden. Und Bundespräsidenten haben keine Stellvertreter.

Wäre Van der Bellen verhindert, müsste Kanzler Sebastian Kurz einspringen. Damit würde der Bock zum Gärtner gemacht. Die Causa Finanzministerium sollte sich deshalb ins historische Gedächtnis Österreichs einbrennen: Ein Bundespräsident ist unentbehrlich.(Katharina Mittelstaedt, 24.6.2021)