Die geradezu dampfende Wärme des Fleisches zeichnet Lovis Corinths Körper aus. Hier ein "Liegender weiblicher Akt" von 1907.

Foto: Belvedere, Wien / Johannes Stoll

Dieser Mann muss eigentlich mehrere Leben gehabt haben. Der 1858 im damaligen Ostpreußen geborene Maler Lovis Corinth, der zur Gründungsriege der Münchner Secession gehörte und später erster Vorstand der Berliner Secession wurde, war so vielseitig, dass eine chronologische Ausstellung seines Werks eigentlich keinen Sinn ergeben würde. Viel zu wenig kann sein teils widersprüchlicher Stil an unterschiedlichen Phasen seines Lebens festgemacht werden.

Dies macht die Ausstellung mit dem Titel Das Leben, ein Fest! im Oberen Belvedere in Wien deutlich und widmet dem Maler eine großzügige Personale. In sieben Räumen werden Corinths Gemälde thematisch geordnet, womit gewisse Bereiche seines Schaffens beleuchtet werden.

Da ist seine Familie, bestehend aus seiner Frau Charlotte Berend, die er als seine Schülerin 1901 in der von ihm gegründeten Malschule kennenlernt und mit der er bis zu seinem Tod 1925 verheiratet bleibt, seine beiden Kinder Wilhelmine und Thomas. Alle drei, aber vor allem Charlotte, treten häufig in seinen Gemälden auf und begegnen einem immer wieder als Motiv in der Ausstellung. Neben seinem Familiendasein galt Corinth als das Leben in vollen Zügen genießender Mensch, der auch gemeinsam mit Charlotte viel feierte – und ordentlich trank. Nicht ohne Grund malte er sich selbst des Öfteren als lachenden Weingott Bacchus. "Lass das Saufen", schrieb ihm Charlotte später in einem Brief.

Expressiv bis ins Fleisch

Corinth nahm immer eine Sonderstellung in der Kunstgeschichte ein: Weder ist seine Malerei dem Symbolismus, dem Impressionismus, noch dem Naturalismus oder Expressionismus zuzuordnen. Manchmal denkt man an niederländische Stillleben, dann an impressionistische Landschaftsbilder (Walchensee!) oder expressionistische Porträts. Kurator Alexander Klee begreift Corinths Werk in einer malerischen Kontinuität und sieht dadurch die Diskrepanz gelöst, dass es keinem dieser Ismen zuzuordnen ist. Dennoch kann man seinen Stil als expressiv beschreiben: Corinth arbeitete nicht nur in atemberaubender Geschwindigkeit, sondern versetzte seinen Leinwänden heftige Pinselstriche, zerkratzte sogar deren Oberfläche. "Menschen, die bei ihm Porträt saßen, hatten Angst, er würde die Leinwand zerdreschen", erzählt Klee.

Lovis Corinths "Die Waffen des Mars" von 1910.
Foto: Johannes Stoll / Belvedere, Wien

Eine starke Komponente in Corinths Werk ist die dampfende Wärme des Fleisches seiner Körper – seien es menschliche Figuren oder Tierkadaver. Letztere nahm der Sohn eines Gerbers gerne als Motiv und malte in Schlachthäusern und Fleischereien. Seine Akte setzte er erotisch-sinnlich, fast emotional in Szene. Bei ihm lagen Vanitas und Vitalität unheimlich nahe beieinander. Corinth spielte mit kunsthistorischen Bezügen wie der knienden Venus in Die Waffen des Mars und brach mit der Ernsthaftigkeit des Themas, indem nicht Mars, sondern die nackte Venus inmitten der Waffen sitzt. Im Grunde provozierte er die bildungsbürgerliche Attitüde mit der pikanten Erotik seiner Akte. Es scheint ein Spiel für ihn gewesen zu sein, das aber da endete, wo jeglicher kunsthistorische Bezug abgelehnt wurde. Da sei Corinth konservativ gewesen, sagt Klee: Kubismus und Expressionismus seien für ihn einfach nur wild gewesen. Das Malen reiner Empfindung interessierte ihn nicht. (Katharina Rustler, 26.6.2021)