Ob ein Arbeitnehmer einen Job annimmt, hängt von den Arbeitsbedingungen und dem Umfeld – vor allem aber vom Geld ab.

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Bäcker. Gastronomen. Hoteliers. Kaum ist die Akutphase der Pandemie vorbei und sind die Lockdowns zu Ende, tut sich eine neue wirtschaftspolitische Problemlage auf. Unternehmer beklagen, dass sie keine Mitarbeiter finden.

Entzündet hat sich die Debatte zunächst an Erzählungen aus der Gastronomie. In der Krone getrommelt wurde etwa das Beispiel der Seethalerhütte hoch oben am Dachstein. Der Betreiber der Hütte beklagte sich lautstark, dass er trotz damals rund 400.000 Arbeitsloser keine Aushilfskraft für das Buffet finde.

Dann schalteten sich die Bäcker in die Diskussion ein. Die Chefin der Wiener Bäckerei Szihn, Alexandra Szihn, beklagte, dass sie seit Monaten kein Verkaufspersonal in Wien finde. Doris Felber, Chefin der gleichnamigen Traditionsbäckerei, legte nach: "Ich würde sofort fünf, sechs Leute anstellen", sagte sie der Gratiszeitung Heute. "Doch 90 Prozent der Bewerber wollen nicht arbeiten, sondern nehmen lieber das Arbeitslosengeld."

So nahm die Debatte in Österreich denselben Lauf wie so oft bei solchen Diskussionen, und der Fokus legte sich auf die Frage, ob es mehr Druck auf Arbeitslose brauche, um sie in Arbeit zu bringen. Dabei ist dieser Ansatz nicht nur einseitig, er macht auch ökonomisch wenig Sinn.

Auf dem Arbeitsmarkt, wie auf jedem anderen Markt, gilt, dass Angebot und Nachfrage zusammenfinden müssen, damit eine Vereinbarung zustande kommt. Der wichtigste Hebel dazu ist ohne Zweifel der Preis.

So selten wie Diamanten

Wenn die Bäckereien Felber und Szihn, Restaurants oder andere Unternehmen keine Mitarbeiter finden, müssen sie den Lohn anheben. Der deutsche Ökonom Clemens Fuest, vom Münchner Ifo-Institut, brachte es in der Zeit so auf den Punkt: "Nehmen wir an, ich bin Gastwirt, benötige Personal und frage Leute, ob sie bei mir arbeiten möchten. Wenn alle bei zehn Euro die Stunde ablehnen, muss ich wohl zwölf Euro bieten, vielleicht mehr. Wenn Löhne flexibel sind, gibt es auf Dauer keinen Fachkräftemangel. Es gibt Dinge, die sind knapp und teuer, zum Beispiel Diamanten. Trotzdem reden wir nicht von Diamantenmangel. Das heißt, wenn die Nachfrage steigt oder das Angebot sinkt, steigt der Preis."

Natürlich gibt es auch andere Faktoren abseits des Lohnes, die wichtig sind. Jobvermittler beim AMS erzählen, dass die Arbeitszeiten eine große Rolle spielen. Sie müssen individuell passen, etwa damit Kinder betreut werden können.

Auch Arbeitsbedingungen sind wichtig, also: Wo ist der Job? Muss jemand umziehen, um eine Stelle annehmen zu können, kann das ein Hindernis sein. Eine zentrale Frage ist, ob das Klima am Arbeitsplatz gut ist. Am wichtigsten ist aber die Bezahlung, zumal sich mit mehr Geld Defizite in den anderen Bereichen kompensieren lassen.

Nun mögen Arbeitskräfte in manchen Branchen so wertvoll sein wie Diamanten, in den Löhnen spiegelt sich das aber nicht wider. Verkäufer in Bäckereien verdienen laut Kollektivvertrag (KV) 1524 Euro, nach dem ersten Jahr sind es 1571. Dazu kommen noch Zuschläge bei Frühschichten bis sechs Uhr früh in Höhe von knapp unter fünf Euro in der Stunde.

Eine Analyse des gewerkschaftsnahen Momentum-Instituts auf Basis der aktuell beim AMS gemeldeten Jobs zeigt, dass Mitarbeiter in Backstuben in Supermärkten im Schnitt um rund 100 Euro mehr im Monat angeboten bekommen.

Wenn die Margen sinken

Wenn Bäckern also Arbeitnehmerinnen und -nehmer fehlen, müssten sie mehr zahlen. Der Kollektivvertrag spiegelt die Marktlage nicht mehr richtig wider. Das muss natürlich jemand bezahlen. Die Gewinnmargen der Bäcker geben das nicht her. Das zeigt eine Auswertung des Instituts KMU Forschung Austria für den STANDARD. Für 100 Euro Umsatz machen Bäcker nur 2,85 Euro Gewinn vor Steuern. Bei anderen Unternehmen ist es durchschnittlich deutlich mehr, fast fünf Euro.

Also müssten die Preise für Semmeln, Croissants und Co bei den Bäckern steigen, damit die Löhne angepasst werden können.

Die Bäcker sagen dazu, das gehe sich nicht aus. Handelsketten wie Billa oder Spar dominieren den Gebäckmarkt und bieten Brot und Semmeln ohnehin etwas günstiger an. Wenn Bäcker ihren Angestellten mehr zahlten, stiege diese Preisdifferenz weiter.

Stellschraube Sozialleistungen

Martin Halla, Arbeitsmarktexperte an der Johannes-Kepler-Universität Linz, sagt dazu: "Der Markt hat einen Mechanismus, um das zu regeln. Wenn die Arbeitgeber keine Angestellten finden, müssen sie mehr zahlen. Punkt. Und wenn eine Bäckerei mit höheren Löhnen nicht mehr gewinnbringend zu führen ist, weil der Konsument das Produkt nicht haben will, dann ist eben auch das so."

Freilich lässt sich an dieser Stelle der Einwand bringen, dass der Arbeitsmarkt gar kein echter Markt sei, weil der Staat mit Sozialleistungen eingreife. Richtig ist daran, dass auch hier eine Stellschraube liegt. Österreichische Staatsbürger und Migranten, die schon länger hier leben, haben Anspruch auf die Mindestsicherung. Weil diese gerade bei Niedrigverdienern in der Regel höher ist als das Arbeitslosengeld, ist das eine Untergrenze, über der Arbeiten finanziell erst interessant wird.

In Wien liegt diese Untergrenze bei um die 1000 Euro für Alleinstehende, so hoch ist die Mindestsicherung. Würde man diese unterste Latte absenken, würde das zu sozialen Verwerfungen führen, aber dafür könnten mehr Menschen gezwungen sein, auch schlechter bezahlte Jobs anzunehmen. Aber zu viel sollte man sich davon nicht erwarten. "Der Lohn ist die größere Stellschraube", sagt der Arbeitsmarktökonom Halla.

Senkung der Lohnnebenkosten

Wie kommt er darauf? Es geht ja nicht nur um die Frage, ob Bäckereien und Gastronomen Arbeitslose und Mindestsicherungsbezieher finden können, die bei ihnen arbeiten. Bäcker konkurrieren ja im Prinzip mit allen anderen Arbeitgebern um Arbeitskräfte.

Und da gibt es mehr zu holen: Etwas weniger als 300.000 Menschen haben laut jüngsten Daten der Statistik Austria im Jahr Mindestsicherung bezogen, am Arbeitsmarkt gibt es 3,7 Millionen unselbstständig Beschäftigte. Hier gäbe es also für Bäcker genügend Kräfte zu holen – wenn ihr Angebot eben passte.

Ein anderer Punkt der Arbeitgeber dürfte schon mehr Gewicht haben als die Debatte über das Arbeitslosengeld: die Lohnnebenkosten. Die empirische Evidenz zeige, dass eine Senkung der Lohnnebenkosten ein "effektives Instrument" sein könne, um Beschäftigung zu erhöhen, sagt die Ökonomin Margit Schratzenstaller vom Forschungsinstitut Wifo.

Die Wirkung ist vor allem dann groß, wenn damit junge Arbeitnehmer, Geringqualifizierte und Frauen mehr verdienen können, die Senkung also auf diese Gruppen abzielt. Dabei müsste man laut Schratzenstaller gar nicht in die Sozialversicherung eingreifen und dort die Beiträge senken.

Es würde schon reichen, lohnsummenbezogene Abgaben, wie etwas für den Familienlastenausgleichsfonds, weiter zu senken. Freilich müssten diese Senkungen von den Arbeitgebern weitergegeben werden, einen Automatismus gibt es nicht. Und politisch ist das nicht leicht argumentierbar: Weil Bäckern und ein paar Restaurantbetreibern Mitarbeiter fehlen, die Lohnnebenkosten für das ganze Land senken? Mit dem Geld werden ja auch Leistungen bezahlt.

Die Osteuropäer kommen

Die geradlinigste Lösung für Arbeitgeber, die vergeblich suchen, lautet also, ein besseres Angebot zu machen. Sind vielleicht manche in Österreich dieser Marktmechanismen entwöhnt? Das könnte auch daran liegen, dass Österreich in den vergangenen Jahren ein nahezu unerschöpfliches Reservoir an günstigen Arbeitskräften zur Verfügung stand: aus Osteuropa.

Seit dem Jahr 2004 hat sich die Zahl der unselbstständigen Beschäftigten aus Ungarn, Rumänien, Polen, Tschechien, der Slowakei Kroatien und Bulgarien in Österreich fast verfünffacht. Gut 250.000 Arbeitnehmer sind seither neu auf den Arbeitsmarkt geströmt, in den vergangenen Jahren hat der Zuzug zugenommen.

Arbeitgeber, besonders in Ostösterreich, konnten mit dem stetigen Nachschub an günstigen Arbeitskräften rechnen. Davon profitierte eben nicht nur die Industrie, sondern nahezu alle Bereiche, auch Gastronomen und eben Bäcker.

Viele Arbeitgeber waren hier gewohnt, dass es ausreicht, den Kollektivvertragslohn zu zahlen. "Nun deutet sich an, dass sich der Markt verschoben hat", sagt der Arbeitsmarktökonom Halla. "Das kann jene, die nun mehr zahlen müssten, grantig machen. Ändern lässt sich das aber nicht." (András Szigetvari, 26.6.2021)