Die rote FFP2-Masken-Dichte war Samstagvormittag in der Wiener Messe besonders hoch. Nur vereinzelt blitzte der banal in Weiß gehaltene Mundschutz durch. Von den rund 800 geladenen SPÖ-Funktionärinnen, -Funktionären und -Mitgliedern stimmten im Lauf des Tages 589 Delegierte über die Bundesparteivorsitzende ab. Pamela Rendi-Wagner stellte sich erstmals der Wiederwahl als SPÖ-Chefin – in beiger Maske.

75,34 Prozent der Delegierten gaben der einzigen Kandidatin schließlich ihre Stimme. Rund ein Viertel der Anwesenden strich die Parteivorsitzende vom Wahlzettel. Direkt nach der Verkündung des Ergebnisses gab es zunächst kein Statement der Parteivorsitzenden, weder auf noch abseits der Bühne. Am Schluss des Bundesparteitags versprach sie den noch übrig gebliebenen Delegierten aber, "gerade jetzt" für sozialdemokratische Inhalte und gegen das "System Kurz" kämpfen zu wollen.

Der Bundesparteitag der SPÖ in der Wiener Messe.

Vor drei Jahren in Wels sprachen ihr 97,8 Prozent der Delegierten das Vertrauen aus. Von einer ähnlich hohen Zustimmung am Bundesparteitag ging Rendi-Wagner im Vorfeld allerdings gar nicht erst aus. Als Ziel gab die SPÖ-Chefin vorab lediglich jene rund 71 Prozent aus, die sie bei einer Vertrauensfrage an die Basis im Vorjahr erreicht hatte. "Die Latte liegt nicht besonders hoch", hieß es in der Messe zu Beginn von mehreren Delegierten, "realistisch" von anderen. Und: Das werde sie wohl schaffen.

Dass Rendi-Wagner es dann doch nur so knapp geschafft hatte, schockte viele in der rot-blau beleuchteten Halle. "Nicht erwartet", kommentierten es viele Delegierte. Denn auch wenn Rendi-Wagner selbst tiefgestapelt hatte, gingen die meisten davon aus, dass die SPÖ-Chefin zumindest am Achter an der ersten Stelle des Ergebnisses kratzen würde – wenn nicht sogar die 80-Prozent-Hürde nehmen würde. Auch Niederösterreichs SPÖ-Chef Franz Schnabl prophezeite vor dem Parteitag: "Diese Latte wird sie sehr deutlich überspringen."

Rendi-Wagner erhielt damit das historisch schlechteste Ergebnis bei einer SPÖ-Vorsitzwahl ohne Gegenkandidatin oder Gegenkandidaten. Sie liegt damit unter den 83,4 Prozent von Werner Faymann aus dem Jahr 2012, der bei seiner Wiederwahl allerdings Bundeskanzler war.

Was der Grund für das schlechte Ergebnis ist? Darüber ist man sich in der SPÖ nicht einig. Unter Rendi-Wagners Anhängerinnen und Anhängern wird von "organisierten Streichungen" gesprochen. Zugeschrieben werden diese den Landesparteichefs im Burgenland, Niederösterreich und der Steiermark.

Keine Koalition mit Kurz

Vieles habe sich in Österreich seit dem letzten Parteitag getan, ließ Rendi-Wagner die vergangenen zwei Jahre vor Verkündung des Wahlergebnisses Revue passieren: Ibiza habe "sicher zum brisantesten Untersuchungsausschuss der letzten Jahrzehnte" geführt. Und auch zu einer neuen Regierungskoalition – seit Sebastian Kurz ÖVP-Chef ist, passiere das aber sowieso "alle zwei Jahre". Diesmal habe er sich ein "grünes Beiwagerl" gesucht. Zuletzt sei natürlich noch die Pandemie über Österreich und die Welt hereingebrochen – "mit all ihren dramatischen sozialen und wirtschaftlichen Folgen".

75 Prozent der Delegierten stimmten für Pamela Rendi-Wagner als Parteichefin.
Foto: APA/MICHAEL GRUBER

In puncto Demokratie erlebe man "seit Monaten", wie demokratische Institutionen durch die türkise Führungsspitze "attackiert und diffamiert" würden. Das "System Kurz" greife "offen und frontal die Justiz an", kritisierte Rendi-Wagner. "Das geht in eine gefährliche Richtung", sagte sie und forderte ein "Stopp der grünen Justizministerin".

Die Kanzlerpartei habe "einen noch nie da gewesenen Tiefpunkt an politischem Anstand" erreicht. Eine Koalition mit Kanzler Kurz schloss Rendi-Wagner aus: "Mit mir an der Spitze der Sozialdemokratie wird es keine Regierungskoalition mit dem System Kurz geben." Denn die Kurz-ÖVP habe nur den eigenen "Machterhalt als Ziel". Die Grünen sind für die SPÖ-Chefin hingegen "eine einzige Enttäuschung, bei den Blauen fehlen mir die Worte, und die Neos sind eh ganz nett".

Vier-Tage-Woche und niedrigere Steuern

Ein "kleines Virus" habe Österreich und die Welt in eine große Krise geführt. Lockdowns und Co würden zu "dramatischen Folgen" für den Arbeitsmarkt führen. Doch es sei machbar, "das soziale Gleichgewicht, das durch Corona ins Wanken geraten ist, wiederherzustellen" und "die wachsende soziale Schieflage zu beseitigen". Die "dringendste Aufgabe" der Sozialdemokratie sei es, "Arbeitslosigkeit zu bekämpfen". Die Massenarbeitslosigkeit sei ein "Skandal für das Land".

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner will keine Koalition mit "dem System Kurz".
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Dafür brauche es aber eine Verkürzung der Arbeitszeit auf eine " freiwillige, geförderte Vier-Tage-Woche", erklärte Rendi-Wagner. Mit der Gewerkschaft wolle man für "höhere, anständige Löhne" kämpfen und für "niedrigere Steuern auf Arbeit". Denn Leistung müsse sich auch für heimische Betriebe wieder lohnen. Ihre rund einstündige Rede wurde von den Anwesenden noch mit Standing Ovations gewürdigt.

Ludwig: Keine PR von PRW

Den Anfang machte am Samstag allerdings der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig. Die Pandemie sei noch nicht vorbei, es gelte, weiterhin vorsichtig zu sein, mahnte er. Ludwig sprach den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Spitäler, den Pädagoginnen und Pädagogen und den Handelsangestellten seinen Dank aus – aber auch den sozialdemokratischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern in den Ländern und Gemeinden. Und: "Wir haben das Glück, an der Spitze unserer Partei eine Frau, eine Ärztin, eine Virologin zu haben", die in der Pandemie Vorschläge gemacht habe, die das Beste für die Menschen in Österreich zum Ziel gehabt hätten – und nicht nur "PR" gewesen seien, wie er es den politischen Mitbewerbern attestierte.

Bürgermeister Michael Ludwig attestierte der SPÖ "Glück" mit Pamela Rendi-Wagner als Parteichefin.
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In seiner Rede hob Ludwig ansonsten besonders die Errungenschaften der Stadt Wien hervor. Die Frage, die die SPÖ in den kommenden Jahren besonders beschäftigen werde, sei: "Wer zahlt die Krise?" Rund eine Million Menschen hätten im Corona-Jahr 2020 Gehaltseinbußen hinnehmen müssen, im selben Jahr hätten die 100 reichsten Österreicher ihr Vermögen vergrößert, betonte Ludwig.

Die Opfer der Krise dürften nicht die Jugendlichen in Ausbildung, nicht die Pensionistinnen und Pensionisten oder die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sein, sagte der Bürgermeister. Denn: "Die soziale Gerechtigkeit liegt in der DNA der SPÖ." Auch einen Seitenhieb auf die ÖVP ließ sich Ludwig nicht nehmen. Es gebe Institutionen in einer Demokratie, die besonders schützenswert seien. Und wenn "Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs nicht ernst genommen" würden, der Bundespräsident "laufend eingreifen" müsse und parlamentarische Ausschüsse "mit der Löwinger-Bühne verglichen" würden, dann sei das "eine Strategie", und nicht weit von Österreichs Grenzen sei "diese Entwicklung schon weiter fortgeschritten".

Holzleitner neue Frauenchefin

Gesprächsthema auf den Gängen der Messe war am Samstag auch die Wahl der Bundesfrauenvorsitzenden, die am Tag zuvor stattfand. Diese hätte eigentlich reine Formsache sein können: Die langjährige Frauenchefin Gabriele Heinisch-Hosek verkündete bereits im Frühjahr ihren Rückzug und stellte gleich ihre Wunschnachfolge vor. Die oberösterreichische Nationalratsabgeordnete Eva-Maria Holzleitner hatte schlussendlich aber kein leichtes Spiel, sondern hatte mit zwei Gegenkandidatinnen zu kämpfen.

Eva Holzleitner hatte es bei der Wahl zur Frauenchefin der SPÖ nicht leicht.
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Im ersten Wahlgang schied am Freitag die niederösterreichische Frauenchefin Elvira Schmidt aus, in der Stichwahl setzte sich die 28-jährige Holzleitner mit 55,2 Prozent nur knapp gegen die Wiener Wiener Gemeinderätin Mireille Ngosso durch.

Sechs Stellvertreter

Holzleitner, die das Amt nun für drei Jahre innehat, wird eine der Stellvertreterinnen und Stellvertreter Rendi-Wagners. Deren Zahl wurde aufgrund einer Statutenreform radikal auf sechs Personen verkleinert: Neben Holzleitner (97,3 Prozent) wurden auch Nationalratspräsidentin Doris Bures (88,6 Prozent), die oberösterreichische Landesparteichefin und Landesrätin Birgit Gerstorfer (95,4 Prozent), Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser (98,1 Prozent), der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (97,1 Prozent) und SPÖ-Niederösterreich-Chef Schnabl (83,5 Prozent) am Samstag in die Stellvertretung gewählt.

Niederösterreichs SPÖ-Chef Franz Schnabl (links) soll einer von Pamela Rendi-Wagners sechs Stellvertreterinnen und Stellvertretern werden.
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Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil, bisher einer von Rendi-Wagners Stellvertretern, kandidiert hingegen nicht mehr für diesen Job. In einem Brief an die Parteichefin kündigte er bereits vor einigen Wochen an, künftig keine Funktion in der Bundespartei mehr innehaben zu wollen.

Zehn Leitanträge

Inhaltlich standen zehn Leitanträge im Mittelpunkt der mehr als 300 Seiten umfassenden Antragsmappe, in denen unter anderem eine Arbeitszeitverkürzung, Reichen- und Erbschaftssteuern sowie die Abschaffung von Selbstbehalten im Gesundheitswesen gefordert werden.

Nicht mehr zur Diskussion stand die SPÖ-Position zur Staatsbürgerschaft. Die SPÖ forderte zuletzt einen leichteren Zugang zum österreichischen Pass. Der Rechtsanspruch solle bereits nach sechs Jahren rechtmäßigen Aufenthalts bestehen. In Österreich geborene Kinder sollen automatisch Staatsbürger werden. Diese Position wurde im roten Bundesparteivorstand einstimmig beschlossen.

Position zu Doppelpass

Auf der Tagesordnung fanden sich allerdings die Doppelstaatsbürgerschaften. Die SPÖ Bezirksorganisation Alsergrund wollte diese künftig ermöglichen und forderte, "die allgemeine Akzeptanz von Doppelstaatsbürgerschaften" sowohl für Zuwanderinnen und Zuwanderer wie auch für Auswanderinnen und Auswanderer. Die Antragskommission empfahl die Zuweisung an die Arbeitsgruppe "Migration". Das gleiche Schicksal traf einen weiteren Antrag der Alsergrunder SPÖ: jenen, sich für das Wahlrecht aller in Österreich lebenden Menschen – nach einer gewissen Frist – einzusetzen, auch wenn diese noch nicht die Staatsbürgerschaft besitzen.

Zu Ende ging der Parteitag mit einer Kuriosität: Weil nicht mehr die notwendige Hälfte der Delegierten in der Messe ausgehalten hatte, konnten die Anträge zum Statut Samstagabend nicht mehr abgestimmt werden. Das heißt: Es konnte etwa nicht beschlossen werden, ob die Parteichefin künftig von allen Parteimitgliedern bestimmt werden soll. (Oona Kroisleitner, 26.6.2021)