Chiesa erzielte das 1:0 für Italien in der 95. Minute.

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Pessina erhöhte auf 2:0.

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Kalajdzic verkürzte in der 114. Minute auf 1:2.

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Es war ein Kampf auf Biegen und Brechen.

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Ein tolle Leistung des ÖFB-Teams blieb unbelohnt.

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ÖFB-Kapitän Alaba: "Das in Worte zu fassen, ist im Moment nicht einfach."

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Wenn schöne Geschichten enden müssen, dann wenigstens im Wembley. Österreichs Fußballteam ist am Samstagabend im EM-Achtelfinale nach heroischer Leistung mit 1:2 nach Verlängerung an Italien gescheitert. Federico Chiesa von Juventus Turin scorte in der 95. Minute, Matteo Pessina von Atalanta Bergamo legte nach (105.). Die Italiener sind nun seit 31 Partien ungeschlagen, haben aber nach 1169 Minuten wieder ein Gegentor kassiert. Sasa Kalajdzic war verantwortlich, er köpfelte es nach Corner von Louis Schaub (114.). Die ÖFB-Auswahl ist knapp dran gewesen, sogar die wichtigere Serie zu brechen. Darum kann man sich zwar nichts kaufen, aber es sollte Zuversicht geben. Italien macht am 2. Juli in München im Viertelfinale gegen Portugal oder Belgien weiter.

Kapitän David Alaba sprach im Vorfeld von einer "geilen Partie gegen eine geile Mannschaft in einem geilen Stadion." Es war seine 3-G-Regel. Er, Marko Arnautovic und Tormann Daniel Bachmann kannten den heiligsten aller Fußballplätze aus der Praxis auf Klubebene. Für den großen Rest war es eine Premiere. Da das Abschlusstraining gestrichen werden musste (Schonung des Rasens), fiel die Gewöhnung spät aus. Gegen 19.30 Uhr betraten sie das Feld. Übrigens vor den Italienern. Teamchef Franco Foda schaute sich um, er staunte in die Leere.

Überschaubare Kulisse

Zu diesem Zeitpunkt war die Aufstellung bereits offiziell, es war dieselbe wie beim höchst erfreulichen 1:0 gegen die Ukraine. Ein variables 4-2-3-1-System, Marko Arnautovic war die Solospitze, im defensiven Mittelfeld sollten Taktgeber Florian Grillitsch und Xaver Schlager dicht machen. In Bukarest gegen die Ukraine war es extrem schwül, Arnautovic schleppte sich zum Ziel, ins Achtelfinale. In London war es am Samstagabend maximal lauwarm, keine Spur von Dampfbad. Auch Roberto Mancini sparte sich personelle Sensationen. Dass Giorgio Chiellini nicht mittun konnte, war klar. An seiner Stelle verteidigte Francesco Acerbi. Um 20.06 Uhr startet das Aufwärmen, Bachmann und die Reserve-Goalies liefen als erste ein, die Feldspieler folgten neun Minuten später.

So geil das Stadion auch sein mag, die Kulisse war Corona-bedingt überschaubar. Nur 22.500 Fans hätten Einlass gefunden (18.900 kamen), Schlachtenbummler aus Italien und Österreich durften nicht einreisen. Am Dienstag beim Klassiker zwischen England und Deutschland dürfen 45.000 Zuschauer kommen. Vornehmlich und nahezu ausschließlich aus England, denn sie sind ja da, benötigen keine zehntägige Quarantäne. Um 20.32 Uhr wurde zum ersten Mal im Wembley "I am from Austria" gespielt, Reinhard Fendrich im EM-Achtelfinale, das hat was.

Aggressive Italiener

Um 20.53 Uhr führte der englische Schiedsrichter Anthony Taylor die Teams aufs Feld. Und das Adrenalin spritze aus den Ohrwascheln. Italien in Blau-schwarz-blau gekleidet, Österreich in Rot-weiß-rot. Man muss Superlativen zwar nicht strapazieren, aber für den ÖFB war das 800. Länderspiel in der Geschichte ein spezielles, ein außergewöhnliches, das bedeutendste seit Jahrzehnten. Italien ist vierfacher Weltmeister, die Squadra Azzurra wollte einfach nur ins EM-Viertelfinale. Österreichs Rolle, die des krassen Außenseiters, war eine dankbare, eine genussvolle. Foda forderte in erster Linie "Mut", um die große Geschichte in eine überdimensionale zu heben. Bekanntlich kann in einem Spiel alles passieren.

Ja, die Österreicher begannen nicht schlecht, schon in der ersten Minute fabrizierten sie einen Angriff, Marcel Sabitzer und Christoph Baumgartner kombinierten gefällig. Unmittelbar darauf wurde Arnautovic nach einem Foul mit der Gelben Karte bedacht. Die Dominanz der Italiener nahm dann deutlich zu, Linksverteidiger Leonardo Spinazzola machte gehörigen Druck, die Ballsicherheit und das Tempo des Favoriten imponierten, die Österreicher konnten kaum agieren, nur reagieren. Die Abwehr tat das mit Bravour. Aleksandar Dragovic, Martin Hinteregger und Co. warfen sich in Schüsse, grätschten, bissen, kratzten.

ÖFB-Steigerung nach der Pause

17. Minute: Bachmann zeichnet sich aus, wehrt spektakulär gegen Nicolo Barella ab. Auch Lorenzo Insigne und Ciro Immobile (Schuss an Lattenkreuz, 32.) näherten sich dem Tor stark an. Die Österreicher taten das mit Ausnahme eines Weitschusses von Arnautovic in der 18. Minute nicht. Kontermöglichkeiten verpufften meist im Ansatz. Trotzdem hinterließ das ÖFB-Team nicht den Eindruck, absolut chancenlos zu sein. Außerdem bleibt noch der Faktor Glück. Pausenstand 0:0. Durchschnaufen.

48. Minute: Ein Tänzchen von Arnautovic durch halb Italien, der Abschluss geht völlig schief. 52. Minute: Giovanni Di Lorenzo foult Baumgartner zentral an der Strafraumgrenze, bei Alabas Freistoß fehlen rund 30 Zentimeter zum Glück und Ziel. Aber es waren zwei Ausrufezeichen. Man stand höher, presste, Italiens Dominanz war Geschichte. 62. Minute: Sabitzers Schuss wird von Leonardo Bonucci zur Ecke abgewehrt. In der 65. Minute wird der Traum fast wahr: Flanke Stefan Lainer, Alaba verlängert per Kopf zu Arnautovic, der köpfelt via Lattenunterkannte das 1:0. Jubeltraube. Allerdings meldete sich der VAR, die Überprüfung ergab eine sogar recht klare Abseitsstellung von Arnautovic. 75. Minute: Foulchen an Lainer im Strafraum, für Taylor reicht es nicht, um einen Elfmeter zu pfeifen. Außerdem war Lainer abseits.

Die Leistung der gesamten österreichischen Mannschaft war mittlerweile famos, grandios, unfassbar brillant. Italien wankte. 90. Minute: Foda tauscht zum ersten Mal, Baumgartner kann nicht mehr, Alessandro Schöpf kommt. Fünf Minuten Nachspielzeit, Verlängerung. Das Wunder von Wembley musste warten. Um doch noch abgesagt zu werden. 95. Minute: Flanke Spinazzola, Federico Chiesa lässt Konrad Laimer aussteigen, fetzt aus kurzer Distanz das 1:0. Arnautovic ist völlig ausgelaugt, Kalajdzic ersetzt ihn, Pessina erhöht nach einem Tänzchen gegen Hinteregger auf 2:0 (105.). Österreich bleibt wehrhaft und famos, Kalajdzic sorgt für zusätzlich Dramatik.

Italien jubelte ausgelassen. Alaba und Co. fliegen am Sonntag zurück nach Seefeld. Um Koffer zu packen. Geschichte haben sie trotzdem gespielt. (Christian Hackl aus London, 26.6.2021)

Video-Analyse mit Trainer Klaus Schmidt.
DER STANDARD

Fußball-EM – Achtelfinale:

Italien – Österreich 2:1 (0:0,0:0) nach Verlängerung. London, Wembley-Stadion, 18.910 Zuschauer, SR Taylor (ENG)

Tore:
1:0 (95.) Chiesa
2:0 (105.) Pessina
2:1 (114.) Kalajdzic

Österreich: Bachmann – Lainer (114. Trimmel), Dragovic, Hinteregger, Alaba – Grillitsch (106. Schaub) – Laimer (114. Ilsanker), X. Schlager (106. Gregoritsch), Sabitzer, Baumgartner (90. Schöpf) – Arnautovic (97. Kalajdzic)

Italien: Donnarumma – Di Lorenzo, Bonucci, Acerbi, Spinazzola – Barella (67. Pessina), Jorginho, Verratti (67. Locatelli) – Berardi (84. Chiesa), Immobile (84. Belotti), Insigne (108. Cristante)

Gelbe Karten: Di Lorenzo, Barella bzw. Arnautovic, Hinteregger, Dragovic