Rohöl ist jener Rohstoff, der für die Wiederauferstehung der Konjunktur steht. Am Rohölpreis lässt sich ablesen, wie es um die Wirtschaft gerade bestellt ist. Vergangenes Jahr kam es im Zuge der Corona-Pandemie und mit dem damit verbundenen Stillstand der Weltwirtschaft erstmals dazu, dass der Ölpreis negativ war. Die Öltanker fuhren auf See herum, niemand wollte das Öl haben.

Ein Jahr nach diesem Ölpreisschock sieht die Lage wieder ganz anders aus. Der Preis für die beiden wichtigen Sorten Brent und für das US-Öl WTI steigen und steigen. Das Nordseeöl Brent verteuerte sich in den vergangenen zwölf Monaten um knapp 90 Prozent. Ein Barrel (159 Liter) kostete zuletzt rund 75 US-Dollar. WTI stieg auf knapp 74 Dollar. Im Vergleich zum Oktober 2018 sind das neue Höchststände.

Hoffen auf Ausweitung

"Der Ölpreis stellt die Erwartung des Marktes für die weitere konjunkturelle Entwicklung dar", sagt Monika Rosen-Philipp, Chefanalystin im Private Banking der Unicredit Bank Austria und Börsenexpertin der Österreichisch-Amerikanischen Gesellschaft. Ein steigender Rohölpreis lässt also auf einen weiteren Aufschwung hoffen. Die Internationale Energieagentur IEA geht davon aus, dass die Ölnachfrage Ende 2022 wieder das Vorkrisenniveau erreicht haben wird.

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Damit die steigende Nachfrage auch bedient werden kann, fordert die IEA den Ölverbund Opec+ auf, die Produktion wieder auszuweiten. "Denn Öl ist auch der einzige Rohstoff, der künstlich verknappt wird", sagt Rosen-Philipp. Das wirkt sich ob der steigenden Nachfrage freilich auf den Preis aus. Die Opec+-Länder tagen kommende Woche. "Angesichts der guten Stimmung und der starken Nachfrage dürfte es der Opec+ leichtfallen, eine weitere Produktionserhöhung zumindest für August anzukündigen", schreibt Commerzbank-Experte Eugen Weinberg im Rohstoff-Ausblick.

Für die Märkte ist der Rohölpreis auch aus einem weiteren Grund ein wichtiger Gradmesser. Steigende Energiepreise wirken auf die Inflation durch. "Die Inflation ist derzeit für die Märkte ein dominantes Thema", sagt Rosen-Philipp. Deswegen sei der steigende Ölpreis auch so brisant, weil steigende Ausgaben für Öl und Energie die Inflation ankurbeln. Und das, obwohl der Anteil der Energie an der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (also gemessen am BIP) seit den 1970er-Jahren deutlich gesunken ist. In den USA macht der Anteil der Energie am BIP derzeit knapp sechs Prozent aus.

McDonald’s-Effekt

Der steigende Ölpreis hat aber auch andere Effekte auf die Konjunktur. Vor allem in den USA zeigen sich hier recht interessante Korrelationen. Wird Sprit teurer, merkt das beispielsweise auch die Burgerkette McDonald’s. Dann fahren die nicht so gut betuchten Amerikaner nämlich weniger oft zum Burger-Anbieter. Vor allem in den ländlicheren Gegenden in den USA ist es üblich, die Strecken mit dem Auto zurückzulegen.

Steigt der Ölpreis also weiter an, wird das Nachfolgeeffekte auf den Konsum haben. Dabei zeigt sich, dass ein steigender Ölpreis einen größeren – weil bremsenden – Effekt auf die Konsumausgaben hat als ein sich beruhigender und sinkender Ölpreis. Die aktuelle Lage deutet aber darauf hin, dass der Ölpreis wohl noch weiter steigen wird. Das Homeoffice hat in vielen Ländern zu einer Zunahme des Pkw-Verkehrs geführt, auch das Flugaufkommen steigt wieder an.

Umstrittener Schmierstoff

Der aktuelle Ölboom könnte auch einer der letzten für diesen Rohstoff sein. Denn Öl ist in Verruf geraten. Der Druck auf Energiekonzerne, ihren ökologischen Fußabdruck zu verbessern, steigt. Investoren zeigen sich hier zunehmend kritisch. Ende Mai hatte ein Gericht in Den Haag den Öl- und Erdgasproduzenten Shell dazu verurteilt (nicht rechtskräftig), seine Kohlendioxid-Emissionen bis 2030 um netto 45 Prozent im Vergleich zu 2019 zu senken. Das ist mehr, als das Unternehmen sich als Ziel gesetzt hatte.

Der britische Investor LGIM hatte bei der Hauptversammlung von Exxon Mobil Ende Mai erneut gegen den Vorstand gestimmt, weil das Exxon-Management sich auch nach mehreren Gesprächen geweigert hatte, seine CO₂-Bilanz vollständig offenzulegen. LGIM hatte Exxon daraufhin aus einigen Fonds geschmissen. (Bettina Pfluger, 27.6.2021)