Bild nicht mehr verfügbar.

Da darf Microsoft-Boss Satya Nadella nicht zufrieden sein: Die Vorstellung von Windows 11 ist alles andere als gut gelaufen.

Foto: LUCAS JACKSON / REUTERS

Eigentlich hätte man sich schon nach wenigen Minuten denken können, dass hier etwas nicht ganz rund läuft. Der Livestream für die Vorstellung von Windows 11 war ein veritables Fiasko. Bereits nach wenigen Minuten kam es zu regelmäßigen Hängern, rasch folgte der Totalausfall. Das führte wiederum zu der leicht absurden Situation, dass Microsoft-Manager eilig bemüht waren, über soziale Medien auf besser funktionierende Streams bei Konkurrenzdiensten zu verweisen – vor allem Twitter und Facebook. Pressevertreter hatten sich zu dem Zeitpunkt ohnehin längst mit inoffiziellen Streams bei Youtube beholfen und diese untereinander weitergegeben.

Böse Vorahnung

Ein für den zweitgrößten Anbieter von Cloud-Diensten weltweit einigermaßen peinlicher Vorfall, aber auch einer, den man durchaus unter "kann schon einmal passieren" verbuchen könnte. Doch das Ganze war eben nur der passende Einstieg für das folgende, viel größere Chaos, das Microsoft mit der Windows-11-Präsentation angerichtet hat. Mit widersprüchlichen Aussagen und schlecht funktionierenden Tools hat man das Kunststück zuwege gebracht, einen guten Teil der eigenen Nutzer zu verunsichern. Vor allem aber: Dieses Chaos könnte sich in den kommenden Monaten noch zu einem größeren Problem auswachsen.

"Alte" PCs: Ade!

Der Kern des Problems sind die deutlich gestiegenen Mindestanforderungen, die mit der neuen Betriebssystemgeneration einhergehen. Diese haben – wie berichtet – zur Folge, dass Windows 11 auf vielen älteren PCs nicht mehr laufen wird. Die Frage, was man unter "alt" verbucht und wo Microsoft die Grenze zieht, ist aber eine, die schon seit Tagen sowohl Medien als auch interessierte Nutzer beschäftigt – hat das Unternehmen in dieser Hinsicht doch in den vergangenen Tage mit mehreren, einander direkt widersprechenden Aussagen "geglänzt".

Windows 11: Gibt es nicht für alle. Für wen? Das weiß eigentlich niemand so genau derzeit.
Grafik: Microsoft

Da wäre einmal die Frage der Prozessoranforderungen. Auf der offiziellen Webseite zu den Systemanforderungen für Windows 11 ist zunächst recht allgemein von einem 64-Bit-Chip die Rede, der mindestens zwei Kerne aufweist und mit 1 Gigahertz oder höher getaktet ist. Unerfreulich ist das also vor allem für jene, die noch ein System mit 32-Bit-Prozessor betreiben, aber trotzdem wäre das noch eine halbwegs moderate Erhöhung der Anforderungen, wie sie bei neuen Betriebssystemversionen halt immer wieder einmal vorkommt.

Im Detail steckt das Problem

Das aber nur, wenn man nicht exakt liest. Ist an dieser Stelle doch genau genommen von einem "kompatiblen 64-Bit-Prozessor" die Rede, eine Formulierung, die noch dazu mit einem Link garniert ist. Wer diesem folgt, dann noch einmal abbiegt und auch die Modellnummern einzelner Intel- und AMD-Prozessoren kennt, für den folgt eine ziemlich böse Überraschung. Die Liste der "kompatiblen" Chips ist nämlich verblüffend restriktiv. Sie beginnt etwa bei Intel bei Core-Prozessoren der achten Generation, also Chips, die gerade einmal vor knapp vier Jahren vorgestellt wurde. Alles davor wird offiziell nicht mehr unterstützt.

Als dieser Umstand den ersten Beobachtern auffiel, führte dies zu allerlei Spekulationen. So war etwa schnell von "weichen" und "harten" Anforderungen die Rede, die Liste mit den einzelnen Prozessoren könnte also nur eine Empfehlung darstellen – oder auch als Richtschnur für Hardwarepartner gedacht sein. Doch kaum hatten sich Tech-Medien auf diese Interpretation geeinigt, machte dem Microsoft einen Strich durch die Rechnung. Via Twitter stellte ein Produktmanager des Unternehmens klar, dass tatsächlich nur jene CPUs, die auf besagter Liste stehen, mit Windows 11 zusammenarbeiten sollen.

Ist das ernst gemeint?

Nun kann es natürlich sein, dass diese Liste über die Monate noch ausgeweitet wird, der aktuelle Stand ist aber regelrecht verblüffend. Würde dies doch bedeuten, dass Microsofts eigenes Surface Studio 2, das auf der Webseite des Unternehmens derzeit noch immer zum Verkauf steht – und zwar zum stolzen Preis von 3.500 US-Dollar –, nicht mit Windows 11 kompatibel wäre. Auch das Surface Pro 4 und das Surface Pro (2017) würden nicht mehr mit der neuen Betriebssystemgeneration laufen. Dies führt wiederum zu einer ungewohnten Situation, nämlich dass Apple seine Geräte erheblich länger mit großen Versionssprüngen versorgt, als es Microsoft tut. Das kommende macOS Monterey soll nämlich zum Teil sogar noch für Macs aus dem Jahr 2013 erhältlich sein. Von der Linux-Welt und ihren noch einmal erheblich längeren Supportzeiten ganz abgesehen.

Nun sei nicht gänzlich vergessen, dass eine fehlende Upgrade-Möglichkeit auf Windows 11 noch nicht das Ende der offiziellen Unterstützung durch Microsoft bedeutet. Derzeit verspricht das Unternehmen, Windows 10 noch bis Oktober 2025 mit Updates weiterzupflegen. Trotzdem darf man sich durchaus fragen, wie das in der Praxis nach ein paar Jahren aussehen wird. Nicht nur, dass es keine neuen Features mehr geben wird, es muss sich auch erst zeigen, welche Auswirkungen dies auf die bestehende Funktionalität hat. Immerhin verweist Microsoft als Motivation für die gestiegenen Mindestanforderungen auf das Thema Sicherheit, es geht also nicht zuletzt darum die Plattform selbst aber auch sie umgebende Services besser abzusichern. Da könnte man sich dann schon irgendwann einmal dazu entscheiden, alte Zöpfe abzuschneiden – mit negativen Auswirkungen auf Windows-10-Nutzer.

Auftritt: Das Sicherheitsargument

Apropos Sicherheit: In diesem Bereich ist nämlich die zweite große Verwirrung rund um die Anforderungen von Windows 11 begraben, das Beharren auf einem "Trusted Platform Module"-(TPM)-Chip. Auch hier war das Kommunikationschaos aber wieder atemberaubend. War zunächst von einem TPM-2.0-Chip als Minimum die Rede, tauchte bald ein offizieller Supportartikel auf, in dem auf das ältere TPM 1.2 zurückgerudert wurde. Nur um dann etwas später eben diese Angabe wieder zu korrigieren. Mittlerweile hat man jedenfalls diesen Punkt unmissverständlich klargestellt: Es wird tatsächlich die neuere Generation des Sicherheitschips verlangt und damit TPM 2.0. Also außer natürlich, Microsoft überlegt es sich in den kommenden Monaten doch noch einmal anders.

Das ist aber fast schon eine Nebenschauplatz, hat doch Microsoft in seiner Ankündigung etwas nicht ganz Unwichtiges vergessen: dass die meisten Windows-Nutzer keinerlei Ahnung haben, was ein solches "Trusted Platform Module" eigentlich ist und ob sie einen solchen Chip haben. Verschlimmert wurde dies noch dadurch, dass ein von Microsoft zum Kompatibilitätscheck zur Verfügung gestelltes Tool zunächst keinerlei brauchbare Aussagen dazu lieferte, warum ein Rechner nun nicht kompatibel mit Windows 11 sein soll. So stellte zunächst so mancher Nutzer verblüfft fest, dass selbst sein relativ neuer PC angeblich nicht mehr mit Windows 11 laufen soll. Dies aber in einigen Fällen eben zu Unrecht, weil was den meisten nicht bewusst ist: Bei vielen der betroffenen Systeme waren sowohl der TPM-Chip als auch "Secure Boot" in den BIOS/UEFI-Einstellungen deaktiviert – was die Fehlermeldung des entsprechenden Tools auslöste.

Nebenschauplatz: Scalping

Dieses Chaos führte wiederum zu verblüffenden Effekten, nämlich dass die Preise von separaten TPM-Modulen auf Ebay massiv anzogen. Verunsicherte Windows-Nutzer hatten sich also offenbar auf die Suche gemacht, so mancher Verkäufer wollte das wiederum nutzen, um das schnelle Geld zu machen – obwohl in vielen Fällen längst nicht klar war, ob so ein Modul dann überhaupt funktioniert und ob sie es nicht ohnehin schon haben. Zumindest hat es Microsoft mittlerweile geschafft, eine neue Version dieses PC Health Check genannten Tools zu veröffentlichen, die zumindest ansatzweise sinnvolle Informationen liefert. Und mit WhyNotWin11 gibt es von einem Drittentwickler ein alternatives – und wesentlich hilfreicheres – Tool.

Grafik: WhyNotWin11

Zudem gibt es jetzt auch so etwas wie eine Antwort auf eine nicht ganz unwichtige Frage, auf die man vielleicht schon ganz am Anfang hätte eingehen können, nämlich: wozu das Ganze überhaupt? Microsoft verweist darauf, dass der TPM-Chip das grundlegende Sicherheitsniveau von Windows 11 verbessern soll. So soll er etwa dazu genutzt werden, Datenträgerverschlüsselung besser abzusichern oder auch den Sperrbildschirm vor Angreifern abzusichern. Wem das irgendwie bekannt vorkommt: Ja, ähnliche Chips sind bei Smartphones seit Jahren gang und gäbe und werden dort für ebensolche Aufgaben eingesetzt. Microsoft will mit den verstärkten Sicherheitsvorschriften zudem sowohl Systemsoftware als auch BIOS/UEFI besser vor Schadsoftware – und hier vor allem Erpressersoftware – absichern. Insofern darf man Microsoft generell durchaus noble Absichten bei den gesteigerten Hardwareanforderungen unterstellen. Dass es den Hardwarepartnern des Unternehmens wohl auch nicht ganz unrecht sein dürfte, wenn die PC-Verkäufe durch Windows 11 wieder anziehen, ist dann noch einmal eine andere Geschichte.

Ausblick

Mit Spannung darf jedenfalls erwartet werden, wie sich diese Saga in den kommenden Monaten entwickelt. Denn das aktuelle Verwirrspiel könnte bloß ein Vorgeschmack gewesen sein – sind doch jene, die sich für die Vorstellung neuer Betriebssystemversionen interessieren, üblicherweise technisch erheblich versierter als die breite Masse. Durchschnittlichen Nutzern in ein paar Monaten dann erklären zu müssen, was eigentlich ein BIOS/UEFI ist und wo sie exakt welche Einstellung ändern müssen, könnte noch "amüsant" werden. Zumal es hier keinerlei fixe Standards gibt, diese Punkte von Hersteller zu Hersteller oftmals anders heißen und auch die dafür gebotenen Oberflächen stark divergieren.

Ein neuer Termin

Da ist es fast schon erfreulich, dass Microsoft noch an anderer Stelle für Verwirrung sorgt. Hatte man zunächst betont, dass Windows 11 noch 2021 kommen soll – und zwar auch als Update für bestehende Nutzer –, hat man dieses Versprechen mittlerweile zurückgezogen. So heißt es nun via den offiziellen Windows-Account auf Twitter, dass zwar noch heuer die ersten Geräte mit Windows 11 im Handel erhältlich sein sollen, bestehende PCs sollen aber erst ab 2022 aktualisiert werden. Und auch dieser Prozess soll sich dann über die erste Hälfte des betreffenden Jahres ziehen. Die eigenen Partner scheint man über diesen Zeitplan übrigens nicht informiert zu haben. Hat doch so mancher PC-Hersteller bereits zuvor ein Windows-11-Upgrade für die eigenen Rechner noch dieses Jahr angekündigt – im direkten Widerspruch zu den Aussagen von Microsoft.

Spekulationen

All das wirft die Frage auf: Wie kann es einem großen und äußerst erfahrenen Softwarehersteller wie Microsoft passieren, einen Produkt-Launch dermaßen in den Sand zu setzen? Von außen machte die gesamte Windows-11-Vorstellung jedenfalls einen ziemlich überhasteten Eindruck, und eventuell könnte genau das der Grund für das gelieferte Chaos sein. So verblüffte es schon einigermaßen, dass Microsoft überhaupt einen eigenen Windows-11-Event abhält, obwohl erst im Mai die Entwicklerkonferenz Build stattgefunden hat – auf der es dann praktisch keine relevante Ankündigung gab. Die einzig relevante Schlagzeile der Build war bezeichnenderweise die Ankündigung des Windows-Events. Daraus könnte man schließen, dass Windows 11 zu dem Zeitpunkt einfach noch nicht präsentabel war beziehungsweise noch nicht alle zentralen Entscheidungen getroffen worden waren.

Dazu kommt, dass erst vor wenigen Wochen die Einstellung von Windows 10X durchsickerte. Unter diesem Namen wollte Microsoft eigentlich eine schlankere Version seines Betriebssystems präsentieren, die mit Googles Chrome OS konkurrieren sollte. Windows 11 wirkt nun wie eine Mischung aus Windows 10 und Windows 10X, der neue Look war jedenfalls vorher schon ähnlich bei der Schmalspurvariante zu sehen. Auch beim Android-Support ist naheliegend, dass dieser zunächst für Windows 10X entwickelt wurde. Immerhin kann auch der damit anvisierte Konkurrent – also Chrome OS – Android-Apps ausführen. Das ist natürlich alles nur Spekulation, und unter genau diesen Vorzeichen ist das zuletzt Gesagte auch zu verstehen. Trotzdem lässt sich der Eindruck, dass der Windows-11-Event unter großem Zeitdruck entstand, nicht ganz von der Hand weisen.

Relevante Fragen

Der breiten Masse an Nutzern kann die Suche nach den Ursachen ohnehin herzlich egal sein. Für die wäre es nur wichtig, dass sich Microsoft in den kommenden Monaten etwas einfallen lässt, um die aktuelle Situation abzufedern. Schließlich will niemand, dass der langjährige Windows-Rhythmus – auf eine gute Softwaregeneration folgte zuverlässig eine schlechte – prolongiert wird. (Andreas Proschofsky, 28.6.2021)