Rendi-Wagner kämpft mit der Unzufriedenheit in den eigenen Reihen.

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75 Prozent Zustimmung sind es für SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner auf dem Parteitag am Samstag geworden. Ihre Kritiker und Gegner aus dem verbleibenden Viertel, die die Parteichefin vom Zettel gestrichen haben, wagen sich kaum aus der Deckung. Einer, der es doch tat, war der Knittelfelder Bürgermeister Harald Bergmann: "Bei der Staatsbürgerschaftsdebatte haben mich viele gefragt, ob es uns noch gut geht als SPÖ, dass wir der ÖVP ihr Lieblingsthema auflegen." Heftige Kritik an den Delegierten übte hingegen der steirische Landesparteichef Anton Lang, ihr Verhalten sei "letztklassig" gewesen. DER STANDARD hat beim Politikberater Thomas Hofer nachgefragt, was bei den Roten los ist.

STANDARD: Wirklich bekennen wollte sich in der SPÖ vorerst niemand zu den Streichungen bei der Vorsitzendenwahl. Was ist in der SPÖ los?

Hofer: Die Partei hat eine ihrer "Tugenden", die sie jahrzehntelang ausgezeichnet hat, verloren: die Disziplin nach außen. Rumoren gibt es auch in der ÖVP und der FPÖ, aber in der SPÖ ist es stärker sichtbar. Viele – denn 25 Prozent ist nicht nichts – haben sich nicht an die Idee gehalten, die Partei nicht weiter "zu schädigen". Dass die Zustimmung bei unter 80 Prozent liegt, hat auch mich überrascht. Es schadet jedenfalls der Partei und schränkt deren Handlungsfähigkeit ein. Es gibt sicher auch weitere, die ein Unzufriedenheitsgefühl haben, aber eben diszipliniert waren und für Rendi-Wagner gestimmt haben. Dass ein Viertel ihre Unzufriedenheit wirklich so geäußert haben, ist schon sehr bedenklich aus Sicht der Parteiführung und für die Sozialdemokratie.

STANDARD: Warum mangelt es an Zustimmung für Rendi-Wagner? Weil sie eine Quereinsteigerin ist, wie sie es selbst erklärt?

Hofer: Ich will das schlechte Ergebnis nicht auf die Person Rendi-Wagner reduzieren, denn es gab auch davor tiefe inhaltliche Gräben innerhalb der SPÖ bei wesentlichen Themen, etwa Migration, Mindestlohn und Viertagewoche. Es liegt aber auch an der Person der Vorsitzenden. Es ist kein Geheimnis, dass sie bei einigen Parteifunktionären unbeliebt ist – auch wegen der Art der Kür. Denn das ist damals ohne das Zutun wesentlicher Landesgruppen – speziell Wiens – passiert. Auch wenn sich der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig gerade konstruktiv einbringt, so etwas wirkt nach. Wie auch die Scharmützel zwischen Rendi-Wagner und dem Burgenland und anderen Bundesländern. Ein dritter Grund für die mangelnde Zustimmung ist das Thema Strategiefähigkeit. Ist die SPÖ kampagnenfähig und in der Lage, eine sogar angeschlagene ÖVP herauszufordern? Es gibt viele in der Partei, die das nicht glauben.

STANDARD: Die SPÖ hat unlängst die Staatsbürgerschaftsdebatte losgetreten und Erleichterungen bei der Einbürgerung gefordert. Schlechtes Timing, sagen manche Beobachter.

Hofer: Die Staatsbürgerschaftsdebatte, bei der letztlich das Thema Migration reinspielt, hat ebendiese Gräben in der SPÖ aufgezeigt. Wie alle Großparteien muss die SPÖ viele Ansichten unter einen Hut bringen. Da gibt es eine Kluft, die sich aber überbrücken ließe – wie das Beispiel Wien zeigt. Auch da gibt es eine progressive Avantgarde, die bei Themen wie Black Lives Matter und Antirassismusarbeit weitergehen will, aber auch den stark strukturkonservativen Teil. Die Staatsbürgerschaftsdebatte betrifft aber auch die Frage der Strategiefähigkeit der Partei. Die Roten im Burgenland und andere unzufriedene Landesgruppen dürften die Debatte als Bestätigung ihrer Einschätzung sehen, dass die Partei nicht strategiefähig ist. So nach dem Motto: War ja eh wieder klar, jetzt spielen wir den Ball an die ÖVP und die FPÖ aus.

STANDARD: Braucht eine Parteichefin 80 Prozent aufwärts? Rendi-Wagner verteidigt ihr Resultat mit Vergleichen wie dem, dass auch hohe Zustimmungswerte in der Partei den früheren ÖVP-Chef Mitterlehner nicht vor der Demontage gerettet haben.

Hofer: Parteitagsergebnisse sind kein Freibrief für eine Kanzlerkandidatur. Und auch wenn die parteiinterne Zustimmung oft Schein beziehungsweise politische Folklore ist, ist es doch problematisch, wenn man nicht einmal den Schein zusammenkriegt, das ist eine Art Grundvorraussetzung. Gerade in einer Zeit, in der doch eher die ÖVP die Getriebene ist. Ein Personalwechsel an der SPÖ-Spitze allein würde aber zu kurz greifen – auch dann wäre nicht alles happy pepi. Die Konflikte waren schon unter Altkanzler Werner Faymann da, der beim Maiaufmarsch 2016 ausgepfiffen wurde, oder bei Christian Kern, der etwa versuchte den damaligen FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache mit den Worten, "auch er will das Land nur nach vorne bringen" zu umarmen. Man sieht die strategische Unsicherheit über die Jahre hinweg. Rendi-Wagner kann jedenfalls eines nicht von sich behaupten: dass sie die parteiinternen Konflikte begradigt hat. Sie muss nun hoffen, dass sich die Krise der ÖVP weiter zuspitzt, und das ist kein heftiges Zukunftsprogramm. Ihre einzige Chance ist es, über die sachpolitische Schiene die innenpolitische Agenda zu dominieren. Etwa bei der aufkommenden Verteilungsfrage: "Wer zahlt für diese Krise?", bei dem Thema Pandemie ist ihr das meiner Meinung nach gelungen. (Flora Mory, 28.6.2021)