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Ein Kleinkind will nur noch mit Unterhaltung essen. Was können die Eltern tun? (Symbolbild)

Foto: getty images

Frage:

Unsere Tochter ist 15 Monate und eine sehr schlechte Esserin. Wir haben haben manchmal das Gefühl, mit dem Problem alleine zu sein, denn die Kinder unserer Freunde sind "gute" Esser. Wenn wir unserer Tochter nichts anbieten würden, würde sie sich nicht melden. Auch die Mahlzeiten werden immer mehr zum Machtkampf. Wir waren schon so verzweifelt, dass wir begonnen haben, sie abzulenken und zu unterhalten, damit sie isst. Zum Beispiel mit Spielzeug oder indem wir ihr Bilder oder Videos am Handy zeigen. Mit der Ablenkung klappt das Essen auch problemlos. Aber wir wissen natürlich, dass das kein Dauerzustand sein kann, ungesund ist und wahrscheinlich zu einem nachhaltig gestörten Essverhalten führt. Deshalb versuchen wir, ihr das irgendwie wieder abzugewöhnen – ohne Ablenkung isst sie allerdings drei Löffel und fängt zu schreien an. Was können wir tun?


Antwort von Linda Syllaba

So viele Menschen haben ungesunde Prägungen, was Essen angeht! "Iss brav auf!", "ein Löffelchen für den Opa", "Anständige Speisen müssen Fleisch enthalten", "Iss nicht so viel!", um nur ein paar Klassiker aufzulisten. Kaum jemand hört auf seinen Körper und was ihm gut tut, weil irgendwann irgendwer was anderes als "richtig" platziert hat. Erlauben Sie Ihrer Tochter, sich die Fähigkeit, ihrem Körpter zu vertrauen, zu bewahren und entspannen Sie sich. So schnell verhungert ein Kind in unserer überernährten Gesellschaft nicht. Üben Sie sich lieber in Geduld und Vertrauen. Bieten Sie ihr immer wieder etwas an. Gute Erfahrungen gibt es auch mit kleinen Netzen, in die man Gurke oder Obst reingibt und an denen das Kind saugen kann. Auch Maisstangerl können das selbstbestimmte Agieren zum Beispiel fördern.

Essen gehört wie Schlafen und Körperausscheidung zu den wenigen Dingen, über die ein so kleines Kind Selbstbestimmung hat. Trauen Sie ihr zu, dass sie das einschätzen kann. Zwingen bringt nur Ungutes. Kalkulieren Sie mit ein, falls Ihre Tochter auch Flüssignahrung zu sich nimmt, also trinkt sie vielleicht noch Muttermilch, Fläschchen oder Kakao? Das wäre ja wie eine Mahlzeit, dann braucht sie sonst nicht mehr viel anderes. Jetzt im Sommer kann es durchaus sinnvoll sein, mit viel Flüssigkeit unterwegs zu sein. Wasser ist da selbstverständlich auch immer wichtig. Oftmals wird ja auch Hunger mit Durst verwechselt und umgekehrt.

Linda Syllaba ist diplomierte psychologische Beraterin, Familiencoach nach Jesper Juul und Mutter. Sie ist Autorin der Bücher "Die Schimpf-Diät" (2019) und "Selfcare für Mamas" (2021).
Foto: Bianca Kübler Photography

Gesunde Kinder haben ein angeborenes Gefühl dafür, wann sie Hunger haben und wie viel sie brauchen. Sofern sie industriell verarbeitete Lebensmittel nicht kennen, mit arg fetten, stark gewürzten und nährstoffarmen Gerichten keinen Kontakt hatten, verlangt es sie auch nicht danach. Sie können also getrost darauf vertrauen, dass Ihre Tochter sich meldet, wenn sie Hunger hat. Und wenn Sie ihr gesunde Kost anbieten, wird sie diese auch essen, sofern Sie selbst das auch tun. Solange Ihre Tochter aktiv und neugierig unterwegs ist, können Sie das als Indikatoren sehen, dass es ihr gut geht. Sollte sie lethargisch wirken, deutet das auf Unterzuckerung hin. Dann sollten Sie unbedingt einen Arzt konsultieren.

Ich sehe keinen Grund, das Kind abzulenken und, wie Sie ja selbst sagen, ihr eine Essstörung anzutrainieren. Vertrauen Sie lieber in die natürliche Kompetenz Ihrer Tochter. Wenn sie nach drei Löffeln schreit, kann das ja alles Mögliche bedeuten, unter anderem auch: "Ich habe genug." Manchmal liegt es auch am Zahnen. Mit 15 Monaten bleibt es gewissermaßen ein Raten, was das Schreien auslöst beziehungsweise bedeutet. Diesbezüglich empfehle ich viel Empathie, fühlen Sie sich in die Situation des Kindes ein und verbalisieren Sie, was Sie aus dieser Perspektive einschätzen. Sagen Sie zum Beispiel: "Okay, ich glaube, jetzt hast du schon genug. Später gibt’s ja auch wieder was" oder "Na, ich glaube, Bokkoli ist nicht so ganz dein Geschmack. Dann probieren wir es eben nächstes Mal mit etwas anderem."

Je mehr Sie in Beziehung mit der Tochter gehen, umso besser. Interessieren Sie sich für ihre Wahrnehmung und das, was sie selbst noch nicht sagen kann. So lernt sie ganz nebenbei auch die Worte fürs Essen und ihre Befindlichkeit kennen, das ist ja ohnehin gut für den Sprachschatz. Bleiben Sie neugierig und offen, Ihre Tochter wird es Sie wissen lassen, was sie beschäftigt. Auf ihre Weise. (Linda Syllaba, 9.7.2021).


Antwort von Hans-Otto Thomashoff

Das ist eine trickreiche Frage. Denn grundsätzlich kann zweierlei das Problem sein.

Die erste Möglichkeit besteht darin, dass Ihre Tochter, auch wenn sie erst 15 Monate alt ist, in den Konflikten über das Essen ihren Drang nach Autonomie zum Ausdruck bringt. Wie im vorangegangenen Beispiel des gleichaltrigen Buben dämmert es ihr, dass sie ein eigenständiges Wesen ist, das einen eigenen Willen hat. Weil der nicht immer mit dem der anderen im Gleichklang steht, stellt sich die Frage, wer jeweils seinen Willen durchsetzt. Das kleine Mädchen hat ganz intuitiv begriffen, dass es Sie mit seiner Essensverweigerung zur Verzweiflung bringen kann und sich so das Essen als Spielwiese der eigenen Wirkmächtigkeit und damit des Machtkampfes mit Ihnen eignet. In diesem Fall sind Tricks erlaubt und ist Ihre elterliche Geduld gefragt.

Zugleich sollten Sie sich klarmachen, dass ein körperlich und psychisch gesundes Kind nicht am vollen Teller verhungert. Ob Ihre Sorge, dass Ihre Tochter zu wenig isst, berechtigt ist, lässt sich recht verlässlich am Gewicht der Kleinen ablesen. Solange sie nicht an Gewicht verliert und weiter wächst, können und sollten Sie mit der Situation recht gelassen umgehen. Sie sollten aus dem Machtkampf aussteigen und ihr vorleben, dass Sie es mit dem Essen konsequent so halten, wie Sie das für richtig befinden – mit festen Essenszeiten und mit einem entsprechenden Ritual zu den Mahlzeiten. Früher oder später wird sie sich dann an diesem Ritual beteiligen wollen.

Hans-Otto Thomashoff ist Psychiater, Psychoanalytiker, zweifacher Vater und Autor. Zuletzt veröffentlichte Bücher: "Das gelungene Ich" (2017) und "Damit aus kleinen Ärschen keine großen werden" (2018).
Foto: Andrea Diemand

Allerdings kann es auch sein, dass das Problem ganz woanders liegt, dass Ihre Tochter möglicherweise eine Unverträglichkeit für bestimmte Nahrungsmittel hat und vom Essen Bauchschmerzen bekommt. Gibt es darauf Hinweise?

Ich bin einer der Letzten, die der grassierenden Zunahme von eingebildeten Unverträglichkeiten das Wort redet, doch es kommt vor, dass Säuglinge und Kleinkinder manche Substanzen in den Nahrungsmitteln nicht vertragen.

So hatte ich einmal eine Patientin, die die Muttermilch nicht vertrug. Wegen ihrer unweigerlich wiederkehrenden Bauchschmerzen besetzte sie später pauschal fast jede Nahrungsaufnahme mit massiven Ängsten, die sich durch weite Teile ihres psychischen Erlebens zogen. Leider war die Unverträglichkeit nie abgeklärt worden, sodass sie lange untergewichtig blieb und sogar in eine Klinik für Magersüchtige eingeliefert wurde, obwohl Magersucht überhaupt nicht ihr Problem was. In der Psychotherapie fanden wir die Wurzel ihrer Ängste, und sie begann auszuprobieren, welche Nahrung sie vertrug. Zugleich gelang es, ihre Ängste aufzulösen, sodass sie heute unbehelligt von ihnen lebt.

Zurück zu Ihrer Tochter. Um eben eine mögliche Nahrungsmittelunverträglichkeit auszuschließen, sollten Sie mit ihr mit dieser Fragestellung zu einem Kinderarzt gehen, um das abzuklären. (Hans-Otto Thomashoff, 9.7.2021)