Frank de Boer könnte in Budapest sein letztes Spiel als Bondscoach verantwortet haben.

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Budapest – Sichtlich angeschlagen und mit versteinerter Miene saß Frank de Boer nach dem niederländischen EM-Debakel im Bauch der Puskas-Arena, als die 7.000 todtraurigen Oranje-Fans bereits abgezogen waren. Die von ihm ausgerufene Titelmission ist spektakulär gescheitert, entsprechend vernichtend lasen sich die Schlagzeilen in den heimischen Gazetten. Und de Boer umkurvte immer wieder die eine entscheidende Frage: Wird es mit ihm als Bondscoach nach dem erschütternden Achtelfinal-Aus weitergehen?

"Wir haben alle einen großen Kater. Wir müssen über alles nachdenken", sagte der 51-Jährige nach der bitteren 0:2-Niederlage gegen Tschechien in Budapest: "Man sollte jetzt keine Entscheidungen treffen. Ich werde diese bittere Pille schlucken."

De Boer, der die Mannschaft erst im September 2020 nach dem Abgang von Ronald Koeman übernommen hatte, lässt seine Zukunft also offen. Im Moment sei er "voller Emotionen", sagte er weiter, und er werde "die Dinge reflektieren".

"De Boers Dummheit"

Sollte de Boer am Montag die niederländischen Zeitungen aufgeschlagen haben, dürfte ihn dies nicht gerade zum Weitermachen ermuntern. "Oranje zahlt den Preis für de Boers Dummheit", schrieb "De Telegraaf". Die Tageszeitung "AD" sah ein "erbärmliches Versagen", das "intensives Nachdenken" erfordere, während Trouw unmissverständlich konstatierte, dass nun "die Diskussion um die Weiterbeschäftigung von Frank de Boer als Bondscoach wieder aufflammen" werde.

Das Fußballmagazin "Voetbal International" konnte es indessen nicht ertragen, in derselben Runde wie Wales auszuscheiden, das 0:4 gegen Dänemark verloren hatte. "Ausgeschieden im Achtelfinale, genauso wie die Hobbykicker aus Wales. Das ist der Zustand des heutigen Oranje", schrieb das Blatt: "Genauso schlecht wie Wales. Und das ist noch nicht einmal ein richtiges Land." Dass so etwas passieren könnte, hatte sich in der Gruppenphase jedoch kaum angedeutet.

Vermeintlich vorbei: Die dunklen Jahre

Mit drei Siegen war die Elftal locker durch die Vorrunde spaziert – und selbst de Boer hatte am Tag vor dem Tschechien-Spiel noch vom zweiten EM-Titel nach 1988 und einer Party auf den Grachten von Amsterdam gesprochen. Die dunklen Jahre, in denen Holland die EM 2016 und WM 2018 verpasst hatte, wähnten auch viele Experten in der Vergangenheit. Ihre Träume platzten in Budapest wie Seifenblasen, obwohl mit etwas Glück auch alles hätte anders laufen können.

Der Knackpunkt blieb die 52. Minute, in der beim Stand von 0:0 erst Stürmer Donyell Malen frei vor Tschechiens Keeper Tomas Vaclik eine Großchance vertändelte, ehe Abwehrchef Matthijs de Ligt im direkten Gegenzug durch ein Handspiel eine Torchance vereitelte und die rote Karte nach Videobeweis sah.

Von nun an lief alles für die Tschechen, weshalb sich de Ligt im Nachgang große Vorwürfe machte: "Meine rote Karte hat Oranje den Hals umgedreht", sagte beim TV-Sender NOS.

Die Tore von Tomas Holes (68.) und Patrik Schick (80.) waren danach im Spielverlauf zwangsläufig, denn die Niederlande waren im Angriff viel zu harmlos.

Weder vor noch nach dem Platzverweis brachten sie einen Schuss auf das Tor zustande, das ist seit Beginn der Datenaufzeichnung bei Welt-und Europameisterschaften ein Novum für ein holländisches Team. Und dieser Missstand wurde vor allem de Boer angelastet.

Sein in der niederländischen Medienöffentlichkeit unbeliebtes 3-5-2-System und damit die Abkehr vom heiligen 4-3-3 kam nach der Niederlage sofort wieder auf dem Tisch.

"Nach dem Platzverweis hätte er umstellen sollen. Aber er ist weiter bei fünf Verteidigern geblieben", kritisierte Nigel de Jong, Vizeweltmeister von 2010, bei ITV in England: "Wofür denn bitte? Für mich sah es so aus, als wollte er so lange wie möglich das 0:0 halten ..." (sid, red, 28.6.2021)