Verhaltensbiologe Kurt Kotrschal kritisiert in seinem Gastkommentar die Jägerschaft und ihren Umgang mit Wölfen. Er verlangt ein "faktenorientiertes Um- und Neudenken".

Der Kommentar der anderen von Christopher Böck, Wildbiologe und Geschäftsführer des oberösterreichischen Landesjagdverbands, zur Lage der Wölfe in Österreich kommt im Ton gemäßigt und inhaltlich balanciert daher, transportiert aber dennoch vor allem die sattsam bekannten Positionen des Jagdverbands. Die Schutzwürdigkeit des Wolfes wird infrage gestellt, und er wird wieder einmal als bloßes Problem dargestellt, obwohl Naturschutz und Jagd von diesem Top-Beutegreifer auch profitieren könnten.

Jäger stellen den europaweiten Vollschutz der Wölfe infrage. Zu Recht? Oder braucht es den erst recht, um die Tiere zu schützen?
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Herr Kollege Böck stellt gleich zu Beginn die angebliche Blauäugigkeit des Wolfsschutzes heraus und verknüpft dies mit der ebenso alten wie falschen Unterstellung, dass es dabei hauptsächlich um das Lukrieren von Spendengeld geht. Man merkt die Absicht, Naturschutz, NGOs und Sachargumente zu diskreditieren, und ist verstimmt. In dieser Tonlage geht es weiter; anstatt sich etwa ernsthaft mit Herdenschutz auch im alpinen Raum auseinanderzusetzen, polemisiert Böck wieder einmal mit Halbwahrheiten dagegen. Wider besseres Wissen – denn es geht längst nicht mehr um Zäune auf den Almen, sondern um klassische Behirtung und Herdenführung. Auch auf den Almen wird man um fachgerechten Herdenschutz nicht herumkommen, schon allein deswegen, weil aufgrund der Zuwanderung von Wölfen aus dem Ausland die Flinte das Problem niemals lösen wird.

Vernebelung

Man kann mit Böck durchaus für die "Regulierung" des Wolfs plädieren, das wird ja auch bei anderen Wildtieren praktiziert. Das bleibt aber im Moment Vernebelung, denn hierzulande gibt es noch lange nichts zu regulieren. Momentan lebt ein einziges Rudel in Österreich (in Allentsteig), und eine Handvoll Zuwanderer durchstreifen vor allem die westlichen Bundesländer. Sie als abschusswürdige "Problemwölfe" definieren zu wollen, wenn sie sich an ungeschützten Schafen vergreifen – wie das die Bundesländer Tirol und Salzburg mittels Landesgesetze versuchen –, ist nicht nur ein Witz, sondern angesichts der gültigen europäischen Regelungen auch gesetzwidrig und wird vor dem Europäischen Gerichtshof sicher nicht halten.

Böck stellt die Berechtigung des strengen Schutzes des Beutegreifers auf europäischer Ebene infrage, weil erstens unsere herrliche Natur hauptsächlich altes Kulturland sei und weil es zweitens ohnehin bereits 20.000 Wölfe in Europa gibt. Die Fakten sind richtig, aber die typische Jägersicht darauf ist fragwürdig. Denn erstens bestehen weniger als drei Prozent der Landesfläche aus Nationalparks (und die funktionieren im Sinne des Artenschutzes eher schlecht), bloß 0,2 Prozent sind Wildnis; daher wird Wolfs- und Wildtierschutz nur im Kulturland oder eben gar nicht funktionieren.

Dass Wölfe nicht vom Aussterben bedroht sind, ist noch lange kein Argument, dass sie ausgerechnet in Österreich nicht geschützt werden sollen. So "vergaß" Böck, Erkenntnisse zu erwähnen, dass Wölfe durch Kontrolle von Fuchs, Goldschakal oder Fischotter die Hüter einer diversen Fauna sind und sie es viel besser als unsere menschlichen Trophäenjäger schaffen, die Schalenwildbestände gesund zu erhalten.

Abknallerei

Unerwähnt blieb auch das Hauptproblem des Schutzes der großen Beutegreifer in Österreich, nämlich die illegale Abknallerei der Wölfe wie auch der Bären, Luchse und Greifvögel, die Österreich seit langem zum Schandfleck des Artenschutzes in Europa stempelt. Bisher hatten alle der wenigen überführten Wildtierkriminellen einen Jagdschein. Vertretern der Jagd ist daher anzuraten, sich vordringlich um die Übeltäter in den eigenen Reihen zu kümmern, anstatt sich in jagdgerechten Naturfantasien zu ergehen. Gesetze sollten schließlich für alle gelten.

Trotz allem kann man dem Beitrag von Böck das Bemühen um eine sachorientierte Diskussion nicht absprechen. Diese braucht aber auch ein Abrücken von nicht mehr haltbaren Positionen, von der Diffamierung der anderen, vor allem aber ein faktenorientiertes Um- und Neudenken, welches anerkennt, dass Natur- und Artenschutz nur in einer gesamteuropäischen und auch wissenschaftlichen Perspektive jenseits alter Hüte gelingen kann. (Kurt Kotrschal, 29.6.2021)