Schweigen und einfach streichen – wo sind die Zeiten, in denen auf Parteitagen noch wild debattiert wurde, fragt Journalist und Mediencoach Peter Pelinka im Gastkommentar.

Erst Standing Ovations für ihre Rede, dann ein historisch schlechtes Ergebnis bei der Vorsitzwahl für Rendi-Wagner. Ihre Unzufriedenheit haben die SPÖ-Delegierten nicht offen gezeigt.
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Ursprünglich hätte sich für einen Gastkommentar zum Ergebnis der Abstimmung über die Parteivorsitzende beim SPÖ-Parteitag ein Vergleich mit dem österreichischen Abschneiden bei der Fußball-EM aufgedrängt: "Ehrenvoll!" Die Performance noch nicht perfekt, aber deutlich verbessert: steigende Umfragewerte für Person und Partei, deutlich über den Tiefstwerten vor einem Jahr, wenn auch noch immer klar unter denen des leicht schwächelnden Titelinhabers. Zwar noch immer unter den Erwartungen, die angebliche oder tatsächliche Sympathisanten schüren konnten, eineinhalb Jahre nach Ausbruch der Pandemie und ein halbes Jahr nach Ausbruch der türkisen Formkrise.

Aber im Londoner Wembley-Stadion war eine wirklich ehrenvolle Teamdarbietung inklusive eines späten Gegentores zu sehen, die Hoffnungen keimen ließ auf einen Erfolg in der nächsten Runde. Österreichs Elf hat endlich die Tatsache aufs Spielfeld gebracht, dass sie eigentlich eine Auswahl deutscher Bundesligakicker ist, ergänzt durch einen (guten) Profi aus der englischen Liga und einen (bisweilen weniger guten) aus der chinesischen.

Entsetzen und Wut

Wechsel der Erwartungen aufs politische Feld: Wann, wenn nicht jetzt sollte der ausgewiesenen Gesundheitsexpertin angesichts ihrer mehrfach bewiesenen Seriosität in Covid-Zeiten denn der Durchbruch gelingen? Zu Umfragehöhen in der Nähe oder über der 30er-Marke, die auch einen finalen Sieg beim nächsten großen Turnier zumindest möglich erscheinen ließen? Und dann die große Enttäuschung: ein Ergebnis um die 75 Prozent, ohne Gegenkandidaten, vor allem: ohne sicht- und hörbare Kritik der Delegierten, mit Ausnahme eines "Mutigen" aus der Steiermark, der auch ein Motiv für seine Skepsis artikulierte, die Debatte um mögliche Erleichterungen bei der Staatsbürgerschaft.

Sonst allerdings atmosphärisch das Gegenteil: Standing Ovations für die Chefin, gerade auch nach ihrer bemerkenswert pointierten Rede. Danach aber vielfach Entsetzen und Wut, auch bei den wichtigsten Unterstützern Pamela Rendi-Wagners, in der Wiener Partei und in der Gewerkschaftsfraktion. Eine Ohrfeige ohne offene Kritik, ein feiges Signal an die Parteivorsitzende, an der man wahrlich genug auch offen einiges hätte kritisieren können. Auch wenn manche Kritik ihr eher zur Ehre gereicht: zu weich sei sie, zu wenig konfrontativ, zu wenig am Endzweck orientiert, eben keine klassische Politikerin, unfähig zur zuspitzenden Demagogie. Nichts davon war zu hören, zu sehen nur die Streichungen von 145 Delegierten, denen offenbar der langfristige Schaden für die Gesamtpartei in allen Regionen von West bis Ost weniger wichtig war als die fortgesetzte Entmutigung ihrer Vorsitzenden. Auch das scheint legitim: wenn es klare politische und persönliche Alternativen gäbe.

Caps "drei Fragen"

Wo sind die Zeiten hin, als gerade Parteitage der SPÖ getragen waren von hitzigen Wortmeldungen aufmüpfiger (nicht nur) junger Delegierter, die auch vor autoritären Sanktionen nicht kuschten? Prominentestes Beispiel: die Rede von Josef Cap auf dem Parteitag 1982 mit den berühmten "drei Fragen" an den damals fast sakrosankten burgenländischen Landeshauptmann Theodor Kery, bestraft von einer Mehrheit der Delegierten, die Cap von der Liste für den Parteivorstand strichen und ihm dadurch 1983 den Einzug in den Nationalrat erst ermöglichten.

Ungeachtet der Tatsache, dass er dort die Erwartungen vieler Wähler nicht erfüllen konnte: Das waren noch Zeiten lebendiger Diskussionen, die an offene Feldschlachten wie bei der Wahl Bruno Kreiskys zum Parteichef 1967 (gegen Hans Czettel) erinnerten oder die spätere Ereignisse vorwegnahmen wie die Debatte beim Parteitag der FPÖ, die der ein Jahr später zum "Putsch" umgedeuteten Wahl Jörg Haiders (gegen Norbert Steger) vorausging.

Beispiel FPÖ

Und heute? Muss ausgerechnet die FPÖ der SPÖ vormachen, wie es geht: vorher heftige personell-strategische Debatten um die Spitzenposition (Herbert Kickl gegen Norbert Hofer), dann aber ein relativ eindeutiges Ergebnis für den neuen Heilsbringer. Obwohl: Auch in der blauen Führerpartei lag Kickls Ergebnis deutlich unter denen für seine Vorbilder Haider (jetzt wieder) und Strache (jetzt nicht mehr) – aber eben auch ebenso deutlich über jenem für Rendi-Wagner jetzt.

Natürlich: Heute zählt das Votum von Parteitagsdelegierten politisch weniger als 1967 oder 1983. Mehr als das bloße Ergebnis zählt das mediale Echo: Auch Kickls Wahl (ebenso ohne Gegenkandidatur) wurde als halber Misserfolg interpretiert, Rendi-Wagners "nur" 75 Prozent gleich als fast endgültiger Abgesang auf die Chance eines Entscheidungstors im entscheidenden Spiel. Beides Überspitzungen: Medien leben auch von der Dramaturgie, die sie zusätzlich erzeugen.

Politische Kanten?

Eines stimmt aber: Ohne einigermaßen geschlossenes Team gibt es kaum Chancen auf einen Erfolg. Das kann man/frau nicht mit reiner "Message-Control" erreichen, offenbar auch nicht mit einer relativ makellosen Medienpräsenz, sondern nur mit Kampfgeist (vorhanden) und politischen Kanten (offenbar zu wenig vorhanden).

Nach dem vorläufigen Spielende ist jedenfalls Klarheit angesagt. Im Fußball wohl einfacher als in der Politik: Österreichs Team (in Rot gewandet, nicht in Türkis) scheint auf dem Weg zum europäischen Spitzenteam. Die rote SPÖ hat nach diesem Parteitag mehr denn je nach dem Schock des Rückzugs von Christian Kern Rückstand zur türkis (um)gefärbten österreichischen Spitze. (Peter Pelinka, 29.6.2021)