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Bereits im vergangenen Dezember gab es Proteste gegen Präsident Moïse und gegen die Gewalt auf den Straßen.

Foto: AP / Dieu Nalio Chery

Normalerweise herrscht Dauerstau an der Ausfallstraße der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince Richtung Westen. Doch vor Tagen ist der Verkehr praktisch zum Erliegen gekommen. Jetzt herrscht dort Krieg. Zwei kriminelle Banden kämpfen um die Vorherrschaft. Gangmitglieder marschieren unvermittelt auf und eröffnen das Feuer auf alles, was sich bewegt.

Auch in anderen Teilen der Hauptstadt gehen Kriminelle in die Offensive. Polizei und Regierung sind heillos überfordert. Präsident Jovenel Moïse bat die internationale Gemeinschaft um Hilfe.

Hinter der Eskalation steckt nach Ansicht des Portals Insight Crime ein Zerwürfnis innerhalb der mächtigen G9-Föderation, ein 2020 entstandener Zusammenschluss verschiedener krimineller Banden unter Leitung des ehemaligen Polizisten Jimmy Chérizier alias Barbecue. Er hatte Medienberichten zufolge versucht, in den offenbar finanziell begründeten Streitigkeiten zu vermitteln, war aber Mitte Mai angeschossen worden.

Veruntreuung von Hilfsgeldern

Haitis Banden finanzieren sich vor allem aus Schutzgelderpressung, Entführungen, Waffengeschäften und Drogenhandel. Nachdem die UN-Mission 2017 das Land nach 13 Jahren verlassen hatte, übernahmen die Gangs vor allem in den ärmeren Stadtteilen die Kontrolle. Dort treten sie als Schutzmacht auf, vergeben Kredite und übernehmen Dienstleistungen wie Müllsammeln, denen der Staat nicht nachkommt. Barbecue erwies sich als geschickt darin, Schutz von Polizeichefs und Politikern zu bekommen, für deren Zwecke er sich einspannen ließ. Ihm wird nachgesagt, Moïse zu unterstützen und für Morde an Regierungskritikern verantwortlich zu sein.

Seit der Rechnungshof 2019 die Veruntreuung von Hilfsgeldern aufgedeckt hatte, sieht sich der Präsident Massenprotesten gegenüber. Er regiert seit 18 Monaten per Dekret und wechselte sechsmal den Premierminister. Ein Parlament gibt es nicht mehr, weil der Ex-Bananenexporteur Moïse keine Wahlen einberufen hat.

Die Opposition hält ihn für einen Usurpator. Das Mandat des 2016 für fünf Jahre gewählten Moïse sei im Februar abgelaufen. Moïse behauptet, das eine Jahr Nachwahlkonflikt zwischen der ersten und zweiten Wahlrunde, in dem ein Interimspräsident regierte, zähle nicht. Per Plebiszit wollte er im Juni die Verfassung ändern und seine Position stärken. Der Druck der internationalen Gemeinschaft konnte ihn davon abhalten. Im September sind nun Neuwahlen angesetzt. Ob sie stattfinden können, ist ungewiss. (Sandra Weiss, 28.6.2021)