Die SPÖ hat ein untrügliches strategisches Gespür für den falschen Zeitpunkt. Themen setzt die Partei derzeit schier willkürlich; vor dem Tag der Arbeit ging es dieses Jahr bloß um Parteiinterna; und jetzt, da die Umfragewerte nach einem historischen Tief wieder steigen, es also einmal gar nicht so schlecht aussieht – das Parteitagsdesaster. Pamela Rendi-Wagner saß noch nie fest im Sattel, politischen Beobachtern war das klar. Jetzt ist es auch amtlich: Selbst ein Viertel ihrer eigenen Delegierten hält sie für untauglich. Es steht außer Frage, die SPÖ hat ein Problem. Oder um es mit einem Bild aus der Sozialdemokratie zu sagen: Die rote Nelke welkt – womöglich deshalb, weil sie von zu vielen Gärtnern gegossen wird.

Pamela Rendi-Wagner saß noch nie fest im Sattel.
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Am meisten nagt an der SPÖ die Grundsatzfrage, wofür sie nun eigentlich steht. Wobei die Skurrilität daran ist: Es mangelt der Sozialdemokratie nicht an Themen und Positionen – eher hat sie zu viele davon. Das hat sich etwa bei der Debatte rund um die österreichische Staatsbürgerschaft gezeigt. Da geht die SPÖ mit progressiven, klaren Ideen an die Öffentlichkeit, schon melden sich die ersten Roten: Warum so? Warum jetzt? Ist das jetzt wirklich wichtig? Die Partei ist entlang vieler Fragen beim Thema Migration gespalten. Aber auch: Mindestlohn oder Vier-Tage-Woche? Autofahrer schützen oder Klima retten?

Hinter all diesen kleinen und großen Positionierungsfragen verbirgt sich eine Kernüberlegung: Soll die SPÖ Politik für urbane Linke machen, enttäuschte Grün-Wähler abfangen, die gefestigte Mittelschicht ansprechen? Oder muss sich die Sozialdemokratie wieder mehr auf ihre Wurzeln konzentrieren, jene zurückgewinnen, die zur FPÖ übergelaufen sind, stärker gewerkschaftlich auftreten? Einige in der Partei formulieren es auch so: Wenn die SPÖ irgendwann Teil einer linken Mehrheit sein will, muss sie nach rechts rücken, um von dort Wählerinnen und Wähler abzuholen.

Klammer spannen

Man muss sagen: Es ist nicht unmöglich, über eine gewachsene, pluralistische Großpartei eine Klammer zu spannen. Man sieht das im Kleinen in Wien, wo es Michael Ludwig fast überraschend gut gelungen ist, die parteiinternen Flügel zusammenzuführen und für Ruhe zu sorgen. Dafür braucht es aber jemanden an der Spitze, der das Zepter in die Hand nimmt, der den Weg vorgibt, wenn er unklar ist. Jemanden, der schlussendlich die Position festlegt, auf die sich Wählerinnen und Wähler verlassen können.

Es ist fraglich, ob Rendi-Wagner diese Person noch werden kann. Nicht nur, weil ihr der innerparteiliche Rückhalt fehlt. Womöglich auch, weil sie als Quereinsteigerin einfach zu wenig Sozialdemokratin ist, um die Richtung vorzugeben. Ein Mal hat sie das engagiert und glaubwürdig versucht – in der Corona-Krise. Als Gesundheitsexpertin ist Rendi-Wagner unumstritten. In ihren Ansagen war sie klar und bestimmt, Kritiker in der Partei gab es, doch sie ließ sich nicht beirren.

Ansonsten war Rendi-Wagner bisher aber vor allem eines: mutlos. Ständig schickt sie andere vor, um die Tagespolitik zu erledigen, Positionen zu verteidigen, anzugreifen. Spätestens nach diesem roten Parteitag ist klar, dass die SPÖ und Rendi-Wagner an ihrer Spitze mit dieser Strategie bald verblühen. Rendi-Wagner muss jetzt Kante zeigen, Themen setzen und die SPÖ endlich wirklich übernehmen – oder gehen und die Führung jemand anderem überlassen. (Katharina Mittelstaedt, 28.6.2021)