Die Arbeitslosigkeit in der Industrie liegt nur noch knapp über dem Vorkrisenniveau, die Zahl der offenen Jobs steht auf einem Allzeithoch.

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Allein die vielen kleinen Meldungen der vergangenen Tage aus dem Industrieland Österreich ergeben ein eindeutiges Bild. Der Aufschwung ist voll da. In der zweiten Juniwoche etwa gab der Stahlkonzern Voestalpine bekannt, dass das Unternehmen nach einem Corona-bedingten Minus im vergangenen Jahr im aktuellen Geschäftsjahr 2020/21 wieder Gewinn erwirtschaftet hat. Die Holzindustrie jubelte beinahe zeitgleich über eine ausgezeichnete Auftragslage dank der starken Auftragslage am Bau.

Der Anlagenbauer Andritz AG gab kurze Zeit später bekannt, dass das Unternehmen einen Großauftrag zur Modernisierung der Produktion bei Europas größtem Kartonhersteller Mayr-Melnhof in Frohnleiten, Steiermark, erhalten habe. Der Batteriehersteller Banner mit Sitz in Leonding (Bezirk Linz-Land) vermeldete den Eingang eines Großauftrags aus Übersee für die Lieferung von 1,5 Millionen Batterien. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Was aus Perspektive der einzelnen Unternehmen schon gute Nachrichten sind, bedeutet volkswirtschaftlich gesehen einen rasanten Aufschwung. Das legen zumindest die Zahlen der Wirtschaftsforscher nahe. Das Wifo hat in der vergangenen Woche seine aktuelle Prognose präsentiert. Die Ökonomen dort rechnen für 2021 mit einem Plus bei der Wirtschaftsleistung von vier Prozent. Getrieben wird dieses Wachstum zu einem guten Teil von der Gütererzeugung. Die Industrieproduktion soll demnach heuer um satte 9,2 Prozent zulegen und im kommenden Jahr um noch einmal 4,2 Prozent.

Der Wert für 2020 wäre wohl sogar etwas höher, wenn nicht einige Lieferengpässe die Produktion bremsen würden, sagt der Wifo-Ökonom Werner Hölzl. Tatsächlich klingt aber nicht nur er so optimistisch. Der Einkaufsmanagerindex der Bank Austria, der auf Basis einer Befragung von 300 Unternehmen die Auslastung der Betriebe messen soll, zeigt ebenso einen Boom an. Der Index lag im Juni den dritten Monat in Folge auf einem Rekordwert.

Doppelte Erholung

Doch wie kommt es zu dieser Entwicklung? Christian Helmenstein, Chefökonom der Industriellenvereinigung, sagt, dass zunächst ein Corona-bedingter Nachholeffekt eingesetzt habe. Im vergangenen Frühjahr brachen die globale Industrieproduktion und der Welthandel zwischenzeitlich ein. Seither laufe beides immer besser, und die verlorenen Produktionsmonate werden nachgeholt.

Dazu komme aber ein zweiter Effekt. Bedingt durch ein Tief in der Automobilerzeugung lief die Industrie in Deutschland schon 2019 nicht rund, also schon vor der Pandemie. Zugleich schwächelten auch chinesische Erzeuger, nicht zuletzt wegen des Handelskrieges mit den USA. Inzwischen hat aber der Industriezyklus in beiden Ländern wieder angezogen – und das hilft den österreichischen Herstellern zusätzlich.

Dass es überhaupt so starke Nachholeffekte gibt, liegt zu einem guten Teil am Weltmarkt, für den die österreichischen Erzeuger hauptsächlich produzieren. Zugute kommt den Betrieben dabei, dass heimische Unternehmen vor allem auf Vorleistungen und Investitionsgüter spezialisiert sind, also etwa auf die Herstellung von Maschinen oder auf die Erzeugung von Stahl für den Bau. Beides ist am Weltmarkt derzeit nachgefragt.

Viele offene Stellen

Diese Entwicklung schlägt sich auch am Jobmarkt nieder. "Die Anzahl der offenen Stellen befindet sich in der Industrie insgesamt zur Jahresmitte auf einem Höchststand", analysiert Bank-Austria-Ökonom Walter Pudschedl. Die Deckung des Bedarfs werde immer schwieriger. Auf einen Arbeitssuchenden würden in der Industrie im Schnitt 2,5 offene Stellen kommen. Die Arbeitslosenquote in der Branche dürfte sich von 6,5 Prozent am Höhepunkt der Pandemie im April 2020 auf aktuell knapp über vier Prozent eingependelt haben. Das ist nur noch leicht über dem Vorkrisenniveau.

Zugleich waren zuletzt noch überraschend viele Arbeiter in Kurzarbeit, Anfang Mai waren es fast 30.000 Arbeiter. Wie kommt das? Gleichen da einige Betriebe Produktionsschwankungen mit Kurzarbeit aus? Ökonomen Helmenstein verneint das, vor allem Sparten, die noch mit Problemen kämpfen, würden Kurzarbeit nützen, etwa die Luftfahrtzulieferer.

Interessant sind auch die europäischen Vergleichszahlen. Nimmt man 2015 als Basisjahr, so wie das die europäische Statistikbehörde Eurostat aktuell tut, dann hat die Industrieproduktion in Österreich seitdem um 20 Prozent zugelegt. Das war deutlich über dem Schnitt der übrigen Euroländer (siehe Grafik). In Deutschland war die Industrieproduktion in der gleichen Zeit sogar leicht rückläufig.

Die neuen Zahlen lassen einiges an Spannung erwarten für die Herbstlohnrunde in der Industrie. Die heurige Entwicklung dürfte bei Gewerkschaften den Wunsch nach einem deutlichen Lohnplus wecken. Die Arbeitgeber werden dagegen damit argumentieren, dass 2020 ein schwaches Jahr für die Branche war. Dennoch stiegen die Ist- und Mindestlöhne um 1,45 Prozent entlang der Teuerung.

Die heimische Industrie beschäftigt nach jüngsten Daten von Statistik Austria etwa 650.000 Menschen. Etwa 18 Prozent der heimischen Wertschöpfung kommen von der Industrie. (András Szigetvari, 29.6.2021)