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Russell in der Teamkleidung von Williams. Er klopft bei Mercedes an.

Foto: Pool via REUTERS

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Russell im Rennanzug von Mercedes. Er durfte Williams für ein Rennen verlassen.

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George Russell nahm all seinen Mut zusammen. Er war gerade 16 Jahre alt und britischer Formel-4-Champion, da bat er Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff per E-Mail um einen Termin. Wolff, der es "immer ganz cool findet, wenn die jungen Leute bei mir hereinmarschieren", stimmte zu. Durch seine Tür trat ein nervöser Teenager, der in seinem "schwarzen, viel zu engen Anzug eher an einen Buchhalter als an einen Rennfahrer" erinnerte.

Doch Russell machte Eindruck auf den mächtigen Macher – mittels einer Power-Point-Präsentation. "Darin standen alle Gründe, warum er eines Tages ein erfolgreicher Mercedes-Pilot sein kann", erklärte Wolff: "Das war tipptopp gemacht."

Warten auf WM-Punkte

Wolff ergriff die Gelegenheit und holte den Briten, der wegen seiner vornehmen Drahtigkeit in jeder Tolkien-Verfilmung mitwirken könnte, in den Mercedes-Nachwuchskader. 2019 brachte Wolff ihn in der Formel 1 beim Motorenkunden Williams unter, wo Russell Woche für Woche sein enormes Talent zeigt – auch wenn er in 45 Rennen für das Team immer noch ohne WM-Punkt ist.

Aber: In jedem (!) Qualifying war Russell bislang schneller als sein Williams-Stallkollege, am vergangenen Sonntag beim Großen Preis der Steiermark lag er lange auf Punktekurs, ehe ihn ein Power-Unit-Defekt stoppte. "Wir holen die Punkte dann eben nächste Woche", funkte Russell noch aus dem Cockpit und machte seinem Team Mut.

Qualitäten eines Champions

Speed, Führungsqualitäten, Realismus, Entschlossenheit: Der mittlerweile 23-Jährige hat viele Eigenschaften eines Champions, allein ihm fehlt das Auto für Großtaten. Noch zumindest, denn mit jedem Einzug in den zweiten Qualifying-Abschnitt und mit jeder Vorstellung über die vermeintlichen Grenzen seines Williams hinaus stellt er Wolff vor eine schwere Entscheidung.

Für den Mercedes-Motorsportchef gilt es bald zu klären, wer 2022 im zweiten Silberpfeil sitzt. Rekordweltmeister Lewis Hamilton wird wohl weitermachen, das zeichnet sich ab. Russell hat das Momentum auf seiner Seite gegenüber dem verlässlichen Teamplayer Valtteri Bottas, der in seinem fünften Mercedes-Jahr schwächelt.

Kopfschmerzen bei Toto

Auf Russell zu setzen, das sagen viele Beobachter, wäre eine mutige, aber wohl die sportlich bessere Entscheidung. Zumal der ehrgeizige Engländer den 31-jährigen Bottas mit identischen Waffen schon einmal ziemlich alt aussehen ließ. Im vorletzten Saisonrennen 2020 war das, als Hamilton wegen seiner Coronainfektion passen musste. Mercedes beförderte Russell ins Weltmeisterauto, der zwängte sich in ein viel zu enges Cockpit und hätte aus dem Stand den Großen Preis von Sakhir gewonnen, wenn die Mercedes-Crew nicht beispiellose Fehler beim Reifenwechsel gemacht hätte.

"A star is born", schwärmte Wolff damals. Der tief enttäuschte Russell erwiderte: "Ich hoffe, ich habe Toto Kopfschmerzen bereitet". Das hat er getan, und vielleicht werden die Symptome bei Wolff nach dem Großen Preis von Österreich in Spielberg (Sonntag, 15.00 Uhr/ORF, Sky) noch etwas stärker. Russell hat schließlich etwas angekündigt. (sid, 29.6.2021)