Das Ökosystem Erde ist äußerst komplex, die Gesundheit von Menschen, Tieren und Umwelt untrennbar miteinander verbunden. Grund genug, um ganzheitliche Ansätze zu verfolgen, sagen Forscher.
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Unser Planet befindet sich in einem gesundheitlich angeschlagenen Zustand: Ressourcenausbeutung, Umweltverschmutzung und der daraus resultierende Biodiversitätsverlust sowie die allgegenwärtigen Auswirkungen des Klimawandels setzen der Erde zu.

Die jeweiligen Zusammenhänge sind jedoch so komplex, dass sie eine Besserung oder gar Heilung durch einzelne Staaten oder Institutionen unmöglich machen. Stattdessen braucht es einerseits eine weltweite Zusammenarbeit verschiedener Wissenschaftsdisziplinen und andererseits einen ganzheitlichen Ansatz, der die Gesundheit von Menschen, Pflanzen, Tieren und Umwelt als untrennbar miteinander verbunden ansieht und entsprechend berücksichtigt.

In den letzten Jahren haben immer mehr mit Gesundheit befasste Institutionen, darunter die Weltgesundheitsorganisation WHO und die US-Behörde Centers for Disease Control and Prevention CDC, begonnen, unter dem Titel "One Health" entsprechende Programme und Initiativen zu betreiben.

Neue Infektionskrankheiten

Jedes Jahr sterben rund 15 Millionen Menschen weltweit an den unmittelbaren Folgen verschiedener Infektionskrankheiten. Die meisten dieser Krankheiten sind seit langem bekannt, doch es treten auch immer wieder welche auf, die es in dieser Form bisher noch nicht gegeben hat. Wissenschaftlich figurieren diese Erkrankungen unter dem Begriff "Aufkommende Infektionskrankheiten", auf Englisch "Emerging Infectious Diseases", kurz EDI. Seit einiger Zeit werden sie immer häufiger.

Eine enorme Bedrohung geht dabei von sogenannten Spillovers aus, also dem Übersprung eines Krankheitserregers, der ursprünglich nur Tiere befällt, auf den Menschen, wie Covid-19, HIV, Sars oder Ebola. Von den mehr als 300 Aufkommenden Infektionskrankheiten, die zwischen 1940 und 2004 registriert wurden, waren rund 60 Prozent das Resultat von Spillovers; mehr als zwei Drittel davon stammten von Wildtieren, der Rest von Nutztieren.

Problem Wildtierhandel

Das Problem dabei sind aber nicht die Wildtiere selbst, sondern unser Umgang mit ihnen. "Die größte Gefahr für Spillovers geht vom Handel mit lebenden Wildtieren für den Verzehr aus", sagt Chris Walzer. Der österreichische Tierarzt, der auch für das Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie der Veterinärmedizinischen Universität Wien tätig ist, leitet das globale Gesundheitsprogramm der Wildlife Conservation Society (WCS) in New York.

Die WCS engagiert sich bereits seit fast 20 Jahren für die Verbreitung des "One Health"-Ansatzes. 2004 organisierte sie ein internationales Treffen in New York, bei dem zwölf Prioritäten für die Umsetzung einer ganzheitlichen Gesundheitsstrategie identifiziert wurden. 2019 wurden diese "Manhattan Principles" in einer weiteren Konferenz, diesmal in Berlin und in Zusammenarbeit mit dem deutschen Auswärtigen Amt, überarbeitet und werden nun als "Berlin Principles" weitergeführt.

Zu diesen Prinzipien gehört unter anderem die Berücksichtigung der Folgen menschlicher Eingriffe in Ökosysteme, zu denen auch der Handel mit Wildtieren zum Zweck der Konsumation zählt. "Die komplette Lieferkette fördert die Bedingungen für das Auftreten von Spillovers", betont Walzer.

Auf engstem Raum

Die Tiere werden meist lebend und unter ungünstigen Bedingungen transportiert. Der damit verbundene Stress lässt sie vermehrt Speichel, Urin und Kot abgeben – mitsamt den darin enthaltenen Erregern. Dabei werden – ebenso wie auf den Märkten, auf denen sie landen – oft verschiedene Arten von Wildtieren und Haustiere auf engem Raum untergebracht. Unter diesen Umständen wächst die Gefahr, dass Tiere – und ihre Pathogene – miteinander in Berührung kommen, die einander sonst nie begegnet wären.

Das Problem dabei: Wenn zwei oder mehr Viren im selben Wirt aufeinandertreffen, können sie Teile ihres Erbmaterials austauschen und damit neue Eigenschaften erwerben – darunter auch die Fähigkeit, bisher ungeeignete Wirte zu infizieren, wie den Menschen. Die Wahrscheinlichkeit dafür steigt mit jedem Schritt auf dem Weg vom Fang bis auf den Teller. "Je mehr Kontaktpunkte zwischen Menschen und Wildtieren, desto höher die Chancen, dass es zu einem Übertritt von Erregern kommt", führt Chris Walzer aus.

Allergien werden häufiger

Und die Gefahr ist nicht geringzuschätzen: Von den schätzungsweise 1,7 Millionen bisher unentdeckten Viren in Säugern und Vögeln könnten etwa 700.000 das Potenzial haben, auf den Menschen überzugehen. Ein globales Verbot des kommerziellen Handels mit Wildtieren für den menschlichen Verzehr wäre daher ein wichtiger erster Schritt zur Verhinderung künftiger Epi- oder gar Pandemien.

Doch nicht nur direkte menschliche Eingriffe gefährden die Gesundheit von Mensch und Tier. Das immer häufigere Auftreten von Allergien etwa beruht auch auf verschiedenen Umweltfaktoren: Im Zuge des Klimawandels können ursprünglich gebietsfremde Pflanzenarten Fuß fassen, die Allergien auslösen. Zusätzlich kann die Erderwärmung längere Blütezeiten von allergenen Arten verursachen. Gleichzeitig können aber auch Faktoren wie Tierhaltung und Nahrungsmittelverarbeitung eine Rolle bei der Entstehung von Allergien spielen.

Isabella Pali-Schöll vom Messerli-Forschungsinstitut der Veterinärmedizinischen Universität Wien, Vorsitzende der neu gegründeten One-Health-Arbeitsgruppe der Europäischen Akademie für Allergie und klinische Immunologie EAACI, bringt als Beispiel für die Komplexität von Allergien die Kuhmilch: "Wir wissen, dass das Aufwachsen auf dem Bauernhof und der regelmäßige Genuss von Rohmilch zu einem hohen Maß vor Allergien und Asthma schützen", erklärt die Ernährungswissenschafterin. "Gleichzeitig löst pasteurisierte Milch bei vielen Menschen Allergien aus."

Gesunde Stallluft

Ein Grund dafür liegt in einem speziellen Milcheiweiß, dem Beta-Lactoglobulin, kurz BLG, das die Arbeitsgruppe auch in der Stall- und Umgebungsluft von Rinderställen finden konnte. Entscheidend für die Eigenschaften des BLG sind seine Liganden, also Stoffe, die daran gebunden sind, wie etwa Zink, Eisen und Vitamine: Während das Eiweiß in Kombination mit seinen Liganden eine Umlenkung oder sogar Stilllegung der überschießenden Allergie-Immunantwort bewirkt, kann es ohne sie Allergien auslösen.

Unter welchen Bedingungen die Liganden fehlen, ist weitgehend unklar, wie die Forscherin und ihre Kolleginnen kürzlich im Fachjournal "Allergy" darlegten. "Wir wissen, dass das Futter der Tiere und die Prozessierung der Milch, etwa das Pasteurisieren, dabei eine Rolle spielen", sagt Pali-Schöll, "aber der Rest ist Untersuchungsgegenstand."

Dieser Rest – wie Tierwohl und Tiergesundheit, Biodiversität und Haltungsbedingungen – dürfte sie und ihre Kollegenschaft von der EAACI noch eine Weile beschäftigen. "Zuerst gilt es, eine gemeinsame Sprache aller beteiligten Wissenschaftsdisziplinen zu finden, Wissenslücken zu identifizieren und in der Folge die nötigen Forschungen zu initiieren, um sie zu schließen", skizziert Pali-Schöll die Zukunft. Um dann die ersten Schritte für eine ganzheitliche Behandlung des Patienten Erde setzen zu können. (Susanne Strnadl, 2.7.2021)