Bildungsexperte Hannes Schweiger kritisiert in seinem Gastkommentar, wie das Bildungsministerium mit den Sommerschulen umgeht – und was es dringend braucht.

Die Sommerschule des Bildungsministeriums findet heuer zum zweiten Mal statt und soll der Förderung in Deutsch und Mathematik und für Kinder in der Volksschule auch in Sachunterricht dienen. Sie wird als Erfolgsprojekt angepriesen, doch woran dieser Erfolg gemessen wird, bleibt ein ministerielles Geheimnis – eine Evaluation, die die Lerneffekte zu bestimmen versucht, fand nicht statt. Fortgesetzt wird das Projekt in jedem Fall, mit dem Ziel, "drohenden Bildungsnachteilen aufgrund unterschiedlicher Rahmenbedingungen während der Schulschließungen infolge der Covid-19-Pandemie entgegenzuwirken", wie es auf der Seite des Bildungsministeriums heißt. Doch kann eine zweiwöchige Halbtagssommerschule tatsächlich eine wirksame Maßnahme gegen die zweifellos bestehende Bildungsbenachteiligung sein?

Schülerinnen und Schülern, die durch den Corona-bedingten anderen Lernalltag ins Schleudern gekommen sind, will das Bildungsministerium mittels der sogenannten Sommerschulen helfen. Auf dem "Lehrplan" für die Jüngeren steht auch der Sachunterricht.
Foto: APA / Helmut Fohringer

Nimmt man die Rahmenbedingungen unter die Lupe, kommen zumindest Zweifel am Erfolgsprojekt der Sommerschule auf. Schon die Erfahrungen aus dem vergangenen Jahr zeigen: Es ist noch viel Luft nach oben. Abgesehen von organisatorischen Schwierigkeiten fehlte den Unterrichtenden vor allem eines: die notwendige Ausbildung und Erfahrung, um mit Kindern und Jugendlichen zu arbeiten, die sich Deutsch als Zweitsprache aneignen. Das ist auch heuer die Hauptzielgruppe, und erneut ist die einzige Voraussetzung, die seitens des Bildungsministeriums vorgeschrieben wird, dass die Unterrichtenden mindestens im vierten Semester Deutsch oder Mathematik für das Lehramt studieren.

Alleingelassen

Und das soll genügen? Hat sich doch deren Studium in den letzten drei Semestern fast ausschließlich digital und in Vereinzelung abgespielt. Abgesehen davon verfügen sie auch unter pandemiefreien Bedingungen nicht über ausreichende Kompetenzen für die Gestaltung eines sprachsensiblen Mathematikunterrichts oder eines Deutschunterrichts. Überdies ist vorgesehen, dass sie ihren Unterricht grundsätzlich allein gestalten, nur "auf Wunsch" unterrichten die Studierenden im Tandem – aber fraglich ist, ob sich tatsächlich genügend Studierende gemeldet haben, damit das überhaupt möglich ist. Als Unterstützung vor Ort ist lediglich die Schulleitung vorgesehen, der Unterricht wird in Eigenregie geplant, die Unterrichtsmaterialien werden "eigenverantwortlich" zusammengestellt, vorbereitet durch Lehrveranstaltungen an den Unis oder Pädagogischen Hochschulen. Bezahlt bekommen Studierende für ihren Einsatz nichts, zum Missfallen derjenigen, die im vergangenen Jahr erfahren haben, wie groß der Arbeitsaufwand ist.

Die Erfahrungen verschiedener Sommerschulen, die tatsächlich durch Forschung evaluiert und begleitet wurden, zeigen: Eine Sommerschule ist dann eine sinnvolle Maßnahme, wenn Studierende in Teams mit unterschiedlicher Expertise unterrichten und durchgehend fachlich begleitet werden. Überdies muss fachliches und sprachliches Lernen sinnvoll miteinander verschränkt werden. Der notwendige Austausch zwischen den Studierenden wird zwar "ausdrücklich erwünscht", der organisatorische Rahmen dafür fehlt aber. Entscheidend für den Erfolg wäre eine gemeinsame Konzeptentwicklung: Deutsch- und Fachlehrkräfte müssten unter professioneller und erfahrener Begleitung die beiden Lernbereiche miteinander verknüpfen. Dazu gehört auch ein verschränktes Lern- und Freizeitangebot für den ganzen Tag statt Unterricht von 8 bis 12 Uhr wie derzeit vorgesehen. Die Summer City Camps der Stadt Wien machen vor, wie diese sinnvolle Verschränkung umgesetzt werden kann.

Überdies wurden in Projekten wie den Jacobs-Sommercamps, der Kölner Ferienschule oder dem Tübinger Theatercamp systematisch dramapädagogische und kreative Arbeitsformen eingesetzt, um die Kompetenz in Deutsch als Zweitsprache zu fördern. Dafür ist aber auch eine entsprechend intensive und einschlägige Ausbildung beziehungsweise Vorbereitung notwendig. Das Ministerium überlässt das meiste aber dem Engagement und der Initiative der einzelnen Studierenden, der Schulstandorte und der Lehrenden in den Vorbereitungsseminaren. Wenn die Sommerschule für die Kinder und Jugendlichen zu einem erfreulichen Erlebnis wird, dann nicht aufgrund, sondern trotz der Rahmenbedingungen, die das Bildungsministerium vorsieht.

Mehr Stunden notwendig

Klar ist aber auch: Eine zweiwöchige Sommerschule reicht nicht aus, um gegen Bildungsnachteilung vorzugehen. Wir brauchen vielmehr eine qualitätsvolle Förderung während des gesamten Schuljahres. Dafür sind aber deutlich mehr Ressourcen notwendig, als derzeit vom Bildungsministerium zur Verfügung gestellt werden: mehr Stunden für hochqualifizierte Sprachförderlehrkräfte, die mit kleinen Gruppen von Schülerinnen und Schülern arbeiten können, am besten vorwiegend integrativ. Und dafür ist eine grundlegende Reform der Lehramtsausbildung notwendig. Sprachliche Bildung und Sprachförderung müssen verpflichtend für Lehrkräfte aller Unterrichtsgegenstände sein. Gerade angesichts der Folgen der Pandemie brauchen wir einen massiven Ausbau der Sozialarbeit und des psychologischen Angebots in den Schulen.

Es ist zu begrüßen, dass Maßnahmen gesetzt werden, um der Bildungsbenachteiligung im österreichischen Schulsystem, die durch die Pandemie nur noch verstärkt wurde, etwas entgegenzusetzen. Aber eine Sommerschule ist dafür viel zu wenig, erst recht unter den vorgesehenen Rahmenbedingungen. (Hannes Schweiger, 30.6.2021)