Auf einem Hügel im Westjordanland wurde innerhalb weniger Wochen die Siedlung Eviatar errichtet.

Foto: APA / AFP / MENAHEM KAHANA

Die Bewohner des nahegelegenen palästinensischen Ortes Beita protestieren gegen die Besiedlung. Um die Siedler zu vertreiben, machten sie Lärm, blendeten sie mit Laserstrahlern und verbrannten Autoreifen.

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Wo vor zwei Monaten Ziegen grasten, stehen jetzt Straßenschilder. "Jerusalem-Boulevard" und "Zion-Straße", pompöse Namen für das bisschen hingeschütteten Asphalt, der ein paar Dutzend Meter weiter im Sand verläuft. Eine Bushaltestelle am Rand der Siedlung verkündet, dass hier die Linie 161 hält, doch kein Bus bleibt hier stehen.

Alles ist Pose, hier auf einem Hügel im nördlichen Westjordanland. Vor rund sechs Wochen ließen sich hier radikale jüdische Siedler nieder. Sie nennen die Siedlung "Eviatar". Es ist nicht das erste Mal, dass Siedler hier ihre Zelte und Karavans aufstellen, eine israelische Fahne hissen und behaupten, dass das jetzt ihr Grundstück sei. Doch bis jetzt wurden diese immer geräumt.

Diesmal könnte es anders sein. Die Siedler machten Ernst, mobilisierten über 200 Bewohnerinnen und Bewohner, die hier jetzt in Fertigteilhäusern leben. Dass Israels Regierung mit Räumung drohte, hielt die Siedler nicht davon ab, Straßen zu bauen, Bäume zu pflanzen, einen Kindergarten und eine Synagoge zu eröffnen.

"Wir gehen hier nicht weg", sagt die 21-jährige Schachar. Sie ist im vierten Monat schwanger und überzeugt, "dass unser Kind hier aufwachsen wird". Die Palästinenser in den Dörfern und Städten rund um Eviatar wiederum haben keinen Zweifel, dass das Gebiet ihren Kindern und Enkeln gehören wird. Fast jede Nacht demonstrieren sie gegen die Siedler, marschieren mit Fackeln auf. Tagsüber verbrennen sie Autoreifen, um die Siedler mit Abgasen zu vertreiben.

Mehrere Tote

Am Eingang zu Eviatar hat die israelische Armee einen Checkpoint errichtet. Israels Steuerzahler, egal ob Ultraorthodoxe oder israelische Araber, zahlen für den Schutz der Siedler. Bei den Krawallen der vergangenen Wochen kamen sechs Menschen zu Tode. Alle waren Palästinenser. "Ich habe keine Angst um unsere Sicherheit", sagt Schachar, die zuvor in einem Vorort von Tel Aviv gewohnt hat. "Das Militär bewacht uns."

Es sind keine jungen Anarchisten oder Hippies, die hier Landbesetzung spielen. Es sind Kolonialisten, die verhindern wollen, dass die Palästinenser je einen eigenen Staat gründen können. "Die Bibel sagt uns, dass das unser Land ist", erklärt Danielle Weiss. Die 75-Jährige ist eine der zentralen Figuren der Siedlerbewegung. Eviatar ist ihr Werk. In wenigen Tagen hatte ihre Organisation Nahala über 200.000 Euro per Crowdfunding für die Besetzung gesammelt. "Eviatar ist ein Testballon", sagt Weiss.

Es ist vor allem ein Test für die neue Regierung. Ministerpräsident Naftali Bennett war einst selbst Siedlerlobbyist. Um an der Macht bleiben zu können, ist er aber auf alle sieben Koalitionspartner angewiesen, darunter auch israelische Palästinenser und Linke.

Gemeinsames statt Trennendes

Zum Amtsantritt hatte Bennett erklärt, die Regierung werde sich "auf Gemeinsamkeiten besinnen" und große Streitfragen umgehen. So klein Eviatar auf der Landkarte ist, so groß ist seine Sprengkraft für diese Regierung. Das ist auch der Delegation von Männern in schwarzen Hosen und weißen Hemden bewusst, die heute Eviatar besucht. Die gesamte Fraktion der ultraorthodoxen Shas-Partei ist gekommen, um vor Kameras ihre Solidarität mit den Siedlern zu zeigen.

Während die Parlamentarier ihre Stehsätze aufsagen, bringt ein Reisebus neue Verstärkung nach Eviatar. Einige Dutzend weibliche Teenager springen aus dem Bus, schultern ihre Trampingrucksäcke. Sie beginnen ihre Schulferien mit einem Arbeitsaufenthalt in Eviatar. "Wir tun es, um unser Volk zu verteidigen", sagt eine 16-Jährige. Den Palästinensern gehe es doch nur darum, die Juden aus Israel zu vertreiben. Das einzige Gegenmittel sei entschlossene Siedlungspolitik: Jeder zusätzliche Quadratmeter, der jüdisch besiedelt ist, bringe mehr Sicherheit für jene Juden, die schon hier leben. Die 16-Jährige redet sich in Rage, bis sie von einer Aufseherin unterbrochen wird:"Zvi Sukkot will nicht, dass du mit Journalisten sprichst", sagt die Autoritätsperson.

Gestärkte Rechtsextreme

Zvi Sukkot ist der Sprecher von Eviatar und Generalsekretär der rechtsextremen Partei "Jüdische Selbstbestimmung". Die Partei hatte gehofft, einer Regierung unter Ex-Premier Benjamin Netanjahu anzugehören, doch dieser brachte keine Koalition zustande. Dennoch fühlen sich die Rechtsextremen gestärkt, geben die Hoffnung auf Regierungsmacht nicht auf. Auch für sie ist Eviatar eine Art Testlauf.

Noch ist der Räumungsbescheid gegen die Siedler aufrecht. Die Aktivisten einfach zu dulden könnte die ganze Region in eine Eskalation stürzen, befürchten ranghohe Militärs. Ob ihre Mahnungen gehört werden, ist fraglich. Ein Kompromissvorschlag der Regierung, der an die Medien geleakt wurde, sieht zwar vorerst einen Abzug der Siedler vor. Ihre Häuser würden aber stehen bleiben, das Militär würde hier eine Basis errichten – und damit den Palästinensern endgültig den Zugriff auf das Land entziehen.

Bennett hat Berichte über den Kompromiss nicht bestätigt, noch sei "nichts finalisiert". Die Siedler sind aber hoffnungsfroh. "Wir beten, dass Gott Bennett einen guten Geist schenkt", sagt Schachar, bevor sie sich in ihrem notdürftig eingerichteten Fertigteilhaus auf das Sofa fallen lässt. Einen Backofen hat sie schon übersiedelt. Er muss nur noch angeschlossen werden. (Maria Sterkl aus Eviatar, 30.6.2021)