Marcel Koller: "Mir ist aufgefallen, dass bei der Hymne alle die Hand aufs Herz gelegt haben."

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Die Schweizer feierten ausgelassen in Bukarest. Im Mittelpunkt stand Goalie Yann Sommer, der den Elfer von Kylian Mbappé parierte.

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Marcel Koller hat den Triumph der Schweiz über Frankreich daheim in Laax im Fernsehen verfolgt. Österreichs Ex-Teamchef glaubt an eine Chance im Viertelfinale gegen Spanien.

STANDARD: Wie beurteilen Sie den Sieg über Frankreich? Ist es eine Art Schweizer Córdoba? Wobei Córdoba überstrapaziert ist.

Koller: Nein. Im Gegensatz zu Córdoba sind die Schweizer ja noch dabei. Die Österreicher und auch die Deutschen mussten damals nach Hause fahren. Man hat eben 3:2 gewonnen, es war letztendlich nur ein Sieg.

STANDARD: Haben Sie eine Erklärung für den Erfolg gegen den Weltmeister?

Koller: Mit dem verschossenen Elfer hat man die Franzosen wachgerüttelt, innerhalb von zwei Minuten sind sie 2:1 in Führung gegangen und haben durch einen tollen Weitschuss von Pogba das dritte Tor nachgelegt. Sie waren dann ein bisschen überheblich, und die Schweizer sind mit den Einwechslungen zurückgekommen, haben alles auf den Platz gebracht, was notwendig war. In der Verlängerung blieben sie dabei, im Elferschießen hatten wir hervorragende Schützen, sie waren ruhig, haben die Nerven behalten.

STANDARD: In der Vorrunde konnte die Schweiz nicht unbedingt überzeugen, ist als Gruppendritter aufgestiegen. Medial hagelte es Kritik, es herrschte große Aufregung, weil zwei Spieler, Kapitän Xhaka und Akanji, beim Friseur waren.

Koller: Der Friseur wurde sogar eingeflogen, okay. Pogba hat auch jedes Mal einen neuen Haarschnitt. Da wird aber nicht so viel Geschrei gemacht wie in der Schweiz.

STANDARD: Hat die Kritik Kräfte freigesetzt?

Koller: Kann sein, ich war nicht dabei. Hörte man die Interviews, hat sie die Kritik getroffen. Es kam das gewisse Etwas dazu, um diesen tollen Erfolg zu feiern.

STANDARD: Es gab ja immer wieder Zweifel an der Nati. Den Secondos wurde vorgeworfen, ihnen fehle die Identifikation mit dem Land. Hat sich das nun erledigt?

Koller: Mir ist aufgefallen, dass bei der Hymne alle die Hand aufs Herz gelegt haben. Manche haben mitgesungen. Das war ein Statement für die Schweiz, für das Land, in dem sie aufgewachsen sind.

STANDARD: Welchen Einfluss hat Teamchef Vladimir Petković? Wie tickt er?

Koller: Er ist sieben Jahre da, man kennt sich, er kennt die Eigenheiten. Petković ist nicht euphorisch, sehr zurückhaltend und auf Themen bezogen. Er ist extrem erfolgreich, hat die Mannschaft in viele Endrunden gebracht. Jetzt ist sie im Viertelfinale, darauf hat man immer gehofft und gewartet.

STANDARD: Chancen gegen Spanien?

Koller: Ja, klar. Spanien spielt anders, legt hohen Wert auf Ballbesitz, aber das hat die Schweiz auch gerne, sie versucht, es umzusetzen. Spanien gegen Kroatien war ebenfalls verrückt. Es ist immer alles möglich.

STANDARD: Wie haben Ihnen die Österreicher gefallen, auch im Vergleich zu 2016?

Koller: Den Vergleich spare ich mir, 2016 ist Geschichte. Aber sie waren im Achtelfinale gegen Italien ganz nahe dran, schlussendlich müssen gegen so einen Gegner die Chancen verwertet werden. Aber es war eine extrem starke Leistung gegen den Favoriten, der in der Vorrunde als einzige Mannschaft restlos überzeugt hat.

STANDARD: Haben Sie vor dem Fernseher mitgelitten?

Koller: Natürlich, ich kenne ja viele Spieler persönlich.

STANDARD: Das Niveau der EM ist generell hoch. War das zu erwarten? Schließlich hat Corona unser aller Leben massiv beeinflusst. Ein perfektes Comeback des Fußballs, oder?

Koller: Sie haben immer trainiert und gespielt. Fans waren halt nicht dabei. Es ist schön, dass diese Emotionalität wieder teilweise da ist. Wenn du im Fernsehen Zuschauer per Ton einschalten musst, damit Stimmung kommt, ist es hart. Es tut den Spielern gut, Applaus zu hören. Die Qualität war aber auch bei den Geisterspielen in praktisch allen Ligen hoch.

STANDARD: Hat der Fußball die Pandemie gut überstanden, sofern die Pandemie überhaupt überstanden ist?

Koller: Genau, das ist die Frage, diese Varianten beunruhigen. Vorbei ist es nicht. Wir hoffen lediglich auf Normalität.

STANDARD: Bringt die EM für Trainer neue Erkenntnisse? Spielen die fünf Wechsel eine Rolle?

Koller: Absolut, gerade in Verlängerungen kannst du neue Kräfte reinbringen, den Level halten und sogar heben. Eine Rückkehr zu drei Wechseln halte ich nicht für sinnvoll.

STANDARD: Es fällt auf, dass viele Elfer verschossen werden und oft ins eigene Tor getroffen wird. Zufall oder Trend?

Koller: Eher Zufall.

STANDARD: Wann sitzen Sie wieder auf der Trainerbank?

Koller: Das würde ich auch gerne wissen. Ich warte auf das richtige Angebot. Im Fußball muss alles passen. (Christian Hackl, 30.6.2021)