Die monatelange Sperrstunde ließ die Erinnerung an die Kosten der Bewirtung verblassen. Noch überwiegt die Freude über die Rückeroberung der Stammbeisln.

Foto: Christian Fischer

Wien – Die Durststrecke war lang, die Freude über die Rückkehr in die Wirtshäuser groß. Morgen, Donnerstag, fallen die Masken in den Lokalen, und die Abstände zwischen den Tischen verkleinern sich. Österreichs Lockerungen sollen für viele Gastronomen, die bisher noch über mageres Geschäft klagen, ein Wendepunkt sein. "Die Frage ist, wie rasch wir uns wieder an Nähe gewöhnen. Seit Corona wird ja fast schon jeder Passant, der einem entgegenkommt, als Feind wahrgenommen", sinniert Peter Dobcak, Obmann der Wiener Gastronomie.

Doch die Euphorie über die Rückeroberung des Stammbeisels ist bisher vielerorts schaumgebremst. Die monatelange Sperrstunde ließ zwar die Erinnerung an die Kosten eines Biers und eines Schnitzels verblassen. Nach genauerem Studieren der Speisekarten bleibt aber manchem Gast der Bissen im Hals stecken, zumal die Erhöhung vieler Preise doch reichlich gepfeffert zu sein scheint. Und dass dieses Bauchgefühl nicht trügt, zeigen die jüngsten Daten des statistischen Amts der EU.

4,4 Prozent mehr verlangten Österreichs Gastronomen im Mai laut Eurostat für Speis und Trank.
Foto: Imago

Im Mai verteuerten sich die österreichischen Gaststätten und Hotels im Vergleich zum Vorjahresmonat um satte 4,4 Prozent. Es ist der höchste Anstieg seit Sommer 2020. Auch im April wartete die Branche mit einem Plus von 3,5 Prozent auf. Seit August lag die monatliche Preisanpassung nur zwei Mal unter drei Prozent. Zum Vergleich: In Deutschland zogen die Preise seither nie um mehr als 1,9 Prozent an. Im Mai waren es gerade einmal 1,5 Prozent. EU-weit lag die Teuerung zeitgleich bei 0,6 Prozent, erhob Eurostat.

"Keiner nagt am Hungertuch"

"Österreichs Wirte habe von der Regierung viel Unterstützung erfahren. Kein Betrieb muss am Hungertuch nagen", sagt Reinhold Russinger, Arbeiterkammer-Experte in der Abteilung Wirtschaftswissenschaften. "Viele Gastronomen nutzen die Wiedereröffnung der Lokale schamlos aus, um finanziell etwas rauszuschinden." Da bei Konsumenten die Erleichterung über die Lockerungen überwiege, öffne dies nun "Tür und Tor" für höhere Preise.

Österreich ist bei Gastronomiedienstleistungen in der EU das siebentteuerste Land und überflügelt damit auch Deutschland und Italien, zitiert Russinger Statistiken der Eurostat. Er könne sich weder an eine deutliche Lohnerhöhung für Mitarbeiter erinnern, noch rechtfertigen andere Mehrkosten seiner Meinung nach die Differenz. "Irgendwann werden die Wirte mit dem wachsenden Klopapierverbrauch argumentieren." Hohe Qualität ins Treffen zu führen, lässt er ebenso wenig gelten. "Hat Österreich wirklich die besten Gastronomen der Welt?"

"Keine Gelddruckmaschinen"

Branchenobmann Mario Pulker empfiehlt der Arbeiterkammer, Betriebswirtschaftskurse zu belegen. "Österreich ist Abgabenkaiser", sagt er und verweist auf die Lohnnebenkosten. Quer durch alle Sparten stiegen heuer die Preise, ob für Bier oder für Wartungsverträge. "Auch städtische Mieten muss man sich erst einmal leisten können." Keine Branche habe niedrigere Eigenkapitalquoten als die seine. Ihre Löhne und Gehälter wurden im April zudem um 2,22 bzw. 2,25 Prozent erhöht. "Wir sind keine Gelddruckmaschinen."

Die Brauer hoben heuer einmal mehr die Bierpreise.

Für Pulker hinken Vergleiche mit Deutschland, da Arbeitnehmer dort nicht auf Basis von Kollektivverträgen entlohnt werden und die Steuersysteme andere sind. Auch die im Vergleich zu vielen anderen Ländern hohen Auflagen für Hygiene, Entlüftung und Kläranlagen schlugen sich in der Kalkulation nieder.

Er selbst habe die Getränke in seinem Lokal um zehn Cent verteuert. Für Speisen kaufe er mehr österreichische Lebensmittel ein, was Kosten ebenso nach oben treibe.

Versiegtes Schwarzgeld

Andere Restaurantbesitzer sehen Gründe für gesalzenere Preise auch im Versiegen des Schwarzgelds, für das die Einführung der Registrierkassen mitsamt strengeren Kontrollen sorgten. Was so unter der Hand verdient wurde, diente einst dazu, Preise niedrig zu halten, was wiederum die Umsatzsteuer für den Fiskus erhöhte, sagt ein Unternehmer. "Auch die Köche wurden damit bezahlt." Der Mangel an ihnen sei auf das fehlende Körberlgeld zurückzuführen, ist er überzeugt. Aus Angst, ihre Gäste zu verlieren, hätten viele Wirte Preisanpassungen nach 2016 jahrelang hinausgezögert. "Seit Corona können sie nicht mehr aus und müssen richtig kalkulieren."

Dobcak bestätigt die Theorie des fehlenden Schwarzgeldes nicht, betont jedoch, dass viele Gastronomen nicht mehr in die Lage seien, sich finanziell auszubeuten. "Sie haben ihre Lektion gelernt." Er beziffert die Gewinnspanne in der Gastronomie mit null bis 0,8 Prozent. Nur wirklich gute Betriebe erzielten Margen von zehn bis 14 Prozent. Die Hälfte der Kosten fließe ins Personal.

"Steigende Spritpreise werden toleriert, verteuern sich Wirtshausbesuche um zwei, drei Prozent, bricht gleich einmal die Welt zusammen", ärgert sich Wolfgang Binder, Obmann der Kaffeehäuser. Er hält es für nicht an der Zeit, Keile zwischen Konsumenten und Unternehmer zu treiben. Gästen, denen ein Lokal zu teuer werde, stehe es schließlich frei, es zu wechseln. Folglich werde sich auch der Wirt seine Preise wieder genauer überlegen.

Tauziehen um Mehrwertsteuer

Ein wirklicher Schub nach oben zeichnet sich für Dobcak erst 2022 ab, vor allem dann, wenn die Senkung der Mehrwertsteuer auf fünf Prozent nicht verlängert werde. Ob diese der Gastronomie über das Jahr hinaus erhalten bleibt, darüber wird hinter den Kulissen gerungen. Die Arbeiterkammer plädiert für ein Ende des niedrigen Steuersatzes, den die Wirte ohnehin nicht an Gäste weitergeben würden. "Es reicht", sagt Russinger, "die Gastronomie wurde zu einer völlig subventionierten Branche." (Verena Kainrath, 30.6.2021)