Full House im Landesgericht: Acht angeklagte Polizisten und ihre Verteidiger müssen Covid-regelkonform platziert werden.

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Wien – "Wahrscheinlich haben Sie ein Verfahren schon einmal aus anderer Perspektive erlebt und wissen, wie es abläuft", belehrt Sonja Weis, Vorsitzende des Schöffengerichtes, die acht Angeklagten vor ihr. Der Grund ihrer Vermutung: Die Männer im Alter von 29 bis 58 Jahren sind allesamt Polizeibeamte – vier von ihnen sind derzeit allerdings suspendiert. Die Staatsanwältin wirft ihnen allen vor, Amtsmissbrauch begangen zu haben, da die beiden Erstangeklagten am 13. Jänner 2019 einen Tschetschenen bei einer Amtshandlung mehrmals grundlos körperlich attackiert und verletzt haben sollen, was die anderen ignorierten.

Drei Funkstreifen waren in dieser Nacht zunächst in die Raaber-Bahn-Gasse in Wien-Favoriten gekommen, da ein Raufhandel gemeldet wurde. Der Tatort: eine ehemalige Trafik, deren Scheiben mit dunkler Folie verklebt waren und deren Tür sich nicht einfach öffnen ließ. Erst nach mehrmaligem Klopfen ging sie auf – drinnen fanden die Polizisten einen Slowaken, einen Tschetschenen und zwei illegale Spielautomaten.

"Schlechten Tag gehabt"

"Ich dürfte einen schlechten Tag gehabt haben", erklärt der 37-jährige Erstangeklagte S. dem Gericht. Offenbar hatte er sich zuvor mit seiner damaligen Verlobten gestritten. Dass der in dem illegalen Spiellokal anwesende Tschetschene laut Darstellung der Angeklagten wenig kooperativ war, machte den Tag noch schlechter.

Die Angeklagten bemühen sich, das Opfer möglich schlecht dastehen zu lassen – er sei präpotent gewesen, habe geschimpft. Auf drei Überwachungsvideos, die dem Tschetschenen ein Jahr nach dem Vorfall von einem Unbekannten zugespielt wurden, ist aber ersichtlich, dass er keine Widerstandshandlungen setzt – meist steht er mit den Händen in der Tasche da.

Für Erstangeklagten S. war das schon verdächtig – er wollte eine Leibesvisitation machen. Aber nicht, wie es im Einsatztraining gelehrt wird. Stattdessen stieß er sein Gegenüber um 00.46 Uhr zuerst gegen die Wand, dann zerrte er den Mann zu einer Couch und tastete ihn im Sitzen ab.

Kniestoß in den Unterleib

Zwölf Minuten später wurde das Opfer aufgefordert, sein Handy neuerlich zu entsperren, er warf das Mobiltelefon aber auf den Boden und steckte seine Hände wieder ein. Die Reaktion von S.: Er packte den Tschetschenen, versetzte ihm einen Kniestoß in den Unterleib, stieß ihn mit dem Kopf gegen die Wand und versetzte ihm auch noch Faustschläge, als der Verletzte, der Prellungen und Nasenbluten erlitt, am Boden war.

Damit war die Sache aber noch nicht vorbei. Als ein zweites Mobiltelefon des Tschetschenen klingelte, forderte der zweitangeklagte Polizist, der selbst Migrationshintergrund hat, den Mann auf, das Gerät herzugeben. Der Tschetschene erfüllte den Wunsch – worauf der Zweitangeklagte ihn ins Gesicht schlug. Laut Staatsanwältin mit der Faust, laut Zweitangeklagtem mit der flachen Hand.

Vorsitzende Weis zeigt wenig Verständnis für die Vorgehensweise der beiden Hauptangeklagten und versteht auch nicht, warum es zu den Angriffen gekommen ist. Wie der Tschetschene die Polizisten beleidigt habe, will sie beispielsweise von Erstangeklagtem S. wissen. "Scheißpolizei!", ist das einzige Wort, an das er sich erinnert. Die Vorsitzende findet den Ausdruck nicht sonderlich schockierend. Noch dazu, da S. laut dem Opfer gesagt haben soll: "Ihr Scheißtschetschenen gehört alle abgeschoben!"

Nichts gehört, nichts gesehen

Nur zwei der Angeklagten bekennen sich nicht schuldig, es sind zwei Diensthundeführer. Sie seien als Letzte eingetroffen und hätten keine Ahnung über die Vorgeschichte gehabt, lautet die Verteidigungslinie. Wobei der 58-Jährige zur Überraschung der Vorsitzenden sagt, er habe weder etwas gesehen noch etwas gehört, obwohl er laut Videoaufzeichnungen vor Ort war.

Besonders drastisch ist auch der Fall des Fünftangeklagten. Dieser war eigentlich für den Einsatz zuständig, griff aber nicht ein, als seine beiden Kollegen handgreiflich wurden. Gegen 1.30 Uhr war er zurück in seiner Polizeiinspektion, als der Tschetschene erschien. Er wollte sich wegen seines vermissten Führerscheins erkundigen und die Namen der schlagenden Beamten haben, um sie anzuzeigen. Die gab der Fünftangeklagte nicht her, er nahm auch keine Anzeige auf und legte keinen Aktenvermerk an.

Zur Mittagszeit erschien das Opfer wieder, neuerlich weigerte sich der 48-jährige Beamte, etwas zu Papier zu bringen, sondern verwies ihn an eine andere Dienststelle. "Ich hätte sagen sollen, ich bin befangen, ich kann nicht aktiv werden", gibt der Polizist nun zu. Vorsitzende Weis interessiert noch etwas: "Warum haben Sie nicht dokumentiert, dass er da war? Zumindest mit einem Aktenvermerk? Das Gericht und die Staatsanwaltschaft weiß aus Erfahrung, dass sonst alles aufgeschrieben wird!" – Der Fünftangeklagte bietet keine klare Antwort. Er bestreitet jedoch, zum Opfer "Jeder stolpert einmal" gesagt zu haben.

Spital wollte Geld von Polizei

Aktenvermerke schrieben er und der Viertangeklagte erst, als die internen Ermittlungen bereits im Laufen waren. Dort gab das Duo an, bei der Amtshandlung sei nichts Ungewöhnliches vorgefallen – und sie hätten keine Ahnung, woher die Verletzungen des Tschetschenen stammen könnten. Die übrigens zur Einleitung der Ermittlungen führten: Der Verletzte hatte im Spital gesagt, er sei von Polizisten geschlagen worden. Der Krankenhausbetreiber schickte die Rechnung über die Behandlungskosten dann an die Landespolizeidirektion Wien.

Der Prozess wird am Donnerstag fortgesetzt. (Michael Möseneder, 30.6.2021)