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Afghanische Zivilisten wie hier nahe Kabul bewaffnen sich und unterstützen das Militär gegen die Taliban.

Foto: Reuters/Stringer

Jetzt ist er wirklich vorbei, Deutschlands tödlichster Militäreinsatz der Nachkriegszeit. Mittwochnachmittag landeten die letzten aus Afghanistan kommenden Soldaten auf dem Fliegerhorst Wunstorf. Etwa 150.000 deutsche Streitkräfte kamen im südasiatischen Land in fast 20 Jahren zum Einsatz – es war das zweitgrößte Truppenkontingent nach den USA. 59 starben dort, 35 von ihnen im Gefecht oder durch einen Anschlag.

Auch Italien beendete am Dienstagabend seinen Afghanistan-Einsatz, vom österreichischen Bundesheer war der letzte der eingesetzten 15 Soldaten bereits am 18. Juni zurückgekehrt. Beschleunigt wurde all das durch die Ankündigung von US-Präsident Joe Biden, sich bis spätestens 11. September aus dem Land zurückzuziehen. Laut Regierungskreisen in Washington sei der Abzug der US-Truppen aber bereits in wenigen Tagen abgeschlossen. Zuletzt wurde deshalb auch der US-amerikanische Unabhängigkeitstag am 4. Juli als Stichtag genannt.

Kein vollständiger Abzug

Doch das bedeutet keinen vollständigen Abzug der USA aus Afghanistan. Etwa 650 Soldaten werden im Land bleiben, um die US-Botschaft und möglicherweise auch den Flughafen in Kabul zu sichern.

Was allerdings nichts daran ändert, dass sich die Sicherheitslage im Land seit Beginn des Abzugs der US- und Nato-Truppen Anfang Mai dramatisch verschlechtert hat. Die radikalislamischen Taliban zeigen kein Interesse mehr an den Friedensverhandlungen mit der afghanischen Regierung in Doha und erobern stattdessen Bezirk um Bezirk.

Viele Experten gehen davon aus, dass sie bisher rund 80 der 370 Bezirke kontrollieren. Andere Analysten sind pessimistischer: Ihnen zufolge kontrollieren die Taliban bereits 140 Bezirke und üben in weiteren 170 bereits großen Einfluss aus.

Demotivierte afghanische Streitkräfte

Dass die Taliban so rasch vorankommen, überrascht dann doch etwas. Begründet wird das mit den fehlenden US-Luftangriffen als Unterstützung für die rund 300.000 Regierungssoldaten. Diese seien zudem alles andere als motiviert für den Kampf, schließlich werden sie seit Monaten kaum bezahlt und aufgrund der gekappten Transportwege oft nur notdürftig versorgt. Videos im Internet zeigen, wie sie sich kampflos ergeben und ihre Humvees verlassen. Die Taliban sollen allein im Juni 161 dieser US-Geländewagen erbeutet haben.

General Austin Miller, Befehlshaber der US-Streitkräfte in Afghanistan, zeigte sich sehr beunruhigt wegen der aktuellen Lage im Land. Wenn es so weitergehe, komme es zum Bürgerkrieg, und dann sollte sich "die ganze Welt Sorgen machen". Gleichzeitig drohte er den Taliban, falls sie die Gewalt nicht stoppen: "Die verbleibenden Streitkräfte haben weiterhin die Möglichkeit, Luftangriffe auf sie zu fliegen."

US-Milliarden für Afghanistan

Auch Präsident Biden sicherte seinem Amtskollegen Ashraf Ghani bei einem Treffen weiterhin Unterstützung zu. Den Senat bat er, 3,3 Milliarden Dollar als Sicherheitshilfe für Afghanistan im nächsten Jahr zu bewilligen. Aber, ergänzte Biden: Die Afghanen "müssen selbst über ihre Zukunft entscheiden".

Nun gilt der neu ernannte Verteidigungsminister Bismillah Khan als große Hoffnung. Der erfahrene Kommandeur soll die Regierungstruppen wieder mobilisieren und Gegenangriffe starten. Hinzu kommen Zivilisten und Vertreter politischer Parteien, die sich bewaffnen und das Militär im Kampf gegen die Taliban unterstützen. Allein in der Provinzhauptstadt Masar-e Scharif waren das etwa 2.000 Männer.

Baldiger Regierungssturz

Nichtsdestotrotz wird in Berlin und Washington daran gearbeitet, jene tausende lokale Kräfte, die den ausländischen Truppen geholfen haben, außer Landes zu schaffen, da sie besonders von den Taliban bedroht sind. Das US-Repräsentantenhaus befürwortete eine Gesetzesvorlage, um diesen Afghanen schneller ein US-Visum zu ermöglichen. Bald soll die Vorlage auch durch den Senat gehen, denn die Zeit drängt. Laut einem US-Geheimdienstbericht wird mit einem Sturz der afghanischen Zentralregierung etwa sechs Monate nach dem Abzug der US-Truppen gerechnet. (Kim Son Hoang, 30.6.2021)