Janez Janša warnt vor "doppelten Maßstäben" in der EU. Für Oppositionsführer Marjan Šarec hat der Premier ein politisches Ablaufdatum.

Foto: AFP / Philip Reynaers

Wie Viktor Orbán versuche auch Janša, "die Medien zum Schweigen zu bringen", sagt Šarec. Demonstranten fordern Respekt vor der Rechtsstaatlichkeit.

Foto: Imago Images / Luka Dakskobler

Im Gastkommentar erläutert der Gastwissenschafter bei Carnegie Europe und ehemalige Spitzendiplomat Stefan Lehne die Herausforderungen im kommenden halben Jahr. Einen europäischen Sozialisierungsschub in Slowenien erwartet er nicht.

Heute, am 1. Juli, übernimmt den Vorsitz in der EU eine slowenische Regierung, deren Ministerpräsident Janez Janša einen zunehmend rechtspopulistischen Kurs verfolgt, immer wieder massiven Druck auf kritische Medien und Journalisten und Journalistinnen ausübt und zu den größten Sympathisanten Viktor Orbáns zählt. Der Beginn der slowenischen Präsidentschaft wird daher von vielen Beobachtern mit Sorge gesehen.

Bescheidene Rolle

Allerdings sind die Möglichkeiten des Vorsitzlandes, die EU-Politik aktiv zu gestalten, in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen. Gerade der Regierungschef hat nur eine bescheidene Rolle, seit es einen ständigen Präsidenten des Europäischen Rates gibt. Seit dem Lissabonner Vertrag geht es beim Vorsitz im Grunde um die Abarbeitung einer weitgehend vorgegebenen Agenda, wobei in Einzelbereichen Akzente gesetzt werden können. Dazu kommt, dass die slowenische Präsidentschaft in eine Zeit fällt, in der schon wegen der Parlamentswahlen in Deutschland und des beginnenden Wahlkampfs für die französischen Präsidentschaftswahlen neue wesentliche Weichenstellungen kaum zu erwarten sind.

Natürlich wird die Bekämpfung der Pandemie auch während der slowenischen Präsidentschaft an der Spitze der Agenda stehen; wie sehr, wird vermutlich von der Verbreitung der Delta-Variante während der Herbstmonate abhängen. Davon abgesehen wird die Umsetzung der strategischen Entscheidungen des zweiten Halbjahrs 2021 zum wirtschaftlichen Wiederaufbau und zum Klima breiten Raum einnehmen.

Geldhahn öffnen

Eine der wichtigsten Aufgaben liegt dabei in der Verabschiedung der nationalen Programme für den Wiederaufbaufonds, eine Voraussetzung für ein rasches Öffnen des Geldhahns. Es ist nicht auszuschließen, dass einige der "frugalen" Mitgliedstaaten Aspekte dieser von den Hauptstädten in Zusammenwirken mit der EU-Kommission ausgearbeiteten Pläne infrage stellen werden. Angesichts des Streits im jüngsten Europäischen Rat über ein diskriminierendes ungarisches Gesetz zur Homosexualität könnte auch die Beschlussfassung über das ungarische Programm schwierig werden.

Am 14. Juli wird die Kommission ihre Vorschläge zum "Fit for 55-Klimaprogramm vorlegen. Die Europäische Union hat ambitionierte Zielsetzungen, wie die Reduzierung der Emissionen um 55 Prozent bis 2030, Klimaneutralität 2050, festgelegt; jetzt müssen die entsprechenden Rechtsinstrumente vom EU-Emissionshandelssystem über den CO2-Grenzausgleichsmechanismus bis zur Energiesteuerregelung diesen Vorgaben angepasst werden. Da der Teufel im Detail liegt, ist mit äußerst schwierigen Verhandlungen zu rechnen. Baldige Fortschritte sind vor allem auch deshalb wichtig, weil die EU beim Weltklimagipfel in Glasgow im November ihre Führungsrolle in diesem Bereich unter Beweis stellen will.

Westbalkan-Erweiterung?

Die slowenische Präsidentschaft wird sich auch mit der Fortführung der im Mai eröffneten Konferenz über die Zukunft Europas befassen. Die Konferenz soll mit intensiver Bürgerbeteiligung bis zum Frühjahr 2022 ein Programm für die längerfristige Weiterentwicklung der EU ausarbeiten. Angesichts der komplexen Entscheidungsstrukturen, der massiven inhaltlichen Gegensätze und der knappen Frist gelten die Erfolgsaussichten als unsicher. Die entscheidende Verhandlungsphase beginnt allerdings vermutlich erst im nächsten Jahr.

Unter den außenpolitischen Themen wird sich Slowenen vor allem dem westlichen Balkan widmen. Dabei soll auch ein Gipfel mit den Westbalkanstaaten abgehalten werden. Ein Erfolg der Präsidentschaft wäre der Beginn der längst versprochenen Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien. Dies setzt allerdings die Aufhebung der Vetos durch Bulgarien und die Niederlande voraus. Im April zirkulierte ein der slowenischen Regierung zugeschriebenes Non-Paper, das eine radikale territoriale Neuordnung des Balkans skizzierte, unter anderem die Aufteilung Bosniens und des Kosovo. Der Text stieß auf breite Ablehnung. Slowenien bestritt vehement die Autorenschaft.

Europäischer Sozialisierungsschub?

Auch die Rechtsstaatlichkeit findet sich unter den Prioritäten der slowenischen Präsidentschaft. Allerdings dürfte Slowenien eine möglichst harmonische Debatte auf der Basis des Jahresberichts der Kommission anstreben. Da die Thematik aufgrund der heftigen Auseinandersetzungen über diese Fragen in den letzten Tagungen des Europäischen Rats an Zündstoff zugenommen hat, ist fraglich, ob dieser Plan aufgeht.

Interessant wird sein, wie sich die Vorsitzführung auf die politische Linie der slowenischen Regierung auswirken wird. Normalerweise geht der Vorsitz mit einem europäischen Sozialisierungsschub einher. Regierungen und Bürokratien sind nach ihrer Zeit an den Schalthebeln in Brüssel in der Regel konstruktiver zur EU eingestellt als zuvor. Ob dies auch für den Chef der slowenischen Regierung gelten wird, ist allerdings fraglich. (Stefan Lehne, 1.7.2021)