Der Umgang mit Asylwerbern und anderen Ausländern, zumal kriminellen, sei kein politischer Aufreger mehr – diesen Eindruck konnte man in den vergangenen eineinhalb Jahren fast gewinnen. Tatsächlich waren Fragen zur Pandemie und zu den Maßnahmen gegen sie in den bleiernen Corona-Zeiten über weite Strecken so allgegenwärtig, dass in der öffentlichen Auseinandersetzung nur wenig Platz für anderes blieb. Diesen besetzte das Thema Antikorruption, bei dem weder die ÖVP noch die FPÖ etwas zu gewinnen haben.

Kerzen am Fundort des getöteten Mädchens in Wien.
Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Das ist nun vorbei. Der schreckliche Fall eines durch Gewalt zu Tode gekommenen 13-jährigen Mädchens, dessen Leiche an einen Baum gelehnt auf einem straßennahen Grünstreifen gefunden wurde, hat Türkis und Blau die altbekannte Ausländerdiskussion zurückgebracht. Noch ist die Rolle der beiden unter Mordverdacht stehenden jungen Afghanen unklar, ihre Einvernahmen sind voll am Laufen. Doch prominente Repräsentanten beider Parteien haben bereits ihr politisches Urteil gefällt. Sie blasen es aus vollen Rohren und überbieten einander in Härteparolen – fast so, als hätten sie auf ein Signal gewartet.

Einer der beiden Verdächtigen weist Vorstrafen auf; daraufhin wurde ihm der subsidiäre Schutz aberkannt, aber abgeschoben wurde er nicht. Gegen straffällig gewordene Asylwerber müsse in aller Schärfe vorgegangen werden, fordern ÖVP und FPÖ. Die FPÖ weitet aus: Eine "Abschiebeoffensive" nach Afghanistan und Syrien sei vonnöten. Innenminister Karl Nehammer sei "hilflos" und betreibe "Kuschelpolitik".

Abspenstigmachen von Wählern

Einen Abschiebestopp nach Afghanistan werde es mit ihm keinesfalls geben, hält Bundeskanzler Sebastian Kurz dagegen – und richtet der grünen Justizministerin Alma Zadić damit aus, wo er in der Flüchtlingspolitik die engen Grenzen zieht. Überlegungen zu dem konkreten Fall, die über die Tat als solche hinausgehen, urteilt er als "Relativierungen" ab. Fragen der Fürsorgepflicht zu den Eltern des Tatopfers will er ebenso wenig erwähnt sehen wie Erwägungen über eine "Traumatisierung" der möglichen Täter.

Unter reger Beteiligung des Boulevards geben ÖVP und FPÖ damit die Richtung des Diskurses vor, stellen ihn auf Gleise, die zu verlassen schwierig bis unmöglich sein wird – obwohl sichere Erkenntnisse zum Anlassfall noch fehlen. Mit der Absicht des gegenseitigen Abspenstigmachens von Wählern messen Türkis und Blau beim ihnen entgegenkommenden Abschiebe-Thema ihre Kräfte.

Das aber ist höchst voreilig und hilft in der Sache keineswegs. Vor allem wird es einem der Causa zugrundeliegenden Thema nicht gerecht: Wie mit straffällig gewordenen Ausländern aus einem Staat wie Afghanistan umgegangen werden soll, in den abzuschieben immer problematischer wird. Tatsächlich gewinnen in dem Land am Hindukusch nach dem Abzug der Nato-Kräfte die Taliban zunehmend an Terrain. Eine weitere Phase eines mittelalterlichen Terrorregimes der Fundamentalisten droht.

Menschen in ein solches Land zurückzuschicken widerspricht den Grundwerten, zu denen sich Europa in Worten bekennt, von Tag zu Tag mehr. Hier ist der von Kanzler Kurz zurechtgewiesenen Ministerin Zadić recht zu geben. Es braucht keine Abschiebeoffensive nach Afghanistan, sondern eine Abschiebe-Evaluierung. Und mit strafrechtlich verurteilten Flüchtlingen aus diesem Land müssen wir uns hier beschäftigen. (Irene Brickner, 30.6.2021)