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2006, bei der WM im eigenen Land, wurde die deutschen Elf Dritter. Angela Merkel freute sich sehr und gratulierte.

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2008, bei der Euro, verlor Deutschland im Finale gegen Spanien. Merkel war zum Spiel ins Wiener Happel-Stadion gekommen.

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2010 bekam Merkel von Löw ein Trikot der Nationalmannschaft überreicht. Gesehen hat man sie darin allerdings nie.

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2014 gratulierte Angela Merkel Jogi Löw zum WM-Titel in Brasilien. Manche sahen Ähnlichkeiten bei den Frisuren.

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Eine solche Heimkehr hatten sich die Deutschen nicht gewünscht – weder für ihre Nationalelf noch für deren Trainer Jogi Löw. In der Nacht auf Mittwoch landete der Nicht-Sieger-Flieger in Nürnberg. Statt Jubel, Fans und strahlende Gesichter gab es nur eine rasche Weiterfahrt der Frustrierten ins deutsche EM-Quartier nach Herzogenaurach. Ausgerechnet gegen den Erzrivalen England, ausgerechnet im Londoner Wembley-Stadion. Mit 0:2 ausgeschieden im Achtelfinale, also um nichts besser als die Österreicher. "Ich denke, dass die Enttäuschung jetzt anhalten wird. So ein Turnier schüttelt man nicht einfach ab in den ersten Tagen", sagte Löw auf einer Pressekonferenz am Mittag.

"Danke, Jogi Löw", twitterte der deutsche Regierungssprecher Steffen Seibert. Und: "Die richtig guten Zeiten kommen auch wieder." Ob seine Chefin, die deutsche Kanzlern Angela Merkel, Löw eine persönliche Nachricht geschickt hat, ist nicht bekannt. Man darf es aber vermuten.

Löw und Merkel verstehen sich nicht nur gut, sie haben beide zur gleichen Zeit Deutschland über eineinhalb Jahrzehnte geprägt. Beide erlebten Triumphe und Tragödien, und über beiden sagen viele: Sie hätten doch schon früher gehen sollen.

Sommermärchen-Sommer 2006

Begonnen hat ihre Geschichte im Sommermärchen-Sommer 2006. Damals richtete Deutschland die Fußball-WM aus. Die Nationalmannschaft schaffte den dritten Platz, doch abseits des Rasens wurde noch mehr gewonnen: Es war der Sommer, in dem die Deutschen die Leichtigkeit entdeckten und Fahnen schwenkten. Plötzlich galt das Land als weltoffen, freundlich und cool.

Die Deutschen lernten beim Fußball auch ihre Kanzlerin, die gerade ein halbes Jahr im Amt war, von einer völlig neuen Seite kennen. Emotional wie nie zuvor jubelte sie im Stadion, man traute seinen Augen kaum.

Sie besuchte auch die Spieler immer wieder in deren Kabine. Unvergessen ist ein Auftritt dort im Jahr 2010 nach einem Match Deutschland – Türkei im Berliner Olympia-Stadion: Merkel, wie immer im Blazer, schüttelt dem deutschen Nationalspieler Mesut Özil die Hand. Er ist verschwitzt und hat nur eine Hose an.

Nach dem Sommermärchen 2006 lag Deutschland dem damaligen Trainer Jürgen Klinsmann zu Füßen. Doch der fühlte sich ausgebrannt, trat zurück und machte den Weg frei für seinen Co-Trainer Löw.

Der Kampf um den Pott

Der wollte ganz an die Weltspitze, was zunächst – bei der Fußball-WM 2010 in Südafrika – nicht ganz gelang. Die Deutschen wurden wieder Dritte. Merkel lobte damals, dass "die Mannschaft ein hervorragendes Bild von Deutschland abgegeben hat". Und die Bild-Zeitung schrieb: " Aber wir sind trotzdem stolz auf unsere Jungs, dann holen wir uns den Pott eben in vier Jahren."

Der Tenor anderswo war ähnlich: Man lobte Löws junge Mannschaft (Manuel Neuer, Philipp Lahm, Thomas Müller, Jerome Boateng, Sami Khedira). Anerkennung gab es für die "Multikulti-Elf". Khedira sagte den schönen Satz: "Wir wollen alle Erfolg bei der WM, ist doch egal, woher du kommst. Wir sind ein Team."

Die höchsten Weihen folgten 2014 bei der WM in Brasilien. Merkel flog gleich zwei Mal von Deutschland hin: um Eröffnungsspiel und zum Finale gegen Argentinien, bei dem die Deutschen 1:0 triumphierten. Als Merkel wieder in der Kabine auftauchte, hallten "Angie! Angie!"-Rufe durch den Raum.

Beide, Löw und Merkel waren damals in ihrem Zenit. Löw hatte die WM gewonnen, Merkel stand im neunten Jahr ihrer Amtszeit. 2013 war sie zum dritten Mal wiedergewählt worden, die Union schaffte damals 41,5 Prozent, das war gegenüber dem Ergebnis von 2009 ein Plus von mehr als sieben Punkten.

Zwei bodenständige Persönlichkeiten

Besser als andere war Deutschland durch die Finanz- und Eurokrise gekommen, Merkel galt als die mächtigste Frau der Welt. Noch steckte die AfD in ihren Kinderschuhen, noch gab es keine "Flüchtlingskrise" mit all ihren Folgeerscheinungen. Und Donald Trump war bloß ein schriller Milliardär in den USA.

Man zog sogar Parallelen zwischen Merkels und Löws Stil: beide bodenständig und unprätentiös. Das kam lange gut an. Bei Merkel gefiel vielen die "Sparsamkeit der schwäbischen Hausfrau", Löw imponierte mit seiner Forderung nach "högschder Disziplin".

Doch dann kamen die schlechteren Phasen. Merkel verlor bei der Wahl 2017 viele Wählerinnen und Wähler, die ihr die Willkommenskultur des Jahres 2015 nicht verziehen hatten, danach wollte sie die Deutschen auch nicht mit großen Reformen erschrecken.

Löws erlebte sein Waterloo 2018 bei der WM in Russland. Die Deutschen schieden schon in der Vorrunde aus. Eine solche Schmach hatte es 80 Jahre lang nicht gegeben. Damals stand sein Rücktritt im Raum, doch er blieb und wollte die Schande, jetzt bei der Euro, tilgen – was nicht recht gelungen ist.

Zenit längst überschritten

Hätte er, so wie Merkel auch, schon früher gehen müssen? Und nicht eineinhalb Jahrzehnte durchhalten? Der Soziologe Norbert Seitz, der sich mit dem Zusammenhang zwischen Fußball und Politik beschäftigt, war 2018 der Meinung: "Beide sind hochablösungsbedürftig und haben ihren Zenit überschritten." Weder Merkel noch Löw hätten neue Ideen. "Man verlässt sich auf das Bewährte", kritisierte er in einem Interview mit dem STANDARD.

Löw kam nur wenige Monate nach Merkel ins Amt, jetzt geht er etwas früher als sie. Vor dem Anpfiff bei der Euro haben sich die zwei zum Essen getroffen. Bei Cordon bleu und Bratkartoffeln sprachen sie, wie Löw dann in der Zeit erzählte, über ihren Rückzug.

"Wir finden beide, dass es jetzt ein guter Zeitpunkt ist, Abschied zu nehmen", sagte Löw. Und auch: "Wir haben auch darüber gesprochen, dass nach einer so intensiven Zeit wahrscheinlich eine gewisse Leere auf uns zukommt." Im Gegensatz zu Merkel weiß Löw, wer ihm nachfolgen wird: der bisherige Bayern-Trainer Hansi Flick. Merkel hingegen muss abwarten, ob es ihr Wunschkandidat Armin Laschet (CDU) schafft.

"Mein Herz schlägt weiterhin schwarz-rot-gold." Das sagte Löw am Mittwoch bei der Abschlusspressekonferenz. Dieser Satz würde auch zu Merkel passen. Aber vermutlich wird sie es anders formulieren, wenn sie eines Tages das Kanzleramt tatsächlich verlässt. (Birgit Baumann, 30.6.2021)