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Italiens Teamchef Roberto Mancini gewann als Kicker zweimal die Serie A und sechsmal die Coppa Italia. Für das italienische Nationalteam spielte er 36-mal.

Foto: AP Photo/Andrew Medichini

Euro-Ticker: Schweiz vs. Spanien und Belgien vs. Italien, Fr., ab 18 Uhr

Vielleicht hat alles so begonnen: Roberto Mancini sitzt perfekt gekleidet auf einer Terrasse in der Toskana, trinkt das zweite Glas Brunello und schmökert in einem italienischen Sprichwörterbuch. "Chi lascia la strada vecchia per la nuova, sa quel che lascia ma non quel che trova", liest er da. Wer die alte Straße für eine neue verlässt, weiß, was er verlässt, aber nicht, was er findet. Mancini nimmt noch einen Schluck, schaut in die Ferne und sagt sich: Ich biege ab. Mag sein, dass er am Ende der neuen Straße den Europameistertitel findet.

Der nach der verpassten WM-Quali 2018 als Teamchef engagierte 56-Jährige lässt für Italiens Nationalteam recht untypischen Fußball spielen: Ballbesitz, schnelle Kombinationen, spielerische Dominanz. Dass südlich des Brenners seit der Entdeckung des Catenaccio nur destruktive Maurerei betrieben wurde, ist eine Mär. Aber eine so unterhaltsame, offensive Spielweise wie jetzt hat man von der Squadra Azzurra länger nicht gesehen.

Bei aller von oben verordneter Spielkultur: "Dove non ci sono capelli mal si pettina." Wo keine Haare sind, kann man schlecht kämmen. Dass Mancini seiner Squadra eine so sehenswerte Frisur verordnen konnte, ist ihrer individuellen Qualität geschuldet. Die Serie A erlebt seit Jahren einen spielerischen Aufschwung. Gian Piero Gasperinis Atalanta Bergamo, Parade-Exponent der Halligalli-Ära, stellt mit Rafael Tolói und Matteo Pessina auch zwei Mann im EM-Kader.

Das Eingemachte

31 Spiele ist Italien nun unbesiegt, nach dem Schreck im Achtelfinale gegen Österreich fehlen nur mehr drei bis zum EM-Titel. "Bisogna rompere la noce, se si vuol mangiare il nocciolo" – man muss die Nuss knacken, will man den Kern essen. Die belgische Nuss ist eine harte, die Roten Teufel haben in den letzten fünf Spielen nur ein Tor kassiert.

Belgiens Teamchef Roberto Martínez schaffte es als Kicker mit Swansea bis in die dritte englische Liga, für das spanische Nationalteam spielte er nie.
Foto: Kenzo Tribouillard / AFP

Mag sein, die Darbietung gegen Portugal war für Belgiens Fans nicht sonderlich ermutigend. Die drohenden Ausfälle von Kevin de Bruyne und Eden Hazard wären eine verheerende Schwächung. Dennoch gilt für Mancini: "Con la volpe convien volpeggiare." Beim Fuchs muss man schlau wie ein Fuchs sein. Mancinis Gegenspieler an der Seitenlinie ist auch ein Roberto M., genauer Martínez. Ein Fachmann, der den Italiener im FA-Cup-Finale 2013 sensationell bezwang: Mit Wigan (und Paul Scharner!) schlug er Mancinis Manchester City. Bei Belgien dürfte der 47-Jährige auch die Stars vom Gesamtkonzept überzeugt haben. Kein schlechtes Wort über den Spanier ist zu hören, auch nach bisher eher minimalistischen Darbietungen.

Zeitdruck

Die bisher nur durch einen dritten WM-Platz aufgefallene Goldene Generation der Belgier hört die Uhr ticken. Kevin de Bruyne ist mit 30 Lenzen noch eine der jüngeren Stützen des Teams, die Dreierkette kam gegen Portugal auf insgesamt 101 Jahre Lebenserfahrung. Und: "La migliore maestra di vita è l’esperienza; ma arriva quando ormai è troppo tardi"die beste Lehrerin ist die Erfahrung; aber sie kommt, wenn es bereits zu spät ist.

Passend dazu ignoriert Mancini die Weisheit "Gallina vecchia fa buon brodo". Mag sein, dass man aus einem alten Huhn eine gute Suppe macht; anders als in den vergangenen Jahrzehnten lebt Italien aber kaum mehr von Routiniers. Im Achtelfinale standen nur drei Kicker in der Startelf, die älter als 30 waren. Die eingewechselten Torschützen Federico Chiesa und Matteo Pessina sind 23 bzw. 24.

Respekt

Nicht jedes Sprichwort lässt sich auf den Fußball umlegen. Da wäre zum Beispiel "Nessuno è profeta nel suo paese", hierzulande meist: "Der Prophet ist im eigenen Land nichts wert." Italienische Trainer sind davon traditionell ausgenommen, in Sachen Taktik traut man am Stiefel keinem Ausländer über den Weg.

Mancinis Vorgänger Antonio Conte schreibt in seiner Kolumne für die Gazzetta dello Sport: "Er braucht keine Ratschläge. Roberto wird ein Team zusammenstellen, das mit allen Situationen zurechtkommt." Welch ein Gegensatz zu Deutschland, wo schon lange vor Jogi Löws finalem Scheitern die versammelte Muppet-Show der Ex-Trainer und sonstigen Experten ihre Tipps offerierten. Nun ja: "Meno dici, meno sbagli." Je weniger du sagst, desto weniger irrst du. (Martin Schauhuber, 1.7.2021)

Mögliche Aufstellungen zum Fußball-EM-Viertelfinale Belgien – Italien am Freitag in München:

Belgien – Italien (München, Fußball-Arena, 21.00 Uhr/live ORF 1, SR Vincic/SLO)

Belgien: 1 Courtois – 2 Alderweireld, 3 Vermaelen, 5 Vertonghen – 15 Meunier, 8 Tielemans, 6 Witsel, 16 Thorgan Hazard – 7 De Bruyne, 10 Eden Hazard – 9 Lukaku

Ersatz: 12 Kaminski, 13 Sels – 4 Boyata, 18 Denayer, 21 Castagne, 11 Carrasco, 17 Vanaken, 19 Dendoncker, 22 Chadli, 26 Praet, 14 Mertens, 20 Benteke, 23 Batshuayi, 24 Trossard, 25 Doku

Fraglich: 7 De Bruyne (Knöchel), 10 E. Hazard (Oberschenkel)

Italien: 21 Donnarumma – 2 Di Lorenzo, 19 Bonucci, 3 Chiellini, 4 Spinazzola – 18 Barella, 8 Jorginho, 6 Verratti – 14 Chiesa, 17 Immobile, 10 Insigne

Ersatz: 1 Sirigu, 26 Meret – 13 Emerson, 15 Acerbi, 23 Bastoni, 24 Florenzi, 25 Toloi, 5 Locatelli, 7 Castrovilli, 12 Pessina, 16 Cristante, 20 Bernardeschi, 9 Belotti, 11 Berardi, 22 Raspadori