Der ÖVP komme der Mord zupass, um einen der wenigen Vorstöße ihres Koalitionspartners für eine Änderung der Asylpolitik im Keim zu ersticken, sagt Politikwissenschafterin Monika Mokre.

Nach einem runden Tisch forderte Kanzleramtsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) die Einschaltung der Dienstaufsicht. Schnelleres Handeln, also Abschieben, hätte die Tat verhindert.
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Im Jahr 2021 wurden bisher 15 Frauen getötet, zwei von ihnen von demselben Täter. Neun der Täter waren vermutlich Österreicher – wenn man von der plausiblen Annahme ausgeht, dass es sich immer dann um österreichische Täter handelt, wenn die Staatsbürgerschaft in den Medien nicht genannt wird; einer der österreichischen Staatsbürger hatte nordafrikanische Wurzeln. Von den weiteren identifizierten Tätern stammten zwei aus Serbien und je einer aus Syrien und Afghanistan. Und nun wurden drei Afghanen unter Tötungsverdacht bei dem letzten Opfer festgenommen.

Die Zahl der Tötungen ist schockierend – trotzdem aber zu klein, um viele statistische Rückschlüsse zuzulassen. Klar ist: Frauen werden von Männern getötet. Klar ist auch: Während Österreich in Hinblick auf die Gesamtzahl von Tötungsdelikten im EU-Durchschnitt liegt, ist es das einzige europäische Land, in dem mehr Frauen als Männer ermordet werden. Des Weiteren ist klar: Ein Rückschluss aus diesen Zahlen auf die besondere Gewaltbereitschaft einer bestimmten Nation ist nicht möglich.

Politisches Kleingeld

Auch wenn sich keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse aus einer Fallzahl ableiten lassen, kann man versuchen, Schlüsse zu ziehen. Und muss dies sogar tun, wenn es um das Leben und die Sicherheit von Menschen geht. Im Mai dieses Jahres präsentierte die Regierung daher einen Gewaltschutzpakt, der allerdings von Organisationen in diesem Feld kritisiert wird, da die Prioritätensetzung falsch und die Ausstattung unzureichend sei.

Doch nun gibt es eine weitere Tötung, für die drei Afghanen festgenommen wurden, für die die Unschuldsvermutung gilt. Oder vielmehr gelten sollte: Denn für alle Parlamentsparteien scheint die Schuld der Verdächtigen bereits klar. Und für einen Großteil der Politikerinnen und Politiker scheint weiters klar, dass der Grund für diese Tötung in der Nationalität der mutmaßlichen Täter begründet ist. Oder eventuell auch in ihrem Status als Asylwerber – Asylwerber und Asylwerberinnen werden ja von der österreichischen Regierung zunehmend häufiger als allgemein unglaubwürdig und potenziell kriminell beschrieben. Die Verhaftung von drei jungen Asylwerbern bietet nun bereits vor dem Gerichtsverfahren für ÖVP und FPÖ die Möglichkeit, wieder einmal Abschiebungen zu propagieren – auch und insbesondere nach Afghanistan. Dieser politischen Schlussfolgerung schließt sich auch die SPÖ mit der Forderung nach null Toleranz für straffällige Asylwerber an.

Fragwürdige Abschiebepraxis

Die ÖVP hätte sich nichts Besseres wünschen können als dieses Tötungsdelikt, bietet es ihr doch die Möglichkeit, einen der wenigen Vorstöße ihres Koalitionspartners für eine Änderung der Asylpolitik im Keim zu ersticken: Vor anderthalb Wochen hat Justizministerin Alma Zadić die Abschiebepraxis nach Afghanistan kritisiert und deren Evaluierung verlangt. Dafür gibt es gute Gründe, die sich etwa in den aktuellen Berichten der UNHCR über die Sicherheitslage in Afghanistan finden. Diese Gründe werden jetzt vom Tisch gewischt – es geht um die Sicherheit "unserer Frauen", die höher zu bewerten ist als die Sicherheit von Afghanen und Afghaninnen, unabhängig davon, ob diese straffällig wurden oder nicht.

Aus dem Tod einer jungen Frau wird Kleingeld für eine unmenschliche Politik generiert, die den Tod von Menschen jeglichen Geschlechts in Kriegsgebieten nach sich zieht, ohne sich ernsthaft mit der Sicherheit von Frauen in Österreich auseinanderzusetzen. Dabei wird ein weiterer Tod in Kauf genommen – der schleichende Tod der Rechtsstaatlichkeit.

Faire Verfahren

Für Rechtsstaatlichkeit spielen faire Verfahren eine zentrale Rolle – in Bezug auf Asyl wie auch im Strafrecht. Beiden ist gemeinsam, dass sie nach individueller Beurteilung verlangen, im ersten Fall in Hinblick auf Schutzbedürftigkeit, im zweiten Fall in Bezug auf Schuld. Verdächtigt und eventuell auch schuldigsprechen kann man nur Individuen, nicht ganze Bevölkerungsgruppen. Und diese Individuen werden für ein bestimmtes Delikt schuldiggesprochen; der Begriff der "Straffälligkeit", der in Bezug auf Asylwerber und Asylwerberinnen gerne strapaziert wird, umfasst ein breites Feld von Gesetzesverstößen, das vom Diebstahl einer Thunfischdose im Supermarkt bis zum Mord reicht.

Auch Asyl ist ein individuelles Recht; allerdings lässt das Gesetz auch zu, dass ein ganzes Land als zu unsicher erklärt wird, um Menschen dorthin zurückzuschicken. Es gibt eine gute Beweislage dafür, dass Afghanistan ein solches Land ist; diese wird allerdings in der österreichischen Asyl- und Abschiebepraxis weitgehend ignoriert.

Fassen wir zusammen: In diesem Jahr wurden bereits 15 Frauen getötet. Gegen Femizid ist politisch faktenbasiert vorzugehen. Die Abschiebung einer gesamten Bevölkerungsgruppe in ein höchst unsicheres Land ist nicht Teil einer solchen faktenbasierten Politik. (Monika Mokre, 2.7.2021)