Bei seiner zweiten Befragung im U-Ausschuss brachte Kanzler Sebastian Kurz seinen Anwalt mit: Verfassungsgerichtshof-Ersatzrichter Werner Suppan (rechts hinter Kurz im Bild).

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Wie man mit sechs Minuten Fragezeit mehr als zwei Stunden Zeit verstreichen lassen kann, haben am Donnerstag eindrucksvoll die türkise Fraktion im U-Ausschuss und Bundeskanzler Sebastian Kurz bewiesen. "Filibustern" nannte das die Opposition mit Blick auf den US-Kongress – und tatsächlich wurde mit der Zermürbungsstrategie die Befragung durch politische Rivalen stark beeinträchtigt.

Möglich ist das im Zusammenspiel mit einem freundlich gesinnten Vorsitzenden, als solchen kritisieren alle anderen Parteien den Nationalratspräsidenten Wolfgang Sobotka (ÖVP) ja bekanntlich seit Monaten. Denn dieser muss eigentlich dafür sorgen, dass das Befragungssystem nicht falsch ausgelegt wird.

Im Prinzip läuft eine U-Ausschuss-Sitzung folgendermaßen ab: Mit der Befragung der Auskunftsperson beginnt der Verfahrensrichter, das dauert nur wenige Minuten. Dann wechseln sich die Fraktionen der Reihe nach ab. In der ersten Runde können sie sechs Minuten lang Fragen stellen, dann drei Minuten, dann nur mehr eine Minute lang. Die Auskunftsperson hat jedoch kein Zeitlimit: Sie darf unbegrenzt lang antworten. Mitgestoppt wird also die Frage, nicht aber die Antwort. Die Uhr läuft aber anderweitig mit, denn nach insgesamt vier Stunden kann die Auskunftsperson wieder gehen – wurden nicht alle Fragen beantwortet, muss sie erneut geladen werden.

Stichwortgeber

Bei der mit Spannung erwarteten Befragung von Kanzler Kurz, die eigentlich die letzte im aktuellen U-Ausschuss sein sollte, hatte die ÖVP das Glück, als erste Fraktion Fragen stellen zu können. Sie diente ihrem Parteivorsitzenden als Stichwortgeber, der mehr als ausführlich antworten konnte.

Die ÖVP konnte hingegen fragen, wie und wann Sebastian Kurz vom Ibiza-Video erfuhr, obwohl das schon in zahlreichen Interviews und bei seiner ersten Befragung Thema war. Oder sie fragte nach den großen Themen, die Türkis-Blau geplant hatte; nach der Art und Weise, wie Regierungen Posten besetzen. Kurz nahm die zahmen Fragen dankbar an und replizierte ausufernd; Neuigkeiten waren keine dabei. Dabei verstrich so viel Zeit, dass am Schluss weder Grüne noch Neos zu Wort kamen.

"Wie ein Schwerverbrecher"

Klar wurde einmal mehr, wie zerrüttet das Verhältnis zwischen Kurz und der Opposition ist. Im U-Ausschuss sei "Hass spürbar", sagte der Kanzler vor seiner Befragung, das parlamentarische Kontrollgremium werde "missbraucht" und habe eine Reform nötig. In diese Analyse flossen eigene Erfahrungen ein, wird doch gegen Kurz bekanntlich wegen des Verdachts auf Falschaussage im U-Ausschuss ermittelt. Er selbst sagt, bei seiner ersten Befragung im Sommer 2020 nach "bestem Wissen und Gewissen" geantwortet zu haben.

Darum ging es dann auch in der ersten Frage der Opposition, die diese in Gestalt von SPÖ-Fraktionsführer Jan Krainer nach mehr als zwei Stunden stellen konnte.

Kurz und die ÖVP hatten rund um die Ermittlungen wegen des Verdachts auf Falschaussage im U-Ausschuss ja immer wieder darauf verwiesen, dass die Befragung im U-Ausschuss hitzig und turbulent gewesen sei. Das bestreitet die Opposition, auch die ermittelnde Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) hat anhand der Tonbandaufnahmen des Ausschusses eine Analyse erstellt, die dieses Argument widerlegen soll. Darüber hatte zuerst die "Presse" berichtet. Am Mittwoch landeten die Audiospuren dann bei "Zackzack".

Auf die Frage von Krainer, welcher Teil der letzten Befragung Kurz so unter Druck gesetzt hatte, ließ sich Kurz von seinem Anwalt Werner Suppan beraten – auch das dauerte. Schlussendlich meinte Kurz, er sei sich nicht wie ein Zeuge vorgekommen, sondern "wie ein Schwerverbrecher, den man überführen will". Er wies Verdachtsmomente bezüglich einer Novomatic-Spende von sich: Hätte er ein derartiges Angebot überhaupt erhalten, hätte er "dankend abgelehnt".

"Fester Trottel"

Einen Zusammenhang zwischen Spenden der Uniqa-Tochter Premiquamed an die ÖVP und der türkis-blauen Änderung des Privatkliniken-Gesetzes, von der auch die Premiquamed profitierte, stellte Kurz ebenso in Abrede.

Überhaupt sei es – sagte Kurz zum Thema Gesetzeskauf – "an Absurdität gar nicht zu überbieten", dass jemand bereit wäre, sich strafbar zu machen, damit die ÖVP eine Spende bekommt. Da müsse einer "ein fester Trottel sein", um dafür womöglich sogar ins Gefängnis zu gehen.

Auch illegale Interventionen bei Postenbesetzungen bestritt Kurz. Die Nominierung von Aufsichtsräten und anderen Positionen sei bei jeder Regierungskonstellation ähnlich, ob Türkis-Blau oder Türkis-Grün. Wichtig sei, dass die Personen qualifiziert wären. Manchmal werde der Kanzler involviert, wenn er sich fernhalten könne, sei das aber besser, sagte Kurz.

Strache kommt nach Strafprozess

Zu seinen Nachrichten an den damaligen Finanzministeriums-Generalsekretär Thomas Schmid über den Umgang mit der katholischen Kirche wollte Kurz partout nichts sagen. Laut den Chats hatte Schmid damals nach Kritik der Kirche an Türkis-Blau in Abstimmung mit Kurz Druck auf einen hochrangigen Kirchenvertreter in Sachen Steuerprivilegien ausgeübt. Unter Berufung auf eine diesbezügliche anonyme Anzeige gegen ihn konnte sich Kurz jedoch einer Antwort entschlagen.

Seine Befragung hätte eigentlich den Abschluss des U-Ausschusses darstellen sollen – durch eine Welle an Absagen wird es aber einen Ersatztermin geben: Am 15. Juli soll beispielsweise Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache befragt werden. Strache wäre eigentlich am Donnerstag dran gewesen, war aufgrund einer explodierten Yacht aber verhindert gewesen und hatte den 15. Juli angeboten. Dann weiß Strache womöglich auch schon, wie der erste Ibiza-Prozess gegen ihn ausgeht: Von 6. bis 9. Juli wird rund um die Änderung des Privatklinikengesetzes verhandelt, dabei geht es aber um die "blaue Seite", also Strache und FPÖ-Spender Walter Grubmüller. Damit dürfte das erste strafrechtliche Gerichtsverfahren zu Ibiza vor dem U-Ausschuss enden. (Theo Anders, Renate Graber, Fabian Schmid, 1.7.2021)