Da es keine wissenschaftliche Arbeit sei, seien auch keine Quellenangaben nötig, meint Baerbock zu den Vorwürfen.

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Man stelle sich kurz vor, die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock säße jetzt bei ARD-Talkerin Anne Will. Oder gäbe im ZDF ein Interview. Die erste Frage wäre in beiden Fällen sicher zu ihrem vor kurzem vorgelegten Buch "Jetzt – Wie wir unser Land erneuern" (Ullstein-Verlag).

"Wie viel haben Sie abgeschrieben?", könnte die Frage lauten. Schließlich behauptet der Salzburger "Plagiatsjäger" Stefan Weber, Baerbock habe an mindestens 14 Stellen abgekupfert, habe Textzeilen von anderen übernommen, ohne dies zu kennzeichnen. Doch Baerbock befindet sich an diesem Donnerstagabend nicht bei ARD oder ZDF, sondern beim Livetalk der Frauenzeitschrift "Brigitte" (Verlag Gruner und Jahr) in der Astor-Filmlounge in Berlin. Dort geht es nicht ganz so scharf zu wie anderswo.

Reden oder Schweigen

25 Minuten lang herrscht eigentlich Wellness-Atmosphäre, die Anspannung ist Baerbock dennoch anzusehen. Sie darf zunächst aus Wortpaaren eines auswählen, das ihr mehr zusagt. "Frauen oder Männer?" Baerbock wählt "Frauen", weil: "Ich kenne sie besser.""Wann haben Sie einen Nachteil erfahren, weil sie eine Frau sind?", will "Brigitte"-Chefredakteurin Brigitte Huber (sie heißt tatsächlich Brigitte) wissen.

Es ist eigentlich eine freundliche Einladung, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Baerbock aber tut dies nicht. Sie erklärt bloß, "es gibt heftigste Angriffe, jetzt auch". Mal sei ihre "Stimme zu schrill", mal "das Kleid zu lang, zu kurz oder zu farbig"."Reden oder Schweigen", lautet das nächste Paar, Baerbock entscheidet sich für "reden" und lobt ihren Mann als ihren liebsten Gesprächspartner.

"Fehler machen oder Fehler vermeiden", heißt es dann. Mehr Brücken kann man nicht bauen. Doch Baerbock bleibt wieder im Allgemeinen, spricht davon, dass es wichtig sei, Fehler zu machen, weil man daraus lernen könne. Also muss Chefredakteurin Huber nachhelfen und fragt endlich, ob die Kanzlerkandidatin der Grünen beim Verfassen ihres Buches vielleicht "zu lässig" vorgegangen sei? Baerbocks Antwort: "Ich habe ein Buch geschrieben, wo ich deutlich machen wollte, was mich antreibt." Da seien viele Ideen von anderen "eingeflossen", aber: "Ich habe kein Sachbuch geschrieben. Ich nehme die öffentlichen Quellen, die es gibt."

Aufruf zur Solidarität

Da es keine wissenschaftliche Arbeit sei, seien auch keine Quellenangaben nötig. Werde gegen sie als Frau besonders hart vorgegangen, wird Baerbock dann gefragt. "Das weiß ich nicht", sagt sie. Und: "Wahlkampf ist hart, aber das haben Wahlkämpfe an sich. Das war mir von Anfang an klar." Das klingt anders als die Losung, die vor zwei Tagen von der grünen Parteizentrale ausgegeben worden war. Man beklagt dort "Rufmord" und hat den prominenten Medienanwalt Christian Schertz eingeschaltet.

Bundesgeschäftsführer Michael Kellner rief die Grünen-Mitglieder dazu auf, per Twitter "volle Solidarität mit Annalena" zu zeigen. Weber hatte zunächst fünf Passagen öffentlich gemacht und dann weitere genannt. So heißt es in Baerbocks Buch: "Wer immer nur von der Gegenwart aus denkt, verharrt in der Kurzfristigkeit und verliert an strategischer Tiefe." In einem Artikel der Politologin Florence Gaub in der Zeitschrift "Internationale Politik" findet sich folgende Formulierung: "Wer ständig in Krisen denkt, verharrt in der Kurzfristigkeit und verliert an strategischer Tiefe."

Das Nachrichtenportal "t-online" berichtet, es habe sich eine Gruppe von Personen über einen ehemaligen Sozialdemokraten an Martin Heidingsfelder, den Gründer der Plattform "Vroniplag", gewandt und gefragt, ob er Baerbocks Buch überprüfen wolle. Nachdem Heidingsfelder abgelehnt hatte, sei er um Verständnis gebeten worden, wenn man nun mit Stefan Weber spreche. Der allerdings erklärt eidesstattlich, er handle "ohne Bezahlauftrag" und habe auch keine Auftraggeber. (Birgit Baumann aus Berlin, 1.7.2021)