Gália Baeva befasst sich mit migrantischen Kulturen und wohnt selbst im fünften Wiener Bezirk inmitten einer kritisch diversen Kontaktzone, in der es jeden Tag zu Reibungen und Verhandlungen kommt.

"In den Wohngesprächen sind meist schöne, große Häuser zu sehen. Mit meiner nicht einmal 40 Quadratmeter großen Wohnung kann ich weder Designermöbel noch irgendwelche baulichen Besonderheiten bieten.

Meine Wohnung liegt im fünften Bezirk, ruhige Innenhoflage, eine nette, leistbare, unaufregende Mietwohnung. Sie genügt mir, aber ich wäre sehr froh, wenn ich einen kleinen Balkon hätte. Das ist nicht der Fall. Und so ist meine konkrete Wohnsituation Spiegelbild dessen, was sich berufstätige, allein stehende Personen wie ich leisten können.

Früher habe ich in Linz gewohnt. Aus beruflichen Gründen jedoch bin ich vor zwei Jahren nach Wien gezogen. Meine beiden Söhne Alexander und David, 18 und 13 Jahre alt, sind in Linz geblieben und besuchen mich alle zwei Wochen.

Gália Baeva würde gerne in Tel Aviv wohnen, aber Wien-Margareten findet sie auch sehr spannend.
Foto: Lisi Specht

Der Bezirk Margareten ist kein Zufall. Einerseits wollte ich in der Nähe von Freundinnen und Arbeitsstätte wohnen, andererseits ist der fünfte Bezirk für mich einer der lebendigsten, kulturell spannendsten Bezirke. Viele Arbeiterinnen, Arbeiter, viele Juden und Jüdinnen, viele Moslems, Menschen aus unterschiedlichen Ländern, auch aus Russland und Bulgarien, wo ich ja herkomme. Der eine sagt Schalom, der andere Merhaba, die eine bedankt sich mit Schukran, die andere begrüßt mich auf Bulgarisch mit Zdravejte!

Die meisten würden sagen, dass das hier eine sehr multikulturelle Facette Wiens ist. Ich würde sagen, das ist eine Kontaktzone, wo man sich in kritischer Diversität üben kann. Der Ausdruck stammt aus meinem beruflichen Kontext und bedeutet, dass wir hier in einem Teil Wiens mit vielen Reibungen leben – mit Menschen unterschiedlicher Backgrounds und Wertvorstellungen, die jeden Tag aufs Neue ihr Zusammenleben verhandeln müssen. Mich beflügeln diese alltäglichen Konflikte, die ich auf der Straße, in Lokalen und Geschäften beobachte. All das ist Stadt!

40 Quadratmeter hat Gália Baevas Wohnung, die "weder Designermöbel noch irgendwelche baulichen Besonderheiten" enthält. Briefe ihrer Mutter und ihrer Oma hat sie gerahmt, und eine Menora "darf natürlich in keiner jüdischen Wohnung fehlen".
Foto: Lisi Specht

Es gibt in Wien genügend Viertel, die nie erfahren haben, was kritische Diversität ist. Das sind homogene Inseln, auf denen man ganz unter sich ist und die mir keine Luft zum Atmen lassen. Ich selbst stamme aus Burgas an der bulgarischen Schwarzmeerküste, bin in einer säkularisierten jüdischen Familie aufgewachsen, war immer schon Teil einer Minderheit, sowohl zu Hause in Bulgarien als auch hier zu Hause in Wien. Viele in meiner Familie sind immer wieder umgezogen. Ein Leben ohne Konflikte und ohne den Bedarf, sich zu arrangieren und die gesellschaftlichen Schnittstellen auszuhandeln, ist für mich unvorstellbar. So gesehen sind meine Lieblingsstädte Rom, Sofia, Berlin, Tel Aviv, São Paulo.

Ich denke oft darüber nach, was Wohnen für mich bedeutet. Nun, tatsächlich liegt ein großer Teil dieser Antwort draußen im öffentlichen Raum. Hier drinnen in der Wohnung ist es ein geschützter, geborgener Platz, an dem ich gut schlafen, warm duschen und in der Früh gemütlich meinen Mokka genießen kann. Und, ach ja, gut riechen muss es auch.

Foto: Lisi Specht

In einer Hinsicht bin ich sentimental: Ich liebe es, spontanen Besuch zu bekommen, passt zwar nicht immer, aber manchmal eben schon, und ich liebe es, Postkarten zugeschickt zu kriegen. Leider sind das Facetten einer analogen, altmodischen Wohnkultur, die in den letzten zehn, zwanzig Jahren fast vollkommen verschwunden sind. Daher ist es auch keine Überraschung, dass zu meinen emotional wertvollsten Gegenständen Briefe meiner Mutter und meiner Großmutter gehören, die ich aufbewahrt und gerahmt habe. Und was natürlich in keiner jüdischen Wohnung fehlen darf: Schabbes-Kerzen und eine Menora.

Einen Wunsch für die Zukunft habe ich: Ich würde gerne in Tel Aviv leben. Aber solange es keine Zwei-Staaten-Regelung gibt, kommt ein Umzug für mich nicht infrage. Ob ich das noch erleben werde, ist fraglich. Wenn sich die Zivilgesellschaft nicht dafür starkmacht, ein gleichwertiges Leben für Israelis und Palästinenser zuzulassen, wird das nicht passieren. Und das stimmt mich sehr nachdenklich." (Wojciech Czaja, 05.07.2021)