Rechtzeitig zum Start der ersten "Sommergespräche" des Jahres am Montag um 21.15 Uhr auf Puls 4 und Puls 24 mit Beate Meinl-Reisinger (Neos) gibt Lou Lorenz-Dittlbacher Interviews. Die Anchorwoman der "ZiB 2" wird ab 9. August die Parteichefs für den ORF befragen, auf dem Dach des Leopold-Museums, in der noch recht neuen "Libelle" mit Blick über Wien. Die Bestellung des nächsten ORF-Generals ab 2022 am Tag nach ihrem "Sommergespräche"-Start mit Meinl-Reisinger nimmt Lorenz-Dittlbacher (46) entspannt: "Ich stelle mich ja nicht der Wahl."

"Wenn man 22 Jahre im ORF arbeitet wie ich, hat man schon viel gesehen"

"Ich mache die 'Sommergespräche' nicht, damit Politiker zufrieden sind. Ich mache sie, damit das Publikum zufrieden ist": Lou Lorenz-Dittbacher.
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Warum hat es eigentlich so lange gedauert, bis Lou Lorenz-Dittlbacher die "Sommergespräche" führt?

Lorenz-Dittlbacher: Weil ich erst jetzt gefragt wurde. Und ich hatte die letzten elf Jahre auch so gut zu tun.

STANDARD: Also mussten Sie auch jetzt lange gebeten werden?

Lorenz-Dittlbacher: Jetzt habe ich nicht lange überlegt und Ja gesagt. Nach elf Jahren "ZiB 2" kann man sich noch einmal neu erfinden – oder jedenfalls die Interviews mit Parteichefinnen und Parteichefs für sich ein bisschen neu erfinden. Es ist ein schwieriges Format.

STANDARD: Was ist das Schwere an dem Format?

Lorenz-Dittlbacher: Die Erwartungshaltung. Es heißt "Sommergespräch", Gespräch bedeutet eine andere Atmosphäre. Zugleich erwarten Zuschauer, Zuschauerinnen und die anderen Medien ein genauso hart geführtes Interview wie in der "ZiB 2".

STANDARD: Eine berechtigte Erwartung?

Lorenz-Dittlbacher: Ich glaube nicht, dass ein "Sommergespräch" ein fünfzigminütiges "ZiB 2"-Interview sein soll. Es ist auch keine "Pressestunde", in der aktuelle Themen abgefragt werden. Und es ist auch kein Personality-Format – das könnte ich ohnehin nicht machen, das ist nicht meine Stärke.

STANDARD: Und was ist dann ein "Sommergespräch", jedenfalls eines von Lou Lorenz-Dittlbacher?

Lorenz-Dittlbacher: Ich will mich näher damit beschäftigen, welches ideologische Fundament die Politikerinnen und Politiker haben. Aber ich will den Interviewten heute noch nicht zu viel verraten. Natürlich wird es auch um aktuelle Themen gehen. Aber ich möchte es größer und breiter anlegen, das große Ganze beleuchten. Deshalb haben wir mit der Libelle auf dem Leopold-Museum auch eine Location gewählt, die jung ist, urban, offen, die den Blick weiten soll.

STANDARD: Könnte womöglich schwierig werden, solche Fundamente freizulegen.

Lorenz-Dittlbacher: Ich bin sicher, dass es schwierig wird. Aber ich will etwas anderes tun als sonst – das hat ja den Reiz für mich. Ich will etwas anderes ausprobieren.

STANDARD: Welches Buch ist das Fundament dieser politischen Ideenwelt, wäre eine mögliche Frage dazu. Wie wollen Sie nach den Fundamenten graben?

Lorenz-Dittlbacher: Das Letzte, was ich machen möchte, ist Tipps für die Vorbereitung geben. Die Idee ist, nichts vorbereiten zu lassen. Aber ich will den Zugang nicht zu hoch hängen. Selbstverständlich wird die Pandemie eine Rolle spielen müssen. Selbstverständlich wird der Zustand der Partei eine Rolle spielen müssen. Fast alle Parteien sind in einer nicht ganz einfachen Situation – personell oder inhaltlich. Das muss eine Rolle spielen. Aber ich möchte es grundsätzlich ein bisschen anders anlegen.

STANDARD: Apropos Interviews vorbereiten – vorigen Montag hat ORF-Redakteursratsvorsitzender Dieter Bornemann in seiner Dankesrede zum Concordia-Preis gesagt: Die Politik versuche selbst, Themen vorzugeben – sie schicke Themenlisten und wolle Fragen vorgeben. Ist Ihnen das schon passiert, und rechnen Sie damit womöglich bei den "Sommergesprächen"?

Lorenz-Dittlbacher: Zweimal nein. Wenn man 22 Jahre im ORF arbeitet wie ich, hat man schon viel gesehen. Aber mir hat noch nie jemand eine Anregung für eine Frage gegeben. Hin und wieder kamen Anregungen, etwas über eine andere Partei zu machen. Da war meine Antwort immer: Das mache ich nicht – auch nicht über Ihre Partei, wenn jemand anderer das anregt. Das kann man rasch abstellen.

STANDARD: Sie sagen: Bei Ihnen hat niemand versucht, Themen vorzugeben, Fragen vorzuschlagen. Nun hat Dieter Bornemann das alles gesagt. Warum wird das Ihnen nicht gesagt und bei anderen doch probiert?

Lorenz-Dittlbacher: Wenn ich sowas höre, kann ich nur empfehlen: Direkt in den Papierkorb legen. Bei mir hat es noch niemand probiert, und ich sage gerne: Es ist auch absolut sinnlos, das zu tun.

STANDARD: Waren Sie bei der Verleihung des Concordia-Preises?

Lorenz-Dittlbacher: Ja, und ich unterstreiche den Satz: "Bitte lassen Sie uns unsere Arbeit machen – auch wenn sie Ihnen nicht gefällt." Die Arbeit der "ZiB 2" gefällt wenigen Politikerinnen und Politikern. Und ich mache die "Sommergespräche" auch nicht, damit Politiker zufrieden sind. Ich mache sie, damit das Publikum zufrieden ist.

STANDARD: Woran merkt man die Zufriedenheit?

Lorenz-Dittlbacher: Ich rede mit vielen Leuten und werde das auch nachher tun. Wenn ich dann höre: Da habe ich etwas erfahren, das ich noch nicht wusste. Oder: Das hat mich überrascht oder gewundert. Das wäre schon ein Geschenk, über das ich mich freuen würde. Wenn man ein Stück weiterkommt, auch bei der Persönlichkeit im Gespräch, und wenn man nicht hört, was wir jeden Tag vorgesetzt bekommen. Das ist bei diesen absoluten Profis schwer. Umso wichtiger ist, dass man sie auch Dinge fragt, mit denen sie nicht unbedingt rechnen.

STANDARD: Gibt es Angstgegnerinnen oder Angstgegner? Welches wird das schwierigste "Sommergespräch"?

Lorenz-Dittlbacher: Ich kenne alle fünf schon ganz lange, habe sie schon alle oft interviewt. Sie sind alle nicht ganz einfach, aus ganz unterschiedlichen Gründen. Aber sie unterscheiden sich nicht sehr im Schwierigkeitsgrad des Interviews. Der eine ist vielleicht etwas offensiver, geht in die Gegenoffensive. Es ist auch nicht einfach, wenn jemand gerne lange antwortet, ihn nicht ständig zu unterbrechen, und doch ein Gespräch zustande zu bringen.

STANDARD: Wie die Parteien befindet sich auch der ORF in einer nicht ganz einfachen Situation. Am 10. August bestellt der ORF-Stiftungsrat den nächsten ORF-Generaldirektor oder die nächste ORF-Generaldirektorin, im Gremium gibt es eine türkise Regierungsmehrheit. Welche Rolle spielt das bei den Interviews?

Lorenz-Dittlbacher: Keine. Das erste "Sommergespräch" ist einen Tag vor der Generalswahl. Wenn alle weiteren "Sommergespräche" laufen, ist die Bestellung also schon gelaufen. Ich habe in der Zeit um jede Generalswahl gearbeitet. Es ist natürlich eine schwierige Zeit für den ORF – aber das sind Nationalratswahlen auch. Man steht unter stärkerer Beobachtung. Aber ich wüsste nicht, warum die Generalswahl eine Rolle spielen sollte. Ich stelle mich ja nicht der Wahl (lacht).

STANDARD: Nein?

Lorenz-Dittlbacher: Das ist schon einmal fix.

STANDARD: Müsste das nicht der reizvollste Job hier in der ganzen Medienwelt sein?

Lorenz-Dittlbacher: Nein. Ich bin Journalistin, den Job möchte ich machen. Ich möchte Fragen stellen, aber ich bin keine Managerin. Das weiß ich. Jedenfalls nicht in diesem großen Bereich. Ich bin keine Kandidatin, sicher nicht.

STANDARD: Also nach elf Jahren "ZiB 2" noch einmal ein paar Jahrzehnte?

Lorenz-Dittlbacher: Das will ich so lange machen, wie ich neue Herausforderungen in Form von politischem Personal bekomme. Als ich begonnen habe, war Heinz Fischer Bundespräsident, Werner Faymann war Bundeskanzler, ich habe so viele Parteichefs und -chefinnen erlebt. Wenn sich Flüchtlingskrise, wiederholte Präsidentenwahl, Ibiza und eine Pandemie im Stakkato aneinanderreihen, ist man nicht fertig mit dem Journalismus. Man irrt sich jedes Jahr wieder, wenn man glaubt, man habe schon alles gesehen.

STANDARD: Was ist der ideale Kandidat – für den ORF-Generalsjob, nicht für das "Sommergespräch"?

Lorenz-Dittlbacher: Der ideale ORF-Generaldirektor oder die ideale ORF-Generaldirektorin lässt uns einfach arbeiten. Mehr ist es nicht.

STANDARD: Das heißt: So wie bisher?

Lorenz-Dittlbacher: So wie bisher.

STANDARD: Also: Five more years Wrabetz?

Lorenz-Dittlbacher: Das ist keine Wahlempfehlung. Das ist mein Anspruch als Mitarbeiterin in diesem Haus. Es gab im ORF Phasen, in denen ging das nicht so gut. Der ORF ist ein wichtiges Unternehmen in dem Land. Finger weg von den Redaktionen gilt für alle.

STANDARD: Warum sind das eigentlich schwierige Zeiten für den ORF?

Lorenz-Dittlbacher: Weil das immer mitgedacht wird. Mal wird dem ORF nachgesagt, er sei ein Rotfunk, dann, er sei ein Türkisfunk, dann wieder Grünfunk, Blaufunk, Pinkfunk. Und dann wird interpretiert: Aha, die stellt die Frage jetzt, weil ... oder jene Frage nicht, weil ... Es ist nie Verschwörung dahinter, wie oft spekuliert wird. Ich habe vom Generaldirektor noch nie eine Anregung bekommen. Ich wüsste nicht, warum das jetzt passieren sollte.

STANDARD: So ein langes Format wie die "Sommergespräche" erfordert Antwortbereitschaft des Gegenübers.

Lorenz-Dittlbacher: Ich bin den Menschen verpflichtet, die zusehen. Und das ist mein Gegenüber auch. Ich stelle Fragen, von denen ich glaube, dass sie das Publikum interessieren. Es wäre dann schon auch im Sinne dieses Publikums, sie zu beantworten. Das nicht zu tun, ist nicht fair gegenüber unseren Zusehern. Ich habe in dem Format auch die Zeit auszuschildern, wenn das passiert. Aber nein, ich werde nicht 50 Minuten lang dieselbe Frage stellen.

STANDARD: Stichwort Publikum: Publikumsreaktionen auf "ZiB 2"-Interviews können, höre ich, sehr heftig ausfallen. Und sie können gegenüber Frauen noch viel heftiger ausfallen.

Lorenz-Dittlbacher: Definitiv. Viele Menschen ordnen Frauen noch immer eine bestimmte Rolle zu: warm, offen, verständnisvoll. Das bin ich alles. Aber nicht in meinem Job. Ich muss Parteichefs gegenüber nicht warm sein, ich muss ihnen gegenüber kritisch sein. Bei Männern wird das leichter akzeptiert. Niemand würde bei einem männlichen Moderator fragen, warum der nicht lächelt. Ich kann nicht die ganze Zeit lachen, während ich über eine Pandemie spreche. Aber auch das wird vom Publikum thematisiert. Und Gesprächspartner zu unterbrechen ist ganz schwierig. Allerdings: Als Mann beim Interview Frauen zu unterbrechen kommt noch schlechter an.

STANDARD: Und die Publikumsreaktionen sind tatsächlich so heftig ...

Lorenz-Dittlbacher: Ja. Es wird sexistisch, es wird persönlich, es wird gemein. Dinge, die man lieber nicht lesen möchte.

STANDARD: Wie geht man damit um?

Lorenz-Dittlbacher: Grundsätzlich ist es wichtig, einen Kreis von Menschen zu haben, die auch wirklich kritisches Feedback geben können. Nach elf Jahren hat man sich an vieles gewöhnt. Ich lese nicht mehr alles, und das tut mir gut.

STANDARD: Wird es bei den "Sommergesprächen" wieder eine große Feuerschale geben?

Lorenz-Dittlbacher: Nein.

STANDARD: Und weit ausladende Schwenks mit Kamerakran? Kurzum: Führt Kurt Pongratz wieder Regie?

Lorenz-Dittlbacher: Ja, drei Folgen; zwei Folgen übernimmt Martin Pasch. Die Location ist ein wirklich schöner Platz, ich glaube, man muss da gar nicht viel draufsetzen. Ich möchte mich auf die Gespräche konzentrieren. Wir sind in tollem Einvernehmen und stimmen uns gut ab.

STANDARD: Haben die großen Schwenks und Kamerafahrten voriges Jahr nicht ein bisschen abgelenkt vom Inhalt des Gesprächs?

Lorenz-Dittlbacher: Es ist ganz einfach so: Ich möchte nicht, dass Kurt Pongratz mir sagt, wie ich meine Fragen stelle. Und ich sage ihm dafür nicht, wie er die Kamera zu führen hat. Ich vertraue ihm. (Harald Fidler, 5.7.2021)