"Eine Situation wie jene in der Josefstadt ist bei uns unvorstellbar": Karl Regensburger blickt auf ein schuldenfreies Festival.

Foto: Magdalena Blaszczuk

Die Künstler kommen aus Johannesburg oder Maputo, aus London oder Paris: So international wie das Impulstanz-Festival ist kaum eines der heimischen Festivals. Dazu kommen über 200 Workshops, für die Tanzbegeisterte aus ganz Europa jeden Sommer nach Wien kommen. In diesem Jahr ist alles etwas anders. Impulstanz-Leiter Karl Regensburger über die Herausforderung, inmitten aller Unwägbarkeiten ein Festival dieser Größenordnung zu organisieren. Die Videoversion dieses StandArt-Gesprächs finden Sie auf derStandard.at.

STANDARD: Wie organisiert man in Pandemiezeiten ein internationales Festival?

Regensburger: Es war und ist herausfordernd. Wir haben unverdrossen gehofft, dass wir das Festival hinkriegen. Unsere Annahme: Alles wird gut.

STANDARD: Aber wie gehen Sie mit Reiseeinschränkungen um, den unterschiedlichen Impfgeschwindigkeiten?

Regensburger: Darauf müssen wir individuell reagieren. Erst heute hatte ich ein Gespräch mit dem Festival in Avignon und Dada Masilo aus Südafrika, die noch diese Woche aufbricht, um über Amsterdam nach Marseille in die Quarantäne zu gehen. Das Problem: Drei Mitglieder ihrer Kompagnie wurden positiv getestet, die können jetzt nicht mitkommen und in Avignon auftreten. Vielleicht können sie aber auf der zweiten Station, hier in Wien, dabei sein.

STANDARD: Sie müssen gute Nerven haben.

Regensburger: Künstler aus Maputo, Mosambik, wollten wir über Dubai einfliegen lassen. Dann ging das quarantänetechnisch nicht mehr, und wir haben die Künstler auf Lissabon gebucht. Jetzt hat die deutsche Regierung eine 14-tägige Quarantäne für Reisende von dort verhängt. Man muss kurzfristig reagieren und hoffen, dass man es hinkriegt. Sorgen bereiten mir Kompagnien aus London und Indien, etwa jene von Akram Khan. Künstler aus Indien versuchen wir umzuleiten. Im Workshopbereich wollte die University of Melbourne mit 25 Studenten kommen. Denen wurde die Ausreise bis Ende September verboten, wenn dabei öffentliche Gelder fließen. Ähnliches gilt für Kanada.

STANDARD: Der Blick aufs Programm zeigt aber: Es wird ein Impulstanz-Festival ohne große Abstriche. Täuscht der Eindruck?

Regensburger: Nein, es ist vom Kartenangebot für Performances mit über 42.000 sogar das größte bisherige Impulstanz-Festival. Wir haben mit 50 Prozent Platzauslastung gerechnet, dürfen jetzt aber wunderbarerweise auf 100 Prozent gehen. Allerdings ist das Publikum noch teilweise sehr zurückhaltend. Wir haben bisher etwa 34 Prozent der Karten verkauft, es ist also noch ein weiter Weg.

STANDARD: Ein Höhepunkt des Festivals ist die Uraufführung von Meg Stuarts Stück "Cascade". Die Premiere musste pandemiebedingt achtmal verschoben werden. Welche Projekte ließen sich trotz aller Mühen nicht realisieren?

Regensburger: Das Tanztheater Wuppertal haben wir auf kommendes Jahr verschieben müssen. Auch Jan Fabre wird nicht kommen, er ist ja bekanntlich seit drei Jahren mit Machtmissbrauchsvorwürfen konfrontiert. Es wurde jetzt für 21. September ein Gerichtstermin angesetzt, bei dem beschlossen wird, ob es zur Verhandlung kommt. Wir sind übereingekommen, die heurigen Vorstellungen abzusagen.

STANDARD: Fabre, Stuart: Diese Künstler treten auch bei den Festwochen auf. Braucht Wien zwei sehr ähnlich programmierte Festivals?

Regensburger: Ich bin nicht glücklich, wenn die Festwochen zu viel Tanz und Performance zeigen. Für mich ist es die Aufgabe der Festwochen, sich dem Musiktheater und dem internationalen Theater zu widmen. Aber wir haben keine Angst vor Konkurrenz. Nach 31 Produktionen von Anne Teresa De Keersmaeker bei Impulstanz verstehe ich nicht, wenn auch die Festwochen Keersmaeker zeigen.

STANDARD: Beide Festivals ressortieren bei der Stadt Wien, berichten an Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler. Reden Sie nicht miteinander?

Regensburger: Das Problem wird wahrgenommen, und es wurden auch schon individuelle Gespräche geführt. Ich freue mich über viele Festwochen-Produktionen, und ich freue mich auch für die Künstler, wenn diese bei den Festwochen besser verdienen als bei uns.

STANDARD: Sie sind bekannt dafür, dass Sie nicht nur Produktionen zeigen, die Sie selbst toll finden. Wie programmieren Sie das Festival?

Regensburger: Ich habe die Offenheit, Dinge zuzulassen, von Ismael Ivo gelernt. Er hat auch Künstler geschätzt, die ihn nicht geschätzt haben. Die 8:tension-Reihe, bei der jüngere Künstler auftreten, wird von Chris Standfest und Michael Stolhofer kuratiert. Da habe ich bisweilen andere Präferenzen, aber es ist wichtig, dass in ein Festival frisches Blut kommt. Man muss aufpassen, dass man nicht ein Festival für seine Freunde programmiert. Oder noch schlimmer: fürs Feuilleton. Das Festival ist fürs Publikum da!

STANDARD: Ismael Ivo war Mitbegründer des Festivals und hat es stark geprägt. Welche konkrete Lücke hinterlässt der im vergangenen April an Corona Verstorbene?

Regensburger: Wir dachten, er hätte die Krankheit überwunden, nachdem er nach zwei Wochen von der Intensiv- auf die Normalstation verlegt worden war. Ivo war bei den Workshops im Arsenal eine wichtige Figur. Er war das Verbindungsglied bei den 180 Dozenten, jemand der mit allen gesprochen hat, jemand, der Mut gemacht hat. Diese Lücke werden wir nicht schließen können.

STANDARD: Sie haben letztes Jahr das Festival abgesagt, haben sich auf "Public Moves" verlegt. Wie sieht es mit Ihren Finanzen aus?

Regensburger: Ich bin glücklich, dass die vereinbarten Subventionen zur Gänze ausbezahlt wurden. Diese betragen bei uns 50 Prozent und wurden anteilig an die eingeladene heimische Szene weitergegeben. Wir waren in unseren Finanzen ab und an Desperados. Wir gehen davon aus, dass Dinge klappen, wenn wir immer Vorsicht walten ließen, dann würden wir Gefahr laufen, dass für die Tanzszene viele Jobs wegfallen würden. Eine Situation wie jene in der Josefstadt, wo angeblich plötzlich zehn Millionen fehlen, ist bei uns aber unvorstellbar.

STANDARD: Ihre Mitarbeiter waren auf Kurzarbeit. Was sagen Sie zur Josefstadt?

Regensburger: Ich kann das schwer beurteilen, aber die Fördermittel, die zur Verfügung standen, nicht 100-prozentig auszunützen, halte ich für fahrlässig. Auch wir sind nicht aus Vergnügen in Kurzarbeit gegangen, sondern aus finanziellen Überlegungen.

STANDARD: Festwochen-Intendant Christophe Slagmuylder sagt, dass sich Festivals in puncto Reisetätigkeiten und Nachhaltigkeit verändern müssen. Wie sehen Sie das?

Regensburger: Wir müssen uns zuerst selbst an der Nase nehmen. Ich kann mich erinnern, wie ich noch kurz vor der Pandemie in einer Woche in sieben verschiedenen Städten war. Da müssen wir überlegter arbeiten, die digitalen Hilfsmittel besser nutzen. Jemand aus dem afrikanischen Raum wird aber kaum zu uns schwimmen können. Gleichzeitig ist es wichtig, dass wir auch außereuropäische Künstler unterstützen.

STANDARD: Fehlt es an der Abstimmung der Festivals untereinander?

Regensburger: Da lässt sich sicher noch einiges machen. Wir kooperieren mit dem Julidans in Amsterdam oder dem Festival in Avignon. Auch aus finanziellen Überlegungen. Wir können es uns schlichtweg nicht leisten, 30 Leute aus Johannesburg einzufliegen, wenn nicht andere Partner an Bord sind. Koste es, was es wolle, das geht bei uns nicht.

(INTERVIEW: Stephan Hilpold, 3.7.2021)