Ihr Motor stockt gewaltig: Marine Le Pen.

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Es sollte ein triumphaler Parteitag werden, ein krönender Abschluss von Regionalwahlen, die Marine Le Pen den Weg in den Élysée-Palast hätten ebnen sollen. Hätten sollen. In Wirklichkeit bestätigte das Rassemblement National (RN) nicht den vorhergesagten Aufwärtstrend, sondern sackte von 27,7 (im Jahre 2015) auf 19,3 Prozent ab.

Der RN-Parteitag wird an diesem Wochenende in Perpignan nahe der Pyrenäen trotzdem abgehalten, auch wenn es nichts zu feiern gibt. Vielmehr herrscht Katerstimmung: Nach einer jahrelangen Erfolgsserie prallen die rechten Köpfe wieder einmal brutal an die "gläserne Decke". Diese liegt für die Lepenisten etwa bei einem Drittel der Stimmen, wie es nun scheint. Abgesehen von lokalen Eigenheiten – wie etwa in Perpignan, wo der frühere Le-Pen-Lebenspartner Louis Aliot Bürgermeister ist – kommen sie einfach nicht in die Nähe der 50-Prozent-Schwelle.

Auch unter Marine Le Pen nicht. Ihr Vater Jean-Marie Le Pen, der noch gerne den Bürgerschreck gespielt und rassistische Sprüche geklopft hatte, blieb mit dem damaligen Front National (FN) sogar bei 20 Prozent stecken. Seine blonde Tochter setzte alles daran, die Partei mit dem unverfänglichen Kürzel RN zu "normalisieren", wie sie sagt. Damit kam sie bei den Präsidentschaftswahlen von 2017 gegen Emmanuel Macron auf 33,9 Prozent.

Mehr ist offenbar nicht drin. Weniger schon – das zeigen die Regionalwahlen, obschon deren Aussagekraft wegen einer rekordtiefen Stimmbeteiligung (34 Prozent) beschränkt ist. Aliot, der sich von Le Pen 2019 getrennt hat, aber ihren Banalisierungskurs weiter deckt, erklärte selbstkritisch: "Wir müssen uns fragen, warum unsere Wähler nicht zur Urne gegangen sind. Wir waren offenbar nicht in der Lage, sie für unsere Anliegen zu interessieren."

Enttäuschter Vater

Einer hat die Antwort schon vor dem Parteitag gegeben. Jean-Marie Le Pen, soeben 93 geworden, erklärte in alter Frische und Boshaftigkeit, seiner Tochter fehle es eben an "Männlichkeit". Das meinte er nicht biologisch, obwohl man sich fragen kann, ob der dreifache Vater damit nicht die schmerzliche Absenz eines Sohnes zum Ausdruck bringen wollte. Die Absicht hinter der Bemerkung war jedenfalls sehr politisch: Tochter Marine müsse "viriler" antreten und die "Grundwerte" der Partei neu vertreten. "Entweder findet sie zu klaren Positionen zurück – oder sie wird nach und nach ausgelöscht", sagte der FN-Gründer über seine Tochter, die er nicht mehr beim Namen nennt, seitdem sie ihn 2015 aus der Partei geworfen hatte.

Für die 53-jährige Ex-Anwältin ist die Wortmeldung ihres Vaters ein Warnschuss. Auf dem rechten Parteiflügel rumort es, seitdem Marine den Austritt aus der EU und dem Euro auf Eis gelegt und notorische Antisemiten aus dem RN ausgeschlossen hat. Bisher vermochte die Parteichefin die Kritiker im Zaum zu halten. Die Wahlschlappe löst nun aber die Zungen. Und nicht nur sie. Anonyme Vertreter des "virilen" Flügels riefen über interne Kanäle dazu auf, in Perpignan "am Samstagmorgen Anti-Marine-Plakate aufhängen" zu gehen. "Am Nachmittag tragen wir uns dann als RN-Mitglieder ein, aber vor dem Kongressgebäude treten wir gegen Marine auf", lautete die Anweisung, gefolgt vom Hinweis: "Große Medien werden präsent sein."

"Gaunermethoden"

Sprecher Marine Le Pens orten hinter diesen "Gaunermethoden" einen "kleinen Fanklub" von Éric Zemmour. Dieser rechtsextreme Journalist, der auf dem Livesender Cnews jeden Abend seine Thesen verbreitet, hatte in den letzten Tagen ebenfalls virulente Kritik an Le Pen geübt: Zwischen ihrem Diskurs in Sachen Islam oder Europa und demjenigen von Emmanuel Macron gebe es "keinen Unterschied mehr", meinte der bissige Chronist, dessen Fanklub in Wahrheit gar nicht so klein ist.

"Die Leute sagen sich, sie gibt alles auf, sie verrät alles – und dafür zahlt sie nun den Preis", führte Zemmour aus. "Marine Le Pen spricht wie Emmanuel Macron, Emmanuel Macron spricht wie Marine Le Pen. Doch je mehr sie sich zur politischen Mitte bewegt, desto mehr entfernt sie sich von den Wählern. Denn die radikalisieren und verhärten sich.

Nun macht der selbsternannte Vordenker der Rechten sogar Andeutungen, er wolle bei den Präsidentschaftswahlen im kommenden Mai antreten. Laut Umfragen käme Zemmour auf 5,5 Prozent der Stimmen. Das wäre ein Achtungserfolg; und vor allem könnte dies Marine Le Pen am Einzug in den zweiten Wahlgang hindern.

Nichte in Position

Hinter Zemmour wartet eine weitere Gegnerin Marines. Ihre 31-jährige Nichte Marion Maréchal ist rechtsnationaler, medialer und noch gefährlicher für die Tante. Gefragt, ob sie 2022 "Marine" wählen würde, verweigerte sie ostentativ die Antwort.

Maréchals Nähe zu Zemmour ist bekannt. Aber die "andere" Blondine sieht sich nicht als Sekundantin, sie wälzt eigene Pläne. Mit ihrem Alter kann sie es sich leisten, auf ihre Stunde zu warten. Aber wenn sie dazu beitragen kann, ihre Tante vom Sockel zu stoßen, wird sie nicht Nein sagen.

Das sind ganz schön viele Feinde für Marine Le Pen. Am RN-Kongress will sie ihren Parteivorsitz abgeben, um sich auf ihre Präsidentschaftskandidatur zu konzentrieren. Ein Vabanquespiel: Wenn sie die Wahl wie schon 2017 verliert, stünde sie auch ohne Partei da. Noch schlimmer für sie: Der Streit um ihre Nachfolge hat begonnen, noch bevor sie die Präsidentschaftswahl geschlagen hat. (Stefan Brändle aus Paris, 3.7.2021)