Die ÖVP will nach dem Fall des in Donaustadt getöteten Mädchens nun auch wieder über eine Sicherungshaft sprechen – die Grünen allerdings nicht.

Foto: Getty Images / iStock / MBProjekt Maciej Bledowski

Vor einem halben Jahr waren Asyl, Migration und Integration – kurz: Ausländer – in Österreich kein Thema. Null, gar nicht. Der Volkspartei waren in der Pandemie, noch dazu während gegen den Kanzler, den Finanzminister und andere ÖVP-Politiker ermittelt wurde, ihre liebsten Verkaufsargumente abhandengekommen. Bis jetzt. Mit einem Schlag ist die Asyldebatte wieder ganz oben auf der politischen Tagesordnung.

Kriminalfall als Politikum

Die ÖVP hat die Themenführerschaft zurück, Kanzler Sebastian Kurz das Heft wieder in der Hand: Schnellere Asylverfahren, Asylzentren außerhalb Europas, konsequente Abschiebungen, Sicherungshaft – die ÖVP spielt das ganze Programm. Und daneben stehen die Grünen, mit beiden Beinen in einer Koalition, in der sie in solchen Momenten wohl lieber nicht wären.

Der Tod eines 13-jährigen Mädchens – oder vor allem: die vier verdächtigen afghanischen Asylwerber – haben die politische Agenda auf den Kopf gestellt. Die ÖVP gibt die Schlagworte vor, die meisten anderen wissen nicht so recht, was sie tun und sagen sollen.

Mit dem emotionalen Thema Asyl, verstärkt durch die grauenhaften Umstände, unter denen das 13-jährige Mädchen ums Leben kam, lässt sich wieder gut Politik betreiben. Und Kurz tut das. Er fordert einen Schulterschluss. Alle müssten jetzt einer Meinung sein. Seiner Meinung: Österreich muss strenger werden.

Laufende Provokationen

Dass diese Koalition das heurige Jahr noch überleben wird, glauben viele im grünen Klub nicht mehr. Es werde wohl Kurz sein, der das türkis-grüne Bündnis platzen lasse, Provokationen gebe es laufend. Die jüngste Verschärfung in der Asyldebatte sei ein weiterer Beleg dafür.

Der Tod des Mädchens in Donaustadt belastet die Koalition auch deshalb, weil es um politische Verantwortung geht. Die ÖVP schiebt sie dem Justizministerium zu. "Das kennen wir schon von der Zeit nach dem Terroranschlag", sagt eine Grüne. Auch damals versuchten die Türkisen, Innenminister Karl Nehammer so aus der Schusslinie zu ziehen.

Aktuell ist die Frage vor allem, ob das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Zuständigkeit: türkises Innenressort) oder das Bundesverwaltungsgericht (Zuständigkeit: grünes Justizministerium) die Abschiebung eines der heute tatverdächtigen Afghanen hätte vorantreiben sollen.

Hinzu kommt: Vor wenigen Wochen schlug Justizministerin Alma Zadić vor, angesichts der Lage in Afghanistan zu evaluieren, ob Abschiebungen dorthin noch vertretbar seien (siehe Info-Kasten unten). Jetzt wird ihr das vom Koalitionspartner fast hämisch zurückgeworfen: "Einen Abschiebestopp nach Afghanistan wird es mit mir nicht geben", sagt Kurz. Den hatte doch so auch niemand gefordert, murren die Grünen.

Türkis-grünes Pingpong

Tatsache ist, dass auf dem grünen Bundeskongress im Juni ein Antrag auf einen Stopp der Abschiebungen nach Afghanistan beschlossen wurde – einstimmig. Dass Kogler und Zadić jetzt auf das Regierungsprogramm verweisen und sich für die konsequente Abschiebung straffällig gewordener Flüchtlinge aussprechen, können viele in der Partei dennoch verstehen.

Alles andere sei aktuell ein politisches Selbstmordkommando. Dabei versuchen Kogler und Zadić den konkreten Zusammenhang mit Afghanistan ohnedies zu umschiffen. "Wer bei uns schwere Verbrechen begeht, muss das Land wieder verlassen", sagt Zadić – ohne ein Zielland zu nennen.

In der ÖVP will man die Gunst der Stunde nützen und Abschiebungen nach Afghanistan durchsetzen, ehe sie in ein paar Monaten vielleicht gar nicht mehr möglich sind, wenn die Taliban ihren Siegeszug fortsetzen. Denn dann würde auch der österreichischen Regierung in Afghanistan ein Ansprechpartner fehlen, mit dem Rücknahmeabkommen vereinbart werden können. Das weiß auch Nehammer. Die ÖVP versucht, die Debatte daher schon weiterzudrehen – und macht Stimmung für Asylzentren außerhalb der EU.

"Dänisches Modell"

Aus österreichischer Sicht hätte das den Vorteil, dass Asylsuchende erst gar nicht ins Land gelassen würden, sondern ihre Verfahren wo anders abwarten müssten. Für die Grünen undenkbar. Das haben sie diese Woche mehrfach und vehement beim Koalitionspartner deponiert – was Kurz nicht beeindruckt.

Er macht auch auf europäischer Ebene Druck, das "dänische Modell" umzusetzen – und findet dabei in Österreich bei der SPÖ ein offenes Ohr, zumindest beim burgenländischen Landeshauptmann Hans Peter Doskozil. Die dänischen Pläne sehen vor, dass Asylwerber, die es nach Europa schaffen, in Drittländer ausgeflogen werden, wo sie in eigens errichteten Zentren auf ihre Bescheide warten.

Die Grünen wollen zumindest in den großen Fragen nicht klein beigeben: Auch eine Sicherungshaft komme nicht infrage. Die Debatte habe die ÖVP bereits vor einem halben Jahr angestoßen – erfolglos. (Katharina Mittelstaedt, Walter Müller, Michael Völker, 3.7.2021)