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Leo Löwenthal nimmt in seinen blendenden Beschreibungen das System Trump vorweg.

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Leo Löwenthal: "Soziale Malaise kann mit einer Hautkrankheit verglichen werden."


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Die Populisten Amerikas aus der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts kennt heute niemand mehr. Die Furie des Verschwindens hat sie in den Orkus befördert. Doch in den demagogischen Hetzreden, dem Unflat, den Figuren mit Namen wie Court Asher, Leon de Aryan oder Father Coughlin scheinbar wahllos über "Juden" und "Kommunisten" ausgossen, steckt genügend Erkenntnisstoff.

Es bedurfte des Emigranten Leo Löwenthal (1900–1993), um aus dem bornierten Geschwätz selbsternannter Welterretter erste Anhaltspunkte zu gewinnen. Wie haben Amerikas Demagogen damals, vor dem und während des Zweiten Weltkriegs, ihr schmutziges Geschäft in der Öffentlichkeit betrieben? Warum liehen ihnen tausende rechtschaffene US-Bürger willig das Ohr? Warum erinnert so vieles, was sie mit Schaum vor dem Mund absonderten, an Donald Trumps paranoides Amerika?

Die populistisch Angesprochenen

Damals, in den 1940ern, fanden solche "Erweckungsredner" – alles halbe Hitler-Portionen – ein überschaubares Publikum. Die populistisch Angesprochenen bildeten, nicht anders als heute, eine Mischung aus Beleidigten und Zukurzgekommenen: Moralisten, Spießer, Arbeitslose, darunter solche, die durch Roosevelts "New Deal" Einbußen erlitten hatten. Wer 73 Jahre nach der Erstveröffentlichung von Löwenthals Studie Falsche Propheten (1948) ihre Thesen rekapituliert, der traut, mit Blick auf Trump und Konsorten, seinen Augen nicht.

Die Beute Unbehagen

In der Schrift erklärt Löwenthal, Mitbegründer der Kritischen Theorie, warum die "soziale Malaise" die Volksseele derart verlässlich in Schwingung versetzen konnte. Der "Agitator" – der Autor unterscheidet ihn vom Revolutionär wie vom Reformer – beutet ein Unbehagen aus, das bereits vorhanden ist. Der Frankfurter Löwenthal (1900–1993), 1934 im letzten Augenblick in die USA emigriert, leugnet keineswegs die soziale Grundlage gesellschaftlicher Frustration. Die Moderne? Konfrontiert ihre Teilnehmer unaufhörlich mit Zumutungen. Die Hörer der Demagogen waren, nicht anders als heute, Frustrierte.

Rundherum zerfielen die Strukturen. Persönliche Bindungen erloschen, gigantische Konzernbürokratien ersetzten das vormals gemächliche Produzieren. Das Unbehagen war bei den Verlierern mit Händen zu greifen. Und doch verstand sich niemand besser auf die Artikulation des aufgestauten Frusts als eben der faschistische "Agitator".

Im Überfluss schwelgen

Ein solcher Demagoge erfindet nicht, sondern er schürt vorhandene Ängste und lenkt die Wut um auf anonyme Mächte. Er entwirft dabei ein absonderliches Bild. Meist sind es die "Juden", die im Verein mit ihren Blutsbrüdern, den "Kommunisten", den Blicken der Allgemeinheit entzogen, im Überfluss schwelgen.

Löwenthal erklärt das merkwürdige "Bündnis" tiefenpsychologisch. Kapitalismus und Kommunismus begehen selig miteinander Inzest. Nur dem "Kind" (dem Volk), das hilflos zuschauen muss, wird die Lust vorenthalten. Erstes Fazit des Sozialforschers: "Soziale Malaise kann mit einer Hautkrankheit verglichen werden." Und: "Gibt der Patient seinem instinktiven Kratzbedürfnis nach, wird der Juckreiz sich nur steigern."

Genau darauf aber kommt es dem Marktschreier an. Indem er vorgibt, den Hörern reinen Wein einzuschenken, deklariert er sich als ihr Anwalt. Die Unverfrorenheit, mit der er sein Publikum für dessen Duldsamkeit beschimpft, erhöht noch das Zutrauen in ihn: Er hat es nicht nötig zu schmeicheln! Löwenthal nimmt in seinen Beschreibungen das System Trump vorweg. Der Krakeeler wütet gegen die Eliten: nicht aus Überzeugung, sondern weil es ihm in den Kram passt.

Der falsche Prophet

Zugleich ist er sorgsam darauf bedacht, das Regierungspersonal anzugreifen, die Staatsstrukturen jedoch nicht infrage zu stellen. Er predigt die "süßen Dinge des Lebens", die andere genießen. Der korrupte Staat? Ist unnütz. Ein Agitator von 1940 geißelte Washington nicht anders als Trump 80 Jahre danach: "als eine Arena unaufhörlicher Machtkämpfe zwischen den Kräften der Auflösung und den Matadoren der nationalen Einheit".

Indem der falsche Prophet verschwommen allgemein bleibt, kann er andere, die mit Vorschlägen aufwarten, als Egoisten diffamieren, die angeblich in die eigene Tasche wirtschaften. Der Agitator "verweist" auf die Wirklichkeit – aber nur, indem er sie entstellt.

Gut wiederzulesen

Die US-Demagogen verschwanden nach der Niederlage Nazi-Deutschlands beinah vollständig aus der US- Öffentlichkeit. An der Triftigkeit von Löwenthals Analysen hat das nichts geändert. Der Autor von Falsche Propheten lehrte später in Berkeley.

Er hat, im Verein mit Autoren wie Adorno und Horkheimer, den "autoritären Charakter" entlarvt. Seine Studien zur faschistischen Agitation gehören aus einem weiteren Grund wiedergelesen: Nicht selten war und ist Agitation nichts anderes als eine "Generalprobe für Pogrome". (Ronald Pohl, 5.7.2021)