Maß der Dinge bei der Tour de Fance: Tadej Pogacar.

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Ist der Slowene rennbereit, heißt es auch für die Konkurrenz: Warm anziehen!

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Wo im Hintergrund vernehmlich gemurmelt wird, kommen klare Worte nicht schlecht. Schlicht mit außergewöhnlichem Talent begründet Jeroen Swart die außergewöhnlichen Leistungen des Radprofis Tadej Pogacar, der erst 22 Jahre alt ist, sich aber anschickt, zum zweiten Mal en suite die Tour de France zu gewinnen – als Jüngstem, dem dies je gelang.

Der 46-jährige Sportmediziner aus Südafrika liest an der Uni Kapstadt und ist Teamarzt von UAE Team Emirates, dem Arbeitgeber von Pogacar. Im Interview mit dem Steirer Bernhard Eisel, der mit seiner Expertise aus zwölf Starts bei der Tour de France für Eurosport brilliert, bezeichnet Swart seinen Schützling als einen "dieser Fahrer, die es einmal in jeder Generation gibt".

Der Vorstellung des jungen Mannes während seiner Fahrt ins Gelbe Trikot am Samstag während der ersten Alpenetappe der 108. Tour-Auflage über 150,8 Kilometer von Oyonnax nach Le Grand-Bornand erklärte Swart recht einfach. "Er wächst noch heran und ist jetzt einfach ein Jahr älter, besser, stärker, erwachsener als letztes Jahr, als er die Tour gewann. Er setzt seine Entwicklung mit weiteren Verbesserungen fort und ist einfach ein fantastischer Fahrer."

Hattrick in Paris

Tatsächlich war die Verblüffung über Pogacar im Vorjahr, während der Corona-Tour im September, noch größer gewesen. Am Tag vor seinem 22. Geburtstag hatte er als erster Radprofi überhaupt in einem Jahr neben dem Gelben auch das Weiße Trikot des besten Jungprofis sowie das gepunktete Bergtrikot gewonnen. Im Gesamtklassement war davor in der Geschichte der Grande Boucle nur ein Sieger jünger gewesen als der Tour-Debütant – 1904 der damals 19-jährige Franzose Henri Cornet.

Im Bergzeitfahren zur Planche des Belles Filles am Tag vor der "Tour d’Honneur" hatte Pogacar seinem Landsmann Primoz Roglic den sicher geglaubten Sieg noch abgejagt. In den Tagen davor hatte es der ehemalige Skispringer verabsäumt, seinen Vorsprung auszubauen – trotz der Hilfe eines besseren Teams, als es Pogacar hatte, der in den Bergen von einem Auffahrtsrekord zum nächsten eilte. In Paris angekommen war Pogacar dann selbst überwältigt, ja fast eingeschüchtert von der Dimension seines Erfolges. "Ich bin doch nur ein Junge aus Slowenien. Ich habe zwei Schwestern und einen Bruder. Ich weiß nicht, was ich jetzt sagen soll", sagte er damals. "Ich möchte Spaß haben, das Leben genießen, die kleinen Dinge."

Mit Glück ein Klassiker

Die großen Dinge strebt er auf dem Rennrad an, so wie im April, beim Klassiker Lüttich–Bastogne–Lüttich, wo er aus einer fünfköpfigen Spitzengruppe heraus gegen den weit routinierteren Franzose Julian Alaphilippe zum Sieg sprinten konnte.

Bei der Tour ist Pogacar, Sohn einer Gymnasiallehrerin für Französisch und eines Verkaufsleiters aus dem 6.000-Einwohner-Ort Komenda in Oberkrain beileibe nicht auf die Fehler der Konkurrenz angewiesen. Nach seinem Sieg im Zeitfahren am Donnerstag und war der Angriff auf das Gelbe Trikot am Samstag nur folgerichtig. Dass es Mathieu van der Poel nach sechs Tagen ausziehen würde, war angesichts des Etappenprofils klar gewesen. Am Sonntag trat der niederländische Klassikerjäger gar nicht mehr zur neunten Etappe an, seine Konzentration gilt schließlich den Olympischen Spielen, wo ihm eine Goldmedaille mit dem Mountainbike vorschwebt.

Schmerzensmann Roglic

Auch Roglic ist am Tag nach Pogacars Ritt ins Gelbe Trikot nicht mehr mit von der Partie gewesen. Nach Stürzen schwer gezeichnet, stieg der Sieger der vergangenen beiden Auflagen der Vuelta a España demoralisiert aus der Großen Schleife aus. Der Rest der abgehängten Konkurrenz, angeführt vom Ecuadorianer Richard Carapaz, kann nur noch hoffen und auf Etappensiege fahren. Nicht unbedingt prickelnde Aussichten für die zwölf Etappen, die nach dem heutigen ersten Ruhetag noch ausstehen.

Die Teams dürften sich mit ihrer Unterlegenheit abgefunden haben. Am Sonntag, auf den 144,9 erneut klitschnassen Kilometern von Cluses zur Bergankunft in Tignes, ließ Pogacar sogar die Kollegen von Ineos für sich arbeiten, nachdem seine eigene Mannschaft aufgerieben und an der Spitze der Australier Ben O’Connor von AG2R nicht mehr am Sieg zu hindern war. Schließlich sind auch Podestplätze bei der Tour erstrebenswert.

Dominator aufmerksam

Auch in dieser Situation zeigte der Dominator, wie es geht, attackierte aus der Gruppe mit seinen Verfolgern, als sein Gelbes leicht in Gefahr schien, und machte binnen weniger Kilometer noch eineinhalb Minuten auf O’Connor gut, der sich in der Gesamtwertung auf den zweiten Platz verbesserte, 2:01 Minuten hinter Pogacar.

Der fühlt sich jedenfalls noch nicht für den Spannungsabfall bei den Tourbeobachtern verantwortlich: "Ich habe das Rennen um den Tour-Sieg noch nicht gekillt, es ist noch ein langer Weg nach Paris. Alles kann noch passieren", sagte er nach seinem sechsten Platz auf 2107 Metern Höhe. Der Ruhetag wird auch ihm guttun. Schon am Mittwoch wartet schließlich die zweimalige Auffahrt zum Mont Ventoux auf das bedauernswerte Feld. (Sigi Lützow, 5.7.2021)